Die neue Liste der 50 besten Restaurants der Welt hat nicht viele Überraschungen, aber eine noch klarere Tendenz gebracht. Wer es auf dieser Liste weit nach oben bringen will, sollte einen deutlichen regionalen Bezug haben, eine Persönlichkeit sein, die auch ohne Messer in der Hand gut „rüber kommt“, für gute Bilder sorgen, weitgehend mit Pflanzen arbeiten und gerne auch so kreativ sein, dass sich immer ein paar Leute darüber aufregen können. Er oder sie sollten keine Küche machen, die allzu viele Spuren von Mainstream aufweist und/oder immer noch so schmeckt wie vor Jahrzehnten, wo alle Köche noch nach Frankreich schauten. Von der als beste Köchin der Welt ausgezeichneten Clare Smyth vom „Core“ in London zeigte man bei der Gala in Bilbao einen Film von der Zubereitung einer großen Kartoffel, die sie optimierend glasiert und dann mit einer ganzen Batterie von Mikro-Elementen obenauf präsentiert. Es geht bei vielen Köchen eben um neue Sensibilitäten – am alten wie am ungewohnten Objekt und viel darum, den Gästen neue und intensivierte kulinarische Erfahrungen zu ermöglichen.
Warum die Spitze stabil ist und manche Berühmtheiten langsam verschwinden
Bottura und die Roca-Brüder sind nun schon seit Jahren stabil an der Spitze oder in ihrer Nähe. Andere kommen und gehen. Die letztjährige Nr. 1, Daniel Humm ist zwar noch Nr. 4, wird aber vermutlich in Zukunft nicht mehr so weit kommen, weil seine Platzierung vermutlich etwas mit der Tatsache zu tun hatte, dass vor zwei Jahren die Gala der Top 50 in New York stattfand. Die Peruaner (6 und 7 für „Central“ und „Maido“) haben einen neuen Höhepunkt erreicht und weitere Südamerikaner sind nicht weit entfernt. Mukhin vom „White Rabbit“ rückt auf und die Skandinavier bestimmen nicht mehr die Szene, obwohl das „Maaemo“ neu auf 35 eingestiegen ist. Aber – Barbot, Boer, Berasategui, Thomas Keller, Wissler, Elverfeld, Goossens, Dacosta finden sich nur noch jenseits der Top 50. Ist ihre Küche aus der Mode gekommen? Nein, ganz so einfach ist das nicht. Auch wenn der ein oder andere Koch schon seit Jahren kaum Veränderungen in seiner Küche hat, ist das kaum ein ausschlaggebender Grund für einen Abstieg. Es ist eher er Mechanismus von Andy Warhol’s Satz, dass jeder einmal 15 Minuten berühmt ist. Wenn Neues Aufmerksamkeit erregt, geht dies gerade in dem obskuren System der Top 50 zu Lasten des Alten – von einigen wenigen Ausnahmen einmal abgesehen. Heston Blumenthal hatte seine Zeit, Thomas Keller ebenfalls, und auch die Deutschen standen einmal gut da, als die „Neue Deutsche Schule“ (ein Begriff, der im Ausland weiter verbreitet war als bei uns) für Diskussion sorgte und Wissler an den Top 10 kratzte.
Germany zero points? Über einen möglichen Grund und ein großes Problem
Von den schon häufig erwähnten speziellen Auswahlmechanismen der Top 50 einmal abgesehen ist das Ergebnis für die deutschen Köche nicht gut. Dazu kommt auch noch die verheerende Platzierung des deutschen Bocuse d’Or – Kandidaten auf Platz 17 schon in der Vorausscheidung und die Tatsache, dass Tim Raue trotz Platz 37 in der Liste wie ein Fremdkörper wirkt: der bestplatzierte deutsche Koch macht asiatische Küche in Berlin…Machen wir uns nichts vor. Das ist wirklich kein Zustand, und mit den ewigen Beteuerungen, die deutschen Köche wären handwerklich doch so hervorragend, kann man letztlich und offensichtlich nicht viel anfangen. Fehlt es nur an kulinarischem Profil, an mehr Kreativität? Sicher, das ist schon lange so, aber vermutlich nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem liegt ein Stück tiefer, mehr im Detail und es wird sehr schwer sein, es zu lösen.
Viele deutsche Köche haben – international gesehen – große aromatische Schwächen, deren Grund eine Art aromatische Desorientierung ist. Im internationalen Vergleich schmecken die Gerichte deutscher Spitzenköche einfach oft nicht so gut, wie die der Konkurrenz. Ich habe einmal über ein Lammgericht in einem französischen 1-Sterne-Restaurant geschrieben, dass ich nicht glaube, dass man diese Klarheit im Produktaroma, dieses Verständnis von Geschmack bei uns irgendwo finden kann. Andere Länder haben oft Spitzenküchen, die aus Traditionen gewachsen sind und bei aller Modernität klare aromatische Bezüge hat. Die deutschen Köche haben sich erst an Frankreich orientiert, dann auch an Italien, an Asien, an Südamerika und/oder ohnehin vor allem an der großen Wunderkiste der Aromen der Welt. Das mag auf den ersten Bissen gefällig sein, wiederholt sich aber im Grunde heute genau so landauf landab, wie das früher unter den primär französischen Einflüssen war. Die eigenen Traditionen, die eigene Regionalküche sind jedenfalls so gut wie nie Bezugspunkt für die moderne, kreative Küche. Von außen aus gesehen gibt es dafür bestenfalls jene Bewunderung, die man auch anderen Dingen entgegenbringt, die erkennbar aufwändig gestaltet sind, aber irgendwie die Seele der Gourmets (oder eben den assoziativen Kontext) nicht genügend stimulieren. Marvin Böhm wird beim Bocuse d’Or sicherlich handwerklich exzellent gearbeitet haben. Das war vermutlich nicht das Problem…
Die Rückgewinnung einer geschmacklichen Identität dürfte eine extrem schwierige Angelegenheit sein. Die neuen Berliner und einige andere Köche sind dabei, den Dingen auf den Grund zu gehen und authentischere Gerichte zu schaffen. Auf dem platten Land wird eine solche Küche aber noch lange Schwierigkeiten haben. Es gibt in Deutschland noch mehrere „Missing Links“ – von einer weit verbreiteten, optimierten Wirtshausküche bis zum 3-Sterne-Restaurant mit optimierter Schweinshaxe. Als Koch ist es nicht von Nachteil, wenn man die eigenen Traditionen liebt. Sich nur aus der weltweiten Wundertüte zu bedienen, schafft Oberflächliches ohne Bestand und nachhaltige Wirkung. Die Top 50 und das Bocuse d’Or-Resultat sollten uns sehr zu denken geben.
Lieber Herr Dollase, ich erlaube mir in zwei Punkten einen Widerspruch. Erstens verdient es diese Liste nicht, an ihrem Beispiel irgendwas zu analysieren. Zweitens kann ich die aromatischen Schwächen der deutschen Spitzenköche nicht nachvollziehen. Hätten Sie da ein paar Beispiele?
Herzliche Grüße
Wolfgang Fassbender
Lieber Herr Faßbender, ich schreibe dazu noch einen detaillierteren Text.
Das eine Liste die von Nestle gesponsert wird , für Sie und den sogenannten Spitzenköchen irgendeine Relevanz hat, ist das einzigste was mich traurig und sauer macht!
Allein zu sehen das ein Lokal das sich „brutal lokal“auf die Fahnen schreibt , und dann doch schamlos bei so.einer Veranstaltung mitzieht zeigt das einzigste Problem unserer Gesellschaft!
Diese Liste wird von Leuten gemacht die sich wichtig fühlen , für Leute die sich wichtig fühlen wollen…..
Richtig, touristische Destinationen mit einem großen internationalen Publikum sind eine wichtige Voraussetzung. Ich habe von Barcelona bis Berlin in bekannten Restaurants gesessen und dort kaum einen einheimischen Gast gesehen…Ein Abstecher aufs platte Land setzt bei den potentiellen Gästen da schon einiges an Energie voraus.
Alles richtig, Herr Dollase bzgl der genannten Schwächen. Ich finde, einen Punkt darf man nicht ganz unter den Tisch fallen lassen: aus meiner Sicht gibt der Querschnitt der Liste auch immer die Attraktivität bestimmter kulinarischer Destinationen wieder. San Sebastian und Umgebung, Paris, New York, Lima, London etc. Gibt es dort einen Leuchtturm, haben auch andere Restaurants Chancen gute Plätze zu erreichen. Siehe: Kopenhagen, als das Noma ganz vorn war, waren wesentlich mehrer Restaurans aus der Stadt unter den Top50 und besser platziert als heute.
Berlin ist nun erstmals mit zwei Restaurants in den Top100 vertreten. Vielleicht ist das ein Lichtblick.