Die Macht der Bilder. Das neue Buch von Kei Kobayashi

Chihiro Masui/Richard Haughton: Kei II. Hachette Livre/Éditions de chêne 2019, 304 S., Hardcover mit geprägtem Deckel, 69,90 Euro (in französischer Sprache)

Es war vor rund zweieinhalb Jahren. Damals habe ich das erste Buch von Kei Kobayashi im Rahmen einer Sammelbesprechung französischer Kochbücher so beschrieben:

Kei Kobayashi: Kei. Éditions Chêne 2016
In Frankreich gibt es jetzt eine ganze Reihe von meist aus Japan stammenden Köchen, die ihr Handwerk in den großen französischen Restaurants gelernt haben und die nun sozusagen zurückkommen und einen faszinierenden Stilmix aus japanischen und französischen Elementen anbieten. Kobayashis Restaurant ist in Paris, aber dieser Koch wird sich wohl schnell weiter ausbreiten – u.a. weil er das Zeug zum Popstar und zur Stil-Ikone hat. Wer das Buch sieht, wird sich die Augen reiben, mit welchem Engagement man hier auf einen so jungen Koch setzt.

Mittlerweile hat Kobayashi zwei Michelinsterne und scheint seine Förderer so beeindruckt zu haben, dass in relativ kurzem Abstand ein zweites, spektakulär aussehendes Buch erschienen ist. Wieder steckt Madame Chihiro Masui hinter der Sache, und wieder hat Richard Haughton fotografiert. Die Japanerin fällt schon seit einigen Jahren dadurch auf, dass sie japanische Köche im Ausland intensiv journalistisch begleitet – um es einmal so auszudrücken. Für dieses Buch hat man sich eine glasklare Aufgabe gestellt, nämlich ein Kunstbuch zu machen, also Bilder zu produzieren, die vor allem als Bilder wirken sollen. Bei diesem Band hat sich das dann so ausgewirkt, dass man bis zur Seite 208 ausschließlich ganzseitige Bilder der Kobayashi-Kreationen bekommt. Das Motto ist: „Kei Kobayashi. Des tableaux cuisinés qui se regardent et se dégustent. Selon votre imaginaire.” (Ich gebe hier den französischen Text wieder, weil man „tableaux cuisinés“ mit „gekochten“ oder „in der Küche zubereiteten Bildern“ nicht ganz präzise ins Deutsche übersetzen kann).

Die Macht der Bilder
Das Bild vom Essen hat schon immer eine große Bedeutung – spätestens dann, wenn ein Gast im Restaurant vor einem angerichteten Teller sitzt. Es gab auch zu jeder Zeit Auswüchse, wie etwa die Schaustücke, die noch bis in die 70er Jahre weit verbreitet waren, die ausgezogenen Saucen-„spitzen“, Saucen als Yin und Yang usw. usf. Im Grunde waren die wirklich sensorisch klar strukturierten Bilder von Gerichten immer in der verschwindenden Unterzahl. Was sich aber heute Online abspielt, ist die fast totale Macht der Bilder. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem hervorragenden Koch, dessen Gerichte exzellent schmeckten, aber nicht unbedingt spektakulär aussahen. Wir haben darüber diskutiert, ob man nicht – wenn man international weiterkommen will – unbedingt auch gute Bilder braucht. Gemeint waren damit nicht „schöne“ Bilder von einem guten Fotografen, sondern spektakuläre Bilder, bei denen jeder sofort sagt: „Das sieht aber gut aus“, oder sich die Frage stellt, was das denn sei. Ein Gericht wird heute unter Umständen zigtausendfach als Bild verbreitet und letztlich nur von vergleichsweise wenigen Leuten gegessen.

Die Wirkung der Bilder lässt sich am besten mit der klassischen Kommunikationstheorie erklären, also über die Begriffe Sender, Botschaft, Empfänger. Bestimmte Kodierungen werden als modern angesehen, andere als „irgendwie nicht gut gemacht“ oder auch als zu wüst und sensorisch sinnlos. Ein Koch oder Esser, der völlig up to date ist und sich für alle neuen Informationen interessiert, wird sofort entschlüsseln können, wann ihm ein Bild Moderne oder Avantgarde signalisiert. Der Geschmack dagegen ist eine ganz andere Sache. Er vermittelt sich zu einem begrenzten Teil über das Bild, wesentlich klarer über die Rezeptur und letztlich erst ganz präzise beim tatsächlichen Essen. Foodporn regiert, ob man will oder nicht.

Das Buch
Das zweite Buch von Kei Kobayashi fällt zuerst einmal durch ein Cover auf, dem man nicht unbedingt ansehen kann, dass es sich um ein kulinarisches Buch handelt. Insofern ist man da ganz konsequent. Die Bilder haben quasi alle einen schwarzen Hintergrund und sind modern in unterschiedlicher Ausprägung. Vielleicht sollte man einmal wieder daran erinnern, dass in Richtung „Modernität und Kunstnähe der Bilder“ Ferran Adrià nach wie vor kaum zu überholen ist. Bei Kobayashi gibt es eine Reihe von Tellern, die man heute schon als fast konventionell bezeichnen muss, viele verschiedene Tellerformen, viel Minimalistisches, Nahaufnahmen und insgesamt einen Farbeindruck, den man im Restaurant nie bekommt. Das Essen ist also in eine Art Kunstsphäre transformiert, oder besser gesagt: in das, was man bei den Machern so als Kunst versteht. Mit dem Blick eines Freundes der zeitgenössischer Kunstästhetik gesehen, ist das Buch allerdings eher konventionell. Auch das ist ein typischer Effekt der Kochszene: was dort für „Kunst“ gehalten wird, ist von einer modernen künstlerischen Ästhetik oft weit entfernt.

Es dauert nicht lange bis man bemerkt, dass eine ganze Reihe Gerichte kulinarisch nicht so modern sind, wie es bei einer ersten Durchsicht des Buches den Anschein haben kann. Es gibt sogar eine Pâté en crôute und ganz allgemein zeigen recht viele Rezepte, dass Kobayashi weiß, was sonst noch in der kulinarischen Welt passiert. Die Originalität hält sich also ein wenig in Grenzen – zumindest für Leser, die sich in der Szene auskennen. Es gibt zum Beispiel Foie Gras mit Crevetten, eine Tarte von roten Zwiebeln mit Parmesan und Schwarzer Trüffel (angerichtet strikt schwarz auf weiß), Lotte mit Chorizo, Süßkartoffeln und Forellenkaviar (angerichtet mit Gräsern auf japanischem, schwarzen Teller), Langustinen mit weißem Spargel und roten Früchten oder eine bizarr aussehende Taubenkeule mit Brust auf schwarzer Trüffelsauce und komplett von Trüffelspänen bedeckt. Kochtechnisch ist dieses Kompendium zeitgenössischer Küchenideen allerdings interessant, weil die Vielfalt der Zubereitungen groß ist und ein weites Spektrum abdeckt.

Fazit
Das Buch ist spektakulär und schön und natürlich in dieser Form eine Zierde fürs Sortiment. Einen Stil im engeren Sinne hat Kobayashi nicht, und auch die Spuren japanischer Küche halten sich in diesem Band sehr in Grenzen. Die immer wieder mal erwähnte Fusion von französischer und japanischer Küche findet sich kaum, eher schon ein eklektizistischer Blick auf die französischen und europäischen Traditionen und Geschmacksbilder. Man kann das Buch dennoch gut lesen – auch wenn es keinerlei Erläuterungen oder etwa Statements des Kochs gibt. Meine Einschätzung des ersten Buchs von Kei Kobayashi war offensichtlich auch von der Hoffnung geprägt, dass es bei ihm besonders kreativ weitergehen könnte. Heute sieht es etwas glatter aus, kommt dafür aber näher in den Bereich dessen, was man in Frankreich mit Sternen belohnt.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Fotos © Editions du Chêne

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