In Bayreuth laufen ja gerade wieder einmal die berühmten Festspiele rund um Richard Wagners Werk. Wir sehen mit Interesse, dass sich die Größen der Republik dort einfinden, vor allem auch die Spitzen der Politik. Wir wollen dem eine Reihe von Folgen der Jan-Hartwig-Festspiele gegenüberstellen, nicht zuletzt auch mit der Hoffnung, dass die Spitzen von Staat und Gesellschaft auch in seinem „Atelier“ einmal vermehrt ein- und ausgehen werden und ihre Kulturbeflissenheit und -teilhabe auch in diesem Bereich zum Ausdruck bringen.
Die Gerichte der Jan-Hartwi- Festspiele habe ich vor wenigen Tagen in München gegessen. Unter ihnen sind Arbeiten, die schon im Kern zu den Klassikern des Hauses zählen, solche aus den aktuellen Menüs und auch natürlich auch ganz neue Kreationen. Sie zeigen die enormen Entwicklungen, die Hartwig im Atelier genommen hat. Die große Oper ist ganz auf unserer kulinarischen Seite.
Ich werde in jeder Folge unterschiedliche kulinarische Aspekte in den Mittelpunkt stellen.
Folge 1: Hendlsalat – Petersilie, Zitrone und Bratkartoffelsud
Dieses Gericht wurde als Amuse Bouche serviert, was hier den gleichen konzeptionellen wie handwerklichen Aufwand wie bei den Menügerichten bedeutet. Dieser Aufwand ist enorm und beschäftigt die zehn Köche (davon drei in der Patisserie) im stets ausgebuchten Atelier vollständig. Dazu (und auch zur Bedeutung der Optik bei Jan Hartwig) werde ich in den nächsten Folgen noch etwas sagen. Beim Hendlsalat ist vor allem das Konzept interessant. Wenn man den Titel auf einen Zettel schreiben und in der Fußgängerzone danach fragen würde, wie man sich ein solches Gericht vorstellt, würde alles herauskommen – nur nicht die Vorstellung von einer Kreation wie dieser. Im Grunde sieht man von den angekündigten Realien nicht sehr viel, vor allem nicht vom Hendl. Welchen Ansatz verfolgt Hartwig mit dem Hendlsalat? Und – was macht das mit dem Esser?
Es geht um die Optimierung regionaler Ressourcen, also um regionale Produkte und regionale kulinarische Traditionen. Solche Optimierungen können auf unterschiedlichen Ebenen ablaufen. Sie können zum Beispiel daraus bestehen, exzellente Produkte einzusetzen und auf exzellente Zubereitungen zu achten, die höchsten handwerklichen Standards entsprechen. Sie können aber auch darüber hinaus gehen und versuchen, ein Maximum an Finesse zu erreichen. Dazu ist es zum Beispiel notwendig, sich Gedanken über den Grad der Verfeinerung zu machen. Sollen Huhn und Petersilie und Bratkartoffel deutlich erkennbar bleiben, oder ist es besser, ein hochfeines Geschmacksbild zu entwickeln, in dem die Ausgangsaromen nur noch wie ein Hauch zu erahnen sind? Soll vielleicht demonstriert werden, wie fein man mit den traditionellen Aromen arbeiten kann und daß sich unsere traditionellen Rezepturen – wie in anderen Ländern auch – selbstverständlich für Verfeinerungen auch auf höchstem Küchenniveau eignen?
In jedem Falle geht es darum, wie konkret oder wie abstrakt das Gericht am Ende ausfällt. Sind die Bezüge zum traditionellen Geschmack sehr deutlich, ist das Gericht eher auf der konkreten Seite. Ist es nur noch ein Hauch von Huhn und Bratkartoffel, ist man eher auf der abstrakten Seite. Es geht bei diesen beiden Polen immer um die Intensität des assoziativen Kontextes, also um das, was sich beim Esser an Assoziationen, an Erinnerungen, an Verschaltungen im Kopf beim Essen eines solchen Gerichtes einstellt. Das sollte man nutzen, weil es Gast und Köche näher zusammenbringt.
Jan Hartwig kennt diese Zusammenhänge und schafft hervorragende Lösungen. Natürlich sitzt man vor diesem Teller und möchte eigentlich Berge davon essen, weil alles so wunderbar schmeckt und man gleichzeitig das Gefühl hat, ganz nahe an den eigenen Vorerfahrungen zu sein. Der Hendlsalat ist beeindruckend, weil er zeigt, wie tief man in die Materie eindringen kann und wie viele Mittel es – gerade im sensorischen Bereich – heute für die besten Köche gibt, solche Meisterwerke zu kreieren.
Das bestens behandelte Hähnchenfleisch befindet sich in der Geleerolle, die einen bratösen Geschmack hat und in aller Finesse an den Geschmack eines Brathähnchens erinnert. Dabei belässt es Hartwig aber nicht, sondern dockt (die Mikroelemente auf der Rolle) verschiedene Aromen und Texturen an. Das Faszinierende dabei ist, dass sie alle eine Funktion haben und durchaus nicht nur Dekoration sind. Die Kartoffelcreme verlängert die Cremigkeit des Gelees, und die kleinen Kräuter- und Blütenpartikel bringen jeweils etwas Textur und vegetabile Moment in den Bissen. Der Bratkartoffelsud als Basis der Komposition wird mit Petersilienöl und Zitrone angereichert, letztere bringt jenen erfrischenden Hauch Säure, der bei Hartwig häufig dafür sorgt, daß der Geschmack mehr Präsenz bekommt. Die Variation der Petersilie in Öl, Püree, Sorbet, krossem Plättchen und pur ist ein ebenfalls in dieser Küche gerne genutztes Mittel, um über die Variation sozusagen mehr Informationen über das variierte Produkt zu bekommen: ein Püree und das Öl gehen mit anderen ähnlichen Elementen eine schnelle Verbindung ein. Ein krosses Plättchen schließt sich verzögert auf und das pure Produkt (also die Blättchen) sorgt für einen kräftigen Flash, der wieder auf die Basis zurückführt. Das Geheimnis ist nun, wie man alle diese Elemente in den Proportionen so zuordnet, dass sie eine gute Balance ergeben, dass sie zusammenspielen und gemeinsam ein überragendes Ergebnis bringen. Diese Texturregie (die manchmal auch von einer Temperaturregie ergänzt wird) macht die ganz großen Köche aus. Sie schaffen mit dieser Beherrschung der Materie Neues und schöpfen das Potential auch scheinbar einfacher Produkte so aus, dass sich ein großes kulinarisches Erlebnis ergibt. Und dennoch gilt: So groß auch der Aufwand ist: Er demonstriert doch mit der Eleganz des Geschmacksbildes die Leichtigkeit des Seins.
Lieber Herr Lepik, das kann ich voll und ganz nachvollziehen. Mein persönlicher Höhepunkt war einmal ein Abend im- damals 3-Sterne- Schiffchen in Düsseldorf. Ich saß quasi Rücken an Rücken mit einem berühmten deutschen Politiker (Namen sage ich nicht, aber er hat etwas mit einer spanischen Metropole zu tun). Er kam anscheinend gerade von einem Vortrag und schien wie berauscht von seinen eigenen Formulierungen zu sein. Das führte dazu, daß er seiner Frau (und uns) den Vortrag quasi noch einmal hielt. – Das war echt eine Belastung.
Oder: wir sitzen in Arbois bei Jean-Paul Jeunet. Schräg gegenüber bemerkte ich eine deutsche Ministerin, die man gerade aus dem Amt entfernt hatte. Erst dachte ich: Cool, jetzt hier zum Essen zu gehen entspannt vielleicht. Das Gegenteil war der Fall. Sie benahm sich wie ein Wrack und mußte vor und nach jedem Gang eine Zigarette rauchen, im Restaurant damals noch und egal, ob es Foie gras oder das wunderbare Huhn mit Morcheln und Vin Jaune gab.
Zitat: …nicht zuletzt auch mit der Hoffnung, dass die Spitzen von Staat und Gesellschaft auch in seinem „Atelier“ einmal vermehrt ein- und ausgehen werden und ihre Kulturbeflissenheit und -teilhabe auch in diesem Bereich zum Ausdruck bringen.“
Herr Dollase, ich kann Sie beruhigen, Merkel &Co. werden dort kaum auftauchen. Und wenn ich dort mit mit meiner Frau einen schönen Abend verbringe, dann hoffe ich KEINEN aus diesem Kreis dort in Natura anzutreffen. Das würde die Qualität dieses Abends für mich deutlich schmälern wenn am Nachbartisch einer aus diesem Kreis nebst Personenschutz, Presse und der ganzen Entourage säße.