Geert van Hecke/Pieter van Doveren/Jan van Hemeledonck/Tony Le Duc (Fotos): Les cinq saisons culinaires de Geert van Hecke. De Karmeliet. Stichting Kunstboek, Brugge 1998. 192 S., geb., Hardcover
(nur noch gebraucht zu bekommen, das Buch existiert in niederländischer und französischer Fassung)
Überragende Kochbücher können ganz unterschiedliche Inhalte haben. Manche sind gut, weil sie einen enorm kreativen Input bringen, manche sind einfach als Kochbuch hervorragend gemacht, manche stehen für einen perfekt exekutierten Stil und wieder andere haben Rezepte mit einer geschmacklichen Dimension, die man sonst nirgendwo bekommt. Viele dieser Bücher sind weltbekannt geworden, manche aber sind auch vergleichsweise unentdeckt geblieben, weil sie gerade nicht in die Zeit passten oder von einem Koch stammten, der einfach nicht so viel Wind macht. Wenn man heute von Kochbüchern redet, die vor dem Jahr 2000 erschienen sind, bedeutet das auch gleichzeitig, dass es quasi keinerlei Verbreitung über die sozialen Medien gab, und die Bücher international nur dann bekannt werden konnten, wenn ein paar Spezialisten sie entdeckt und über sie geschrieben haben. Wenn Sie also noch nie von dem Buch gehört haben, das ich heute vorstellen möchte, kann das ohne weiteres ganz normal sein.
Geert van Hecke, biographisch
Geert van Hecke vom „De Karmeliet“ in Brügge (Jg. 1956) hat eine Karriere hinter sich, die nicht unbedingt von immer mehr Expansion gekennzeichnet war. Als das Buch 1998 erschien, hatte er gerade zwei Jahre zuvor seinen dritten Michelin-Stern erhalten und war auf dem Höhepunkt seiner Kochkunst. Er behielt die drei Sterne für sein „Karmeliet“ bis zu dessen Schließung im Jahre 2016, war aber im Laufe der Jahre nicht mehr so im Focus des Interesses wie zu damaliger Zeit.
Um die Qualität dieses Kochs, den man zu seinen besten Zeiten auf eine Stufe mit anderen großen Geschmacksspezialisten stellen musste, zu begreifen, muss man wissen, dass er vielleicht neben Alain Ducasse der wichtigste Nachfolger des großen Alain Chapel war. Für eine zeitlang hat er dort übrigens mit Ducasse und Michel Roux zusammen am Herd gestanden. Van Hecke hat sich immer als einen Schüler von Alain Chapel bezeichnet, wurde aber tatsächlich so etwas wie ein Meisterschüler, der mit seiner Adaption der Ideen in einigen Punkten (etwa bei der Regionalität) weiter gekommen ist, als der Meister selber. Bei den besten Gerichten im „Karmeliet“ konnte man tatsächlich auf diesen Gedanken kommen.
Geert van Hecke, geschmacklich: Klassische Moderne und Regionalität
Die Qualität des Geschmacks in der Küche von Geert van Hecke ist heute schon fast ein wenig schwierig zu erläutern. Viele Köche suchen ja heute nach schnellen aromatischen Reizen, oft auch mit asiatischen Würzelementen. Dabei wird bisweilen jedes Detail eines Gerichtes einzeln stark ausgereizt, sprich: intensiv gewürzt. An den Zusammenhang denkt kaum noch jemand, auch nicht daran, was passiert, wenn man ein Menü hat, das aus mehreren solchen „gedopten“ Gerichten besteht. Dass in diesem Zusammenhang die Produktaromen regelmäßig auf der Strecke bleiben, wird bisweilen fast ein wenig ratlos behandelt. Wenn ein Element irgendwie nicht richtig durchkommt, muss es eben noch etwas mehr Würze bekommen. Das ist ein Irrweg, der leider weit verbreitet ist.
Die Schule von Alain Chapel/Ducasse/van Hecke denkt da völlig anders. Hier geht es erst einmal um die Produktqualität und eine optimale Vorbereitung und gegebenenfalls Garung der Produkte. Dann um eine Art mini-invasive Aromatisierung, die – ganz im wirklich klassischen Sinne – die Produktaromen sensibel verstärkt, aber nie mehr als für den Zusammenhang nötig. Was bei einem Gericht dann entsteht, sind freie Räume, in denen sich die Aromen der Produkte gut entfalten können. Wenn man diese Grundeinstellung mit einem guten, dazu passenden Gesamtgeschmack eines Kochs kombiniert, hat man diesen Küchenstil. Er wirkt heute oft so, dass sich Leute fragen, warum denn eigentlich – sagen wir: die Kohlrabi in einem bestimmten Zusammenhang so intensiv schmecken. Der Grund kann sein, dass sie nur minimal behandelt sind. Das ist nicht paradox, sondern kulinarische Logik oder eben eine gute sensorische Struktur.
Bei van Hecke sind die Rezepte nie besonders lang. Es gibt oft Garungen in geklärter Butter oder – typisch für die Schule – in leichten Fonds und immer einen begrenzten Einsatz von Würzelementen. Es ist insofern nur logisch, dass die Zahl der Grundzubereitungen in diesem Buch eher gering, aber recht spezifisch ist. Es gibt z.B. ein Tomatenkompott, ein Krustentiergelee, ein Kräuteröl, eine Geflügeljus, ein Anchovis-Coulis oder ein krokantes süß-salziges Bisquit. Was bei diesem Buch neuartig und grandios ist, ist vor allem die konsequente Anwendung dieser Art der Spitzenküche auf die regionalen Ressourcen. Die „fünf Saisons“ haben immer etwas mit den Produkten zu tun, die es zu gewissen Zeiten gibt, wobei van Hecke hier sozusagen den Winter weiter ausdifferenziert. Hier die fünf Abschnitte mit den entsprechenden Produkten: Kohl, Muscheln, Schokolade, Trüffel (1), Spargel, Innereien, Aal, Hopfensprossen (2), Makrele, Kräuter und Gewürze, Kabeljau, Kartoffel (3), Wild und Geflügel, Nüsse und Kastanien, Waldpilze, Äpfel und Birnen (4), Schnecken, Endivien, Schwarzwurzeln, Kaviar (5). Das führt zu Rezepten wie: „Demi-deuil von Jakobsmuscheln mit Trüffeln, Schweinsfuss und Wirsing“, „Schnitte vom Wildlachs ‚mimosa‘ mit Hopfensprossen und Muskatnuss“, „Lackierter Aal mit Salat von Weißkohl und krosser Entenhaut“, „Carpaccio vom Kabeljau mit getrocknetem Speck und Lauch“, „Mit Crevetten und Krustentiergelee gefüllte Tomate“, „Mit Parmesan gratinierter Kabeljau mit Ricotta-Canneloni, Muscheln und Tomatenkompott“, „Coquelet à la Gueuze mit Ingwer und neuen Zwiebeln“ oder „Langustinen mit konfierten Endivien, Bisquit, grünen Äpfeln und süßem Curry“.
Fast jedes Rezept hat hier eine klare Besonderheit und vor allem einen Geschmack, wie er sonst nirgendwo zu bekommen war. Im Nachhinein haben mich vor allem auch die Kombinationen von rohen und gegarten Elementen fasziniert, also etwa weißer Fisch mit kaltem Tomatenkompott, dazu auch immer wieder eine gute Texturregie, die bei Köchen dieser Stilistik selten zu finden war und ist.
Ein zusätzliches Plus gibt es bei diesem Buch von der Fotografie und der Aufmachung. Es stammt von der „Stiftung Kunstbuch“ in Brügge, die bis heute für eine ganze Anzahl von Büchern der belgischen Spitzenküche verantwortlich ist, die sonst vielleicht nie gedruckt worden wären. Bei van Hecke hat man nicht nur sehr gutes Papier benutzt, sondern auch einen Fotografen gefunden (Tony Le Duc), der eine ganze Reihe von Bildern in einem ungewöhnlichen Stil umgesetzt hat. Sein Huhn ist schon fast so etwas wie ein Klassiker. Die Bilder passen zu der klaren, aber immer auch etwas flämisch-üppigen Küche des Meisters.
Ich kann den beiden anderen Kommentatoren nur zustimmen: welche Kriterien entscheiden darüber, was die besten Bücher sind und wer hat die festgelegt? Es gibt keine Instanz, die das kann. Was gut oder sehr gut ist, entscheidet JEDER Nutzer nach seinen individuellen Bedürfnissen. Bei mir sieht die Rangordnung völlig anders aus und ist viel internationaler. Und bei mir geht es um spezielle Dinge: wie verarbeite ich meine Gartenfrüchte saisonal, geschmacklich optimal und variantenreich? Daneben gibt es Kochbücher, die Erkenntnisgewinn bieten und das eigene Kochen umsteuern, weiterentwickeln helfen. Sowas schätze ich außerordentlich. Hochküche ist oft interessant, reicht aber schlicht nicht als Alltagsbasis. Ich gucke gerne hinein, aber das ist eine andere Kochwelt, die ich nicht (mehr) versuche zu imitieren. Gut finde ich deshalb Kochbücher, die mir den Transfer punktuell anbieten. Soweit MEINE Sicht. Ich bin sicher, es gibt noch hunderte andere.
Hallo Parzeval,
Da Sie in Ihrem Kommentar auf mich verweisen muss ich Ihnen leider widersprechen.
Ist es nicht selbstverständlich, dass jede „Bestenliste“ – seien es nun Kochbücher, Filme, Lieder, Bücher etc. mehr oder weniger stark subjektiv geprägt ist? Natürlich basiert auch diese Liste auf genau den Kriterien, die Herr Dollase als relevant erachtet, und natürlich müssen andere Menschen nicht mit diesen Kriterien übereinstimmen.
Die dazugehörige Diskussion sollte sich meiner Einschätzung nach darum drehen, was denn sinnvolle Kriterien für so eine Liste sein können bzw. warum Herr Dollase gerade diese Bücher anführt. (Daher auch meine Bitte um mehr deutschsprachige Bücher, da jede Fremdsprache solch eine Diskussion erschwert oder sogar unmöglich macht.)
Dass diese hier dargestellte Liste klarerweise nicht objektiv ist (weil es so etwas auch nicht geben kann) ist so offensichtlich, dass es meiner Meinung nach nicht der Rede wert ist.
Vielen Dank, dass Sie sich die Mühe solch einer „Referenzliste“ machen.
Ich finde es nur schade, dass Sie bisher hauptsächlich französische Titel besprochen haben. Damit nehmen Sie mir (und vermutlich auch einigen weiteren Lesern) die Möglichkeit, sich intensiver mit Ihrer Vorstellung guter Kochbücher auseinanderzusetzen.
Wer entscheidet eigentlich das dies die besten Bücher sind??ich gehe mal zu der Annahme das es für sie Herr dollase die besten Bücher sind,,,,,,Denn für viele werden das natürlich nicht die besten Bücher sein,das ist ein großes Problem bei der Überschrift..