Julien Lemarié: Donburi. Ducasse-Edition, Levallois-Perret 2021. 257 S., geb., 30 Euro (in französischer Sprache)
Vorbemerkung: Alain Ducasse hat sich ja mit seinem großen „Grand Livre de Cuisine“ schon vor vielen Jahren als Meister aller Klassen erwiesen. Er hat gezeigt, dass er (und seine Mitarbeiter) die Kochkunst wirklich beherrschen und in allen möglichen Bereichen von der Bistro-Küche bis zu international inspirierten Gerichten enorme Fertigkeiten besitzen. Das gilt vor allem für den Bereich der Kochtechnik im engeren Sinne. Ducasse war zum Beispiel einer der ersten Köche, die minutiöse Angaben von Gartemperaturen, Kerntemperaturen und Garzeiten in seinen Küchen eingeführt und veröffentlicht haben. Letztlich hat ihm diese kommunizierbare Präzision den Aufstieg zu einem weltweit tätigen Unternehmen ermöglicht. Er konnte dann seine Arbeit einfach besser an seine Leute delegieren. Dass er frühzeitig begonnen hat, seine Bücher selber zu verlegen, ist auch aus seiner Überlegenheit in Sachen Technik zu verstehen. Er hatte das Wissen, das oft genug neuartig war, und sowohl das Selbstbewußtsein wie die nötige Überzeugungskraft, das Alles auch selber unter die Leute zu bringen. Vor diesem Hintergrund bin ich an den neuen Büchern der Ducasse-Edition immer sehr interessiert. Der „Kurzschluss“ ist ganz eindeutig: wenn sich denn Ducasse für ein Thema und ein Buch interessiert, muss es ja etwas Gutes sein. Wohlgemerkt: „etwas Gutes“, nicht zwangsläufig etwas Überragendes, weil auch die eigenen Bücher des Meisters in ihrer Qualität – bei immer guter Basis – doch ein wenig variieren.
Julien Lemarié ist Chef des Restaurants „Ima“ in Rennes in der Bretagne und hat einen Michelin-Stern. Er gehört aber mit seinen konzentriert und kreativ wirkenden Gerichten zweifellos in die Abteilung von Köchen, die die Aufmerksamkeit von Ducasse erregen, weil er in ihnen Perspektiven erkennt. Dass dann ein solches Buch realisiert wird, ist also kein Wunder. Die Abhandlung eines bestimmten Themas kann so etwas wie eine Doktorarbeit sein. Ich erinnere mich da an das erste große Buch des spanischen Drei Sterne-Kochs Quique Dacosta („Arroces contemporanéos“ von 2005), in dem er sich ausschließlich mit Reis befasst hat. Dass hat damals in Spanien dafür gesorgt, dass man sich schlagartig für diesen jungen, talentierten Koch interessierte.
Das Buch
„Donburi“ ist der Name für eine Gattung von japanischen Gerichten, bei denen grundsätzlich Reis die Basis ist und dann das, was man obenauf platziert, die Spezifität eines Rezeptes ausmacht. Es gibt dabei in Japan eine Reihe von Standard-Donburi-Fassungen, zum Beispiel mit Huhn, Eiern, Aal oder mit Fischrogen aller Art. Wohlgemerkt: es geht nicht um Risotto-ähnliche Vermischungen, sondern tatsächlich um eine Kombination, bei der man mit jedem Bissen etwas vom Reis mit aufnimmt und auf diese Weise einen spezifischen Akkord bekommt. Ob das dann – eine Überlegung, die naheliegend ist – dazu führen kann, dass man mit den „Toppings“ immer etwas kräftiger sein muss, um einen guten Akkord zu bekommen, kann eine Rolle spielen. Theoretisch könnte man natürlich auch so mit den Proportionen spielen, dass die Auflage mild ist und es einen echten Reis-plusX-Akkord gibt, der deutlich nach Reis schmeckt.
Den Beginn des Buches macht dann auch erst einmal eine kurze Klärung wie man mit dem japanischen Reis umgeht. Diese Hinweise sind aber eher knapp, es geht also nicht um die ganz speziellen Reissorten oder Mischungen, die zum Beispiel beim Sushi-Reis bei japanischen Spitzenköchen immer ein Thema sind. Ich persönlich bin in solchen Dingen immer am high-end interessiert, also daran, den allerbesten Reis so pur zu inszenieren, dass man seine spezifischen Besonderheiten und Qualitäten auch schmecken kann. So weit also geht man hier nicht – vielleicht weil es bei einem Donburi-Gericht eben doch eher auf die „Toppings“ ankommt und eben einen Mischakkord mit dem Reis.
Vor diesem – sagen wir: belastbaren Hintergrund ist allerlei möglich. Es gibt als erstes ein Kapitel mit Fisch und Krustentieren, dann Fleisch, dann Gemüse – Alles in einer differenzierten Form, bei der die Akkorde meist kreativ und oft auch ein wenig im Geist der japanischen Küche inszeniert sind. Zwischen den Rezepten in klassischer Darstellung gibt es eine begrenzte Menge von atmosphärischen Bildern und ein paar nützliche Hinweise auf französische Produzenten wie etwa einen Algenproduzenten, einen von Wagyu-Beef oder die Miso von Takayashi Hirai. Man erinnert sich schnell daran, dass die Verbindung der französischen Köche zur japanischen Küche sehr viel enger ist als bei uns, dass es sehr viel mehr Produzenten mit entsprechend brauchbaren Produkten und vor allem viele japanische Spitzenköche gibt.
Im Detail gibt es zum Beispiel „Tintenfisch mit Daikon und Meeressalat“, „Seeteufel mit Blumenkohl, Limette und Schnittlauch“, „Seezunge mit verbranntem Lauch und Nori“, „Ente mit Ingwer, Nüssen und Rote Bete“, kräftige gerostetes Schweinefleisch mit Aubergine und Alge, „Perlhuhn mit Knollenziest und Karotten“ oder „Blumenkohl mit Schwarzem Knoblauch“. Ganz nebenbei merkt man, das Julien Lemarié über eine große Anzahl von weiteren Lieferanten verfügt, die ihm alle möglichen speziellen Varianten von allen möglichen Produkten liefern, zum Beispiel eine seltene Art von Endivien, die dann mit lackiertem Geflügelfleisch kombiniert werden, wofür er die Teriyaki-Sauce natürlich ebenfalls selber herstellt. Es wird klar, dass das Ziel dieses Buches nicht eine Popularisierung oder Banalisierung der Donburis ist (was gerade angesichts vieler Versuche von BloggerInnen und AutorInnen in dieser Richtung zu beobachten ist (etwa bei den beliebten Bowls), sondern eine maximale Verfeinerung, eine Sensibilisierung für die möglichen Geschmacksbildern und so gesehen auch so etwas wie eine Rehabilitierung der Form gegenüber ihrer Banalisierung
Fazit
Mich interessieren im Grunde vor allem Bücher, die einen neuen Input liefern, die irgendwo und irgendwie einen Reiz zur Ausweitung oder Intensivierung schaffen. „Donburi“ hat etwas davon und trotz der Bemühungen von Julien Lemarié, ein hohes kreatives Niveau zu realisieren, dürfte sich der größte Nutzen des Buches für Leute ergeben, die gerne improvisatorisch kochen. Durch die gut entwickelten Details eines in der Adaption japanischer Ideen geschulten Kochs ergeben sich aber auch durchaus High End – Aspekte.
Das Buch bekommt 2 grüne BB
Die Fotos im Buch sind von Franck Hamel