Andreas Döllerer: Das Wirtshaus. Rezepte und Geschichten aus dem Salzburger Land. Brandstätter Verlag, Wien 2021. 240 S., geb., Hardcover, 35 Euro
Andreas Döllerer ist einer der besten österreichischem Köche. Das werden viele Leser ganz selbstverständlich auf seine Arbeit in dem „Genießerrestaurant“ in seinen „Genusswelten“ in Golling, südlich von Salzburg beziehen, und es kann sein, dass sie nie in seinem Wirtshaus gleich nebenan gegessen haben. Das wäre ein Fehler, weil Döllerer im „Wirtshaus-Fach“ eigentlich genau so gut ist, wie als kreativer Erfinder seiner „Cuisine Alpine“. Dieses „Wirtshaus“ ist auch keineswegs ein Zweitrestaurant von dem Typus, bei dem ein Spitzenkoch mal eben irgendeine abgespeckte Version seiner Küche anbietet. Hier bei der Döllerer-Dynastie ist das Wirtshaus der Kern, und das Gourmetrestaurant hat sich zusätzlich entwickelt. So etwas hat sich natürlich auch an anderer Stelle entwickelt, dabei aber quasi in allen Fällen erheblich an Substanz verloren.
Nicht so bei Andreas Döllerer. Wie kaum ein vergleichbarer Koch hat er die regionalen Ressourcen nicht nur sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen, sondern sie auch weiter gepflegt und im Rahmen seiner Entwicklung weiter vorangebracht. Dass er dabei den Faden nicht verloren hat, sondern eine oft beeindruckende Optimierung produziert, ist seine ganz besondere Spezialität.
Das Buch
Es fällt schnell auf, dass dieses Buch mit dem Kachelofen-Hintergrund auf dem Cover pures Understatement ist. Man könnte es groß aufgedonnert mit riesigen Fotos und vor dunklem Hintergrund inszenierten Bildern der Gerichte gemacht haben, also etwa wie „Das kulinarische Erbe der Alpen“ von Dominik Flammer. Hat man aber nicht. Ganz im Gegenteil gibt es hier viel Wirtshaus-Feeling mit allerlei atmosphärischen Bildern von Landschaft und Gastronomie, ungekünstelt, so, wie man das Ganze tatsächlich an Ort und Stelle erleben kann. Man darf unterstellen, dass eine solche Gestaltung Absicht ist und man gute Gründe dafür hat, bei einem solchen Thema nicht zu stilisieren. Warum ich das hier anführe, hat aber einen anderen Grund. Man sollte sich nicht davon ablenken lassen, dass die Gerichte trotz der populär gehaltenen Optik oft geradezu in eine neue Dimension von Wirtshausküche vordringen. Man hat Optimierungen bei Garzeiten, Proportionen etc. immer für möglich und wichtig gehalten. Hier aber herrscht ein so ausgebufftes Verständnis der Wirtshausküche, dass eine Qualität erreicht wird, die jeder Gast – vom „normalen“ Wirtshausbesucher bis zum Gourmet – nachvollziehen kann. Das ist eine starke Leistung.
Formal zieht sich das Buch entlang einer Art funktionalen Achse. Es gibt Gerichte zu den Themen „Frühschoppen“, „Mittag“, „Familie“, „Die Opferwurst“, „Nach dem Wandern“, „Gib dem Essen Saures“, „Nach dem Skifahren“, „Kaffee Essen“, „Abendessen“ und „Zeit spielt eine Rolle“. Auch hier hat man den Eindruck, dass der Koch und sein Essen ganz „ins Glied zurücktreten“ und sich selbstverständlich den Anlässen unterordnen. Einzig die nicht immer dringend notwendigen Texte eines Co-Autoren bringen hin und wieder (aber nicht immer) eine leichte Verkrampfung ins Spiel, weil sie offensichtlich besonders locker sein wollen.
Die Rezepte sind durch die Bank von hoher Qualität, weil Andreas Döllerer immer „mitten im Geschäft“ ist und es in seiner großen Küche mit den zahlreichen Mitarbeitern richtig „brummt“. Diese Routine wirkt nicht abgeschliffen, sondern ganz im Gegenteil immer wieder wie einer Revision unterworfen, die mit den Entwicklungen des Meisters zu tun hat. Man merkt zum Beispiel an verschiedenen Stellen, dass die moderne Sensorik – in diesem Falle vor allem die Arbeit mit rohen Elementen und ihrer auflockernden Textur – einen ganz dezenten Weg in die Gerichte gefunden hat. Beim Essen merkt man davon vor allem eine Art plastischerer Räumlichkeit, die gut schmeckt und das traditionelle Bild keineswegs umdeutet.
Hier einige besonders beeindruckende Rezepte: „Saurer Saibling“, ein marinierter Saibling mit Pickles, „Teufelsroller von der Forelle“, eine Art Roulade von der Forelle mit einer leicht pikanten Füllung und einem Essigsud, einen rustikal angelegten, kräftig gebratenen Waller mit Rösti und Spinat, die „Gefüllte Rindsroulade mit Bergkäsepüree“, die natürlich schon als Basis sehr gut gemacht ist, dann aber durch das Püree eine komplette Umdeutung erfährt – in eine überraschend süffige Richtung. Der „Wurzel-Saibling“ ist eine Variante des steirischen Wurzelfleisches und schmeckt sehr fein, weil hier natürlich die Vorstellung von schonender Garung aus der Spitzenküche eine Rolle spielen. Beim „Bröselkarfiol, Haselnuss-Béchamel und Blattsalat mit Camelinamarinade“ geht es ganz nebenbei in eine völlig überzeugende vegetarische Richtung. Das „Blunzenbrot mit Basilikum und Essigzwiebel“ spielt mit einem modernen „Salat – Verständnis“. Die „Blattkrapfen mit Sauerkraut und Kaviar“ schaffen tatsächlich den Spagat zwischen einer beträchtlichen Rustikalität und Kaviar-Finesse – auch wenn man hier bei den Proportionen wirklich aufpassen muss. Die „Bachforelle mit roten Linsen und Erbsengazpacho“ ist so fein und differenziert, dass sie ohne weiteres auch als Spitzenküche durchgehen könnte, und last not least bringt beim „Ossobuco vom Reh mit Kohlsprossen und Vogelbeeren“ zum Beispiel die frische Säure der Beeren mit leichter Hand eine wunderbare Optimierung dieses Gerichtes.
Was fehlt, ist die Weinbegleitung. Ich hatte nicht nur das Vergnügen, die Wirtshausküche ausführlich studieren zu können, sondern wegen eines speziellen Themas für „Fine. Das Weinmagazin“ auch die richtigen Weine dazu. Es ging bei der Geschichte innerhalb meiner Serie „Wein und Speisen“ darum, wie sich Wirtshausküche/Regionalküche und gute Weine vertragen. Was Sommelier Alex Koblinger dabei schaffte, war ganz hervorragend. Das Gesamtkunstwerk hatte den Rang großer Küche. Es mag ja verständlich sein, wenn man bei diesen Gerichten zu irgendeinem Bier neigt, das steckt wahrscheinlich in uns allen irgendwie drin. Aber – fragen sie einmal Alex Koblinger nach einer Weinbegleitung….
Fazit
Dieses Werk zeigt einen der interessantesten Köche unserer Breitengrade bei der Arbeit, einen Koch, der von Traditionsgerichten bis zur kreativen Spitzenküche keine Ausfälle zu kennen scheint. Es ist eines der besten Bücher mit Regionalküche, die es im Moment gibt, weil hier die Küche in ihren Stärken vollkommen erhalten bleibt, aber noch zusätzliches Potential freigelegt wird. Durch den Praxisbezug ist das Buch auch für sehr viele Leute nützlich, man kann als Privatkoch ohne weiteres davon profitieren. Am besten wäre es, wenn die diversen Convenience-Folgen in der regionalen Gastronomie mit Hilfe eines solchen Buchs langsam aber sicher beseitigt würden.
Obwohl es hier nicht primär um Kreativität geht, bekommt das Buch zwischen 2 BB und drei grünen BBB
Fotos © Brandstätter-Verlag
In diesem sonst guten Buch fehlen mir leider die Grundrezepte. Z.B. bei „Ossobuco vom Reh mit Kohlsprossen und Vogelbeeren“ würde mich sehr interessieren wie man die Vogelbeeren macht….