Der König ist frei! Das neue Buch von Johannes King

Johannes King: Johannes King kocht. Grosser Geschmack – Meine besten Rezepte. Südwest Verlag, München 2022. 240 S., geb. Hardcover. 36 Euro

Man sollte das kleine Häuschen mit dem Zelt-Vorbau (“Genuss-Shop“ genannt) am Kreisverkehr vor Keitum nicht unterschätzen. Es würde mich nicht wundern, wenn man den Umsatz dort einmal mit dem des Gourmetrestaurants im Söl’ring Hof vergleichen würde und King dabei gar nicht so schlecht aussähe. Es gibt nämlich dort nicht nur von King vertriebene Produkte, sondern immer auch etwas zu essen – neben ein paar Standards unter Verwendung von mehr oder weniger Kaviar und Champagner auch immer wechselnde kleine und/oder kompakte Gerichte. Wenn man so will kann man das wie eine ideale Gourmet-Imbissstube nutzen, also genau jene Kleinigkeiten unaufwändig und mit beliebigem Zeitfaktor (also auch schnell) essen, die den umherschweifenden Gourmet oft ziemlich glücklich machen. Mit dem Schicki-Micki-Faktor muss man auf Sylt ja überall rechnen. Bei meinen Besuchen in Keitum hielt sich das aber immer ziemlich in Grenzen.

Wie dem auch sei: der Meister wirkt seit seinem erst langsamen, dann zügigeren Rückzug aus dem operativen Geschäft im „Söl’ring Hof“ deutlich entspannter. Er macht, was er will, die Leute kommen, der Laden brummt und hinter dem Haus gibt es auch gleich noch einen schönen Kräutergarten. Vor allem bleibt auch wieder Zeit für ein Buch, das dann genau das enthalten kann, womit er sich im Moment beschäftigt. Das interessiert, weil die Reduktion aufs Wesentliche bei seinen – sagen wir: ausgereiften Gerichten schon ein markantes Stilmerkmal ist. So kocht man nicht in einem Gourmetrestaurant und auch nicht da, wo es irgendwie einfach und populär werden soll, sondern da, wo man weiß, wie es geht und Spaß mit guten Sachen haben will. Auf den gar nicht luxuriösen Regalen in seinem Genuss-Shop tummeln sich dann auch viele sehr, sehr gute Produkte aus der Küche und rund um die Küche

 

Das Buch

Johannes King präsentiert seine Lieblingsrezepte der letzten 20 Jahre und hält sich – trotz des Zusammenhangs, siehe oben – weitgehend an die Abläufe eines normalen Kochbuchs. Formal geht es hier um Frühling, Sommer, Herbst und Winter, vermischt mit „Genussthemen“ wie die auf Sylt häufig anzutreffende Rosa Rugosa, Kaviar, Brot, Käse, Honig, Portwein, Madeirawein, Trüffel und Armagnac. Mit Bildern wird nur wenig aufgelockert, so dass man erst einmal etwas überrascht ist, dass man in diesem Buch nicht noch ein Stück weiter ins Atmosphärische gegangen ist. Es gäbe schließlich jede Menge von Sylter Klischees, die man sowohl widerlegen wie bestätigen könnte, man könnte sich die Sache ins eher lockere Fach denken, aber auch etwas tun, um einen engeren Zusammenhang mit Kulinarischem herzustellen. Wenn denn Sylt nicht der ganz große Produktlieferant ist: warum hat sich hier trotzdem eine Menge Spezifisches entwickelt? Johannes King erzählt dazu eine ganze Reihe von Dingen in seinem Vorwort, zum Beispiel auch, dass er das Thema Nachhaltigkeit für sich lange noch nicht abgeschlossen hat.

Andererseits tragen die Rezepte von Johannes King natürlich auch alleine. Das Spektrum ist – wie oben angedeutet – groß und reicht von technisch eher einfachen Snacks bis zu ausgereiften Gerichten eines Meisters, der sie über viele Jahre optimiert hat. Es gibt also zum Beispiel die rustikal aussehende „Salzkartoffel“ – „Wilder Spargel, Ziegenbutter-Hollandaise. Dann den prächtigen „Sylter Strandsalat“ und ein schönes „Kaninchenragout mit schwarzem Champignon und gebackener Petersilienblüte“. King findet häufig einen Mix aus Finesse und Bodenständigkeit, zum Beispiel beim „Kabeljau mit Krabbensud und Schmorgurke“, wobei der Krabbensud natürlich aller Ehren Wert ist und so etwas wie traditionelle Gourmetküche darstellt. Ganz nebenbei gelingt mit der „Gestockten Mandelmilch, Gartenblüten, Rhabarber und Waldmeister“ auch ein sehr schönes Dessert. Etwas schwächer werden die Rezepte, wenn es in eine Art weichgespülte, deutsche Traditionsgourmandise geht, zum Beispiel beim „Maibockrücken mit Rettich, Kirschen und Mandeln“, immer stärker werden sie, wenn die Bodenständigkeit mit Raffinesse gepaart wird, wie etwa beim gebackenen, gebratenen und getrockneten Nordsee-Kalamar auf der Basis eines Pürees von Salzwiesenkräutern oder den „frischen Matjes, fast pur“, die natürlich nicht wirklich pur, sondern mit Einlegefond und Vinaigrette erheblich an Tiefe gewinnen. Manchmal geht es auch ganz reduziert, wie etwa beim „Röstbrot mit Radiechen, Giersch und Gundermann“, dem „Gefüllten Rosenkohl mit Katenschinken und Kastanien oder den „Sprottenkrapfen mit Apfel uns Senf. Dann wieder aus der Region geboren raffiniert wie etwa beim „Sylter Muscheltopf“ oder einem „Rauchaal mit Bratbirne und Zwiebelsegmenten“, oder bei den in Salzteig gegarten Bete mit Altem Michel, Öltrio und Essig-Cuvée, wobei wieder die Sauce ein trickreiches Gebilde ist, die dem Ganzen einen erheblich raffinierten Zusammenhang gibt.

 

Fazit

Dass Buch ist kulinarisch unterhaltsam, weil sich Johannes King mit großer Freiheit in seinem Metier bewegt. Es gibt einen beträchtlichen Anteil an guten und interessanten Rezepten, einen deutlich kleineren mit eher unauffälligem Material und insgesamt eine sehr zuverlässige Leistung. Irgendwo zwischen den Zeilen beginnt man sich beim Lesen allerdings vorzustellen, dass es da noch Perspektiven gäbe. Sein Nachfolger im „Söl’ring Hof“ geht bisweilen in eine extreme Finesse, die aber regional eingebunden ist. King hatte wohl nie wirklich diese Art von Finesse im Sinn, sondern suchte immer das „dunklere“, bodenständigere Register (wie es manche spanischen Köche tun). Es klingt bei einer ganzen Reihe von Rezepten an, und wenn der Meister noch nachdenkt, könnte ja in dieser Richtung vielleicht noch etwas kommen.

Dass Buch liegt zwischen einem und zwei grünen BB, ist aber im genannten Sinne durchaus anregend.

Fotos: Luzia Ellert

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