Der Gault Millau versucht es mal wieder. Kritische Notizen zur Ausgabe 2025.

 

 

Ich hatte gestern ein längeres Interview im WDR wegen des neuen Gault Millau und habe mir deshalb die bisher vorhandenen Daten etwas genauer angesehen. Hier einige Notizen dazu, stichwortartig. Man muss immer darauf hinweisen, dass der Führer in ausführlicher Form noch nicht erschienen ist, und insofern einige Details fehlen.

– die Bewertungen sind sehr affirmativ und sollen wohl erst einmal eine gute Stimmung rund um den GM verbreiten. Die Zahl der Abwertungen ist sehr gering, die Zahl der Aufwertungen sehr hoch.

– wenn man die Hauben-Listen bis zum Ende durchsieht, fällt auf, dass die Zahl der aufgewerteten Restaurants immer weiter zurückgeht bis es quasi keine aufgewerteten Restaurants mehr gibt. Der Schluss drängt sich auf, dass man diese Restaurants nicht neu bewertet hat – vermutlich wäre das zu teuer geworden.

– Die Aufteilung in rot und schwarz erinnert an die schon einmal praktizierte Einordnung von rot = kreativ, und schwarz = eher klassisch. Dies ist heute nicht mehr der Fall, rot ist eher wie ein halber Punkt mehr. Es fragt sich dann, was die diversen Listen damit anfangen, ob sie also für „die Roten“ eine höhere Wertung ansetzen. Würde man dies tun, kämen für die absolute Spitze in den Rankings (also Höchstnoten in allen Führer) nur die 5 GM-Spitzenreiter in Frage.

– die gebildete Spitze mit Hartwig, Wissler, Michel, Bau und Rambichler ist nachvollziehbar. Am ehesten dürften die Frage gestellt werden, warum Elverfeld und Marco Müller nicht dabei sind.

– die 15 Köche der Oberklasse sind ebenfalls weitgehend nachvollziehbar, aber ohne wirkliche Überraschung und ohne ein erkennbares Konzept des Führers. Eine solche Struktur scheint recht objektiv zu sein, kann aber auch anders gesehen werden – zum Beispiel weil man Mainstream und Kopisten vor Individualität stellt und so keine wirklichen Impulse für eine Mitwirkung an der Profilierung der deutschen Spitzenküche gibt.

– das Zitat des Herausgebers „20% mehr Auszeichnungen in der Spitze sind ein eindrucksvoller Qualitätsnachweis…“ ist sprachlich-logisch ein Unding. Man vergibt Noten und erweckt dann den Eindruck, diese Noten wären ein Beweis für Qualität. Da greift der Herausgeber, den ich wegen seiner verqueren Logik schon vor Wochen kritisiert habe, wieder einmal daneben.

– die Ernennung von Benjamin Peifer vom „Intense“ hat dagegen eine ganze Reihe von positiven Aspekten. Die Wahl eines Koches, der einer beträchtlichen Anzahl von Leuten unbekannt sein dürfte und nur über einen Michelin-Stern verfügt, ist ein interessantes Zeichen. Hier – aber auch nur hier – wird der GM einen echten Effekt erzielen, also für vermehrten Zuspruch sorgen und Interesse fokussieren. Wenn Führer so wirken, ist es interessant – wenn auch nicht einem ähnlichen Schritt bei Michelin vergleichbar.

– Stilistisch gesehen ist die Entscheidung für Peifer in den regionalen Aspekten sehr gut, in den japanischen/asiatischen immer unter Neo-Mainstream-Verdacht.

– Womit dann endgültig auffällt, dass die Förderung einer Küche, die sich deutlicher auf regionale Ressourcen stützt, nicht das Hauptding von GM ist. Im Gegenteil hat man anscheinend noch nicht erkannt, dass Deutschland seit nunmehr schon etlichen Jahren – wieder einmal – ein Mainstream-Problem hat. Man kann oft nicht unterscheiden, welche Menüs von welchem Koch sind und wo sich die Restaurants befinden, weil sich die Regionen nicht wirklich in den Gerichten widerspiegeln. Es geht dabei nicht nur um regionale Produkte (die man zu allem Möglichen verarbeiten kann), sondern um den aromatischen Charakter der Regionen oder auch um den assoziativen Kontext, der sich mit regionaler und/oder traditioneller Küche völlig anders verbindet als mit einem beliebigen Mainstream. Auch die Aufwertungen und die Bewertungen diverser jüngerer Köche befördern Mainstream statt Individualität. Individualität haben diese Küchen vielleicht im lokalen Rahmen, nicht aber nationwide. Es fehlen da auch explizit Auszeichnungen, die Defizite anzeigen, weil sie das fördern, was diese Defizite beseitigen könnte.

– Insofern muss man die kulturelle Bedeutung dieser Bewertungen zurückhaltend einschätzen. Der GM setzt im wesentlichen Akzentchen, „schleicht sich an“, will nicht unangenehm auffallen, entwickelt so aber kein Profil.

– Wie gesagt: es fehlen noch die Texte des Führers. Der GM profitiert heute immer noch davon, dass viele Journalisten meinen, es gäbe nur Michelin und Gault Millau und der Rest wäre überflüssig. Dass der GM mit diesen Bewertungen – Ausnahme: Peifer – ausgesprochen schlaff auftritt, wird seine längst existierend, reale Rolle nicht verbessern: gegenüber der direkten Konkurrenz (Gusto) hat er keine Position gesetzt, gegenüber den Unmengen von Online-Bewertungen bedient er nur noch Sparteninteressen. Es hätte natürlich Wege gegeben, ein echtes Profil wiederherzustellen (z.B. andere Bewertungsstruktur, stilistische Differenzierung, Förderung der Regionalküche, Berücksichtigung der populären Gastronomie usw. usf.). Man ist diese Wege nicht gegangen. Insofern erinnert man sich daran, dass die beiden Gründer auch nicht gerade Avantgardisten waren, sondern sich im Nachhinein als vorwiegend konservativ mit einem gewissen Drang zu Auflockerung und Unterhaltung herausgestellt haben und fachlich (siehe die Regeln für die Nouvelle Cuisine) schlicht und einfach naiv waren.

5 Gedanken zu „Der Gault Millau versucht es mal wieder. Kritische Notizen zur Ausgabe 2025.“

  1. Die schlechte redaktionelle Arbeit des GM kann ich als bewerteter Betrieb nur bestätigen.

    Der Text zu meiner Bewertung wurde von einer TripAdvisor Bewertung kopiert (inklusive der Fehler des mir bekannten Verfassers) und auf ein anderes Datum als Testdatum geschrieben.
    Dies hat nichts mit wirklichem Testen zu tuen.

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  2. Die Auszeichnung von Benjamin Peifer zum Koch des Jahres ist mutig und absolut gerechtfertigt. Seit wann muss ein ausgezeichneter Koch vielen Menschen bekannt sein? Das hat der Gault Millau hier erkannt. Die Aspekte Regionalität sowohl im Stil als auch im Einkauf der Lebensmittel haben sie ja bereits erwähnt. Benjamin Peifer steht gerade nicht unter Neo-Mainstream-Verdacht. Denn seine Küche ist sehr persönlich, geradezu eine Cuisine d’Auteur, quasi das Gegenteil von „Mainstream“.

    Seine Gerichte sind unverwechselbar und es gibt viele Teller, die ich so nur im Intense bekommen könnte. Auf diesem Level der Eigenständigkeit kenne ich in Deutschland gerade mal eine Handvoll Köche. Bau, Raue vielleicht, um hier jemanden zu nennen.

    Und da Peifer seit Jahren in der Provinz auf höchstem Niveau kocht und eigentlich 2 Sterne haben müsste, ist die Auszeichnung eigentlich überfällig.

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  3. Die Tester in einigen Gebieten z B. NRW sollten sich einer Gastronomie Ausbildung Auszeichnen. Nan sollte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.Z B wie kann ich ein Restaurant Disco 1Jahr am Markt ist und Keine Speisenkarte hat mit einem Sternerestaurant das längere Zeit mit einem Sternausgezeichnet ist vergleichen.Fas Richt. ganz stark nach einer Gefälligkeit oder einer Geschäftlichen Beziehung an.

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  4. Online sind die Bewertungstexte ja bereits verfügbar. Bei der ersten Lektüre ist mir bei einigen mir bekannten Restaurants aufgefallen, dass die Texte häufig, sehr oberflächlich („mit viel Liebe zum Detail zubereitet“ / „ausgezeichnete, gekonnte Kombinationen“), mit banalen und trivialen Floskeln beladen (was ist denn bitte „blitzsaubere Kochkunst“ / „hier fährt nichts aus der Spur – außer vielleicht die Geschmacksknospen, die bei jedem Bissen in ungeahnte Richtungen entführt werden“ /“kulinarisches Juwel“ / „seine Leidenschaft fürs Kochen ist spürbar“) und unterm Strich sehr wohlwollend („Mit Respekt vor dieser großartigen Leistung, sehr glücklich und satt, treten wir in die Nacht hinaus“) daherkommen. Vom einstigen kritischen Biss des GM ist nichts mehr übrig. Quo vadis Gaulkt Millau? Vielleicht sollte der Guide seine Tester sorgfältiger briefen/auswählen. Wenn ich die GM-Texte mit beispielsweise denen des Gusto vergleiche, so sind die Gusto-Wertungen wesentlich detaillierter, kompetenter und auch kritischer.

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    • Wir sind doch uberall in der Gesellschaft „weichgespült“ ja nicht anecken, egal was man denkt. Regional ist so ein Beispiel, wo bitte kommen den Wolfsbarsch, Jacobsmuscheln, Yuzu, etc her? Wilder Broccoli, Keniabohnen, und etc. Spitzenküche ist nun mal Europaweit, bzw Weltweit. Was so manche „kreieren“ ist auch dem Geschmack(10 verschiedene Texturen) auch nicht, wirklich zuträglich, aber! Modern.

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