Kennen Sie „Deutschlands größtes Foodmagazin“? Wenn man mich so etwas gefragt hätte, hätte ich auf irgendeines dieser Blätter getippt, die in einem kleinen Ständer an den Kassen der Supermärkte angeboten werden. Ich sehe sie mir seit langem noch nicht einmal im Schnelldurchgang an, weil sie bei mir regelmäßig Aggressionen auslösen (das ist die gute Reaktion) oder Depressionen (das ist die schlechte Reaktion). Ich komme dann immer an der Stelle aus, wo ich überlege, ob der Kampf für das gute kulinarische Qualitäten vielleicht ohnehin verloren ist und man sich – wie das in vielen kulturellen Bereichen ja längst passiert ist – in seine speziellen Zirkel verabschiedet, wo man kompromisslos und ohne irgendwelche Hintergedanken einfach nur über die richtig guten Sachen nachdenkt. Solle sie doch ihren Mist allein machen.
Leider ist das keine Lösung, weil die Verbreitung von kulinarischem Unsinn, schlechten Produkten und blödsinnigen Matsch-Rezepten (darauf komme ich gleich noch) nicht frei von Nebenwirkungen ist. In einer „freien“ Marktwirtschaft bedeutet der Sieg des Schlechten, Durchschnittlichen, Uninspirierten immer auch die Niederlage des Gegenteils. Wenn in einem Supermarkt ein gutes, interessantes, aber etwas hochpreisigeres Produkt „ausprobiert“ wird und nicht läuft, wird es schnell aus dem Sortiment entfernt. Scheinvielfalt von Produkten (z.B. Aufschnitt oder Käse), die im Grunde alle nicht wirklich gut sind, ersetzt dann häufig eine vertikale Qualitätsstruktur, und selbst wer Kartoffeln sucht, die einfach nur ganz klar und sauber „nach Kartoffel“ schmecken sollen, scheitert oft an merkwürdigen Züchtungen, von denen mindestens die Hälfte schwarze Flecken hat.
Edeka übernimmt mal eben die Führung
„Deutschlands größtes Foodmagazin“ hat den Titel „Mit Liebe“, wird gratis verteilt und sieht mit 162 Seiten so aus wie ein journalistisches Produkt. Ich will jetzt hier nicht damit anfangen, darüber zu diskutieren, wie sich solcher Scheinjournalismus auswirken kann, wenn er so tut als ob, welche Auswirkungen so etwas hat, und ob die Vortäuschung eines journalistischen Produktes vielleicht irgendwo einmal genauer untersucht werden sollte. Es ist ja keine Novität. Schließlich finden sich bisweilen selbst in großen Tageszeitungen oder seriösen Magazinen große, beigeheftete Anzeigen, die fast genauso aussehen, wie die „normalen“ Seiten, aber pure kommerziell motivierte Werbung sind.
Auf dem Titel gibt es Überschriften wie: „Erdbeer? Bitte sehr! Süße Ideen mit unserer Lieblingsbeere“, „Hurra, Spargel ist da! Das feiern wir mit spitzenmäßigen Kreationen“, oder „Will ich, grill ich. Auf die Hand, vegetarisch oder raffiniert? Hier kommt das Beste für alle Grillfans“. Das Inhaltsverzeichnis und das Layout sind ebenfalls eine – sagen wir: frei inspirierte Zusammenstellung von Anlehnungen bei den diversen Food-Zeitschriften, die ja ihrerseits auch schon seit vielen Jahren die Sprache der Supermarkt-Werbung – sagen wir: gut studiert haben. Es gibt „Doppelpack. Ein Gericht, zwei Rezepte“, die Abteilung Saisonales unter der Überschrift „Jetzt schmeckt“, „Food & Trends“, eine Kolumne eines flotten, gar nicht wie ein solcher aussehenden Ernährungsberaters usw. usf.. Ähnlichkeiten mit anderen Zeitschriften sind rein zufällig. Das alles gibt es gratis und – man darf es vermuten – in einer Auflage, die etwa so hoch sein dürfte wie alle anderen deutschen Foodmagazine zusammen.
Die unheilige Allianz zwischen Supermarkt und Trendküche
Das alles hätte mich nicht dazu bewegt, irgendetwas über dieses Magazin zu schreiben. Was mich aber sofort interessiert hat, ist die Optik und der ganze Duktus vieler der hier abgebildeten Gerichte. Ich habe immer die Meinung vertreten, dass die ganze vorderasiatische-türkische-libanesische-israelische usw. – Küche, plus die davon inspirierten, unendlichen Mengen von Büchern und Rezepten der unendlichen Schar von FoodbloggerInnen und Drei-Minuten-Küchen vor allem Eines repräsentieren, nämlich einen hochgradigen Mangel an Sensibilität gegenüber den Produkten und den menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten. Man arbeitet einfach nach dem Motto, dass man schon alles irgendwie zusammenwerfen kann und das dann alles auch irgendwie zu essen ist. Hauptsache, die Bilder kommunizieren das Richtige, wozu auch gehört, dass man nicht nur Bilder der Gerichte verkauft, sondern die richtige Gesinnung und den richtigen Lifestyle gleich mitliefert. Man kann die Rezepte vieler international berühmt gewordener AutorInnen entwerfen, ohne sie jemals probiert zu haben, und ich wette, dass so etwas von Niemandem bemerkt würde.
Bei Edeka setzt man ganz auf diese Entwicklung, die den Leuten so kommerziell wunderbar verwertbar suggeriert, man könne mit allem, was im Supermarkt angeboten wird, natürlich ganz tolle Küche machen. Und wenn man das dann für seine vielen Freunde macht, fällt deren vernarbten Geschmackspapillen natürlich auch gar nicht auf, dass die Grundprodukte oft schlimmste Massenware sind, dass die Gerichte überwürzt sind, dass sie eine bizarr sinnlose sensorische Struktur haben usw. usf. Das Schlimmste für die Supermarkt-Welt wäre schließlich, dass ihre Kundschaft sensibel wird und am Ende mitbekommt, dass zwischen den richtig guten und frischen Produkten und dem leider häufig anzutreffenden Supermarkt-Angebot Welten liegen.
Nun also ist das passiert, was ich schon lange befürchtet habe. Edeka und Co. (die anderen versuchen Ähnliches) suchen den Schulterschluss zu Trends, die schon lange keine mehr sind, immer noch als solche verkauft werden und eigentlich nie Trends waren, weil sie nirgendwo hin führen. Sie haben entdeckt, dass die willkürliche Matsch-Küche, die Als-Ob-Küche ein ideales Spielfeld für ihr Marketing ist. Ob – im Umkehrschluss – die vielen AutorInnen, die schon seit vielen Jahren immer wieder das Gleiche zusammenwerfen, daraus irgendwelche Konsequenzen ziehen, muss bezweifelt werden. Werden sie zu einem Minimalismus zurückkehren, der wirkliches Schmecken zulässt? Wohl kaum. Wird sich die heimliche Alliance zwischen Discountern, Supermärkten und „Trendküchen“ verstärken? Ja. Vermutlich wird es so werden wie mit den TV-Köchen, die zwar kaum jemals ernst zu nehmende Arbeit leisten, und sich deshalb in ihrer Sonderexistenz wohlig eingerichtet haben. Nur – wenn sich immer wieder Grüppchen kommerziell motiviert ins kulinarische Abseits, Jenseits oder Seitliche begeben, werden wir eines Tages vergessen, was gut ist. Wir stellen uns dann hinter Edeka und definieren das, was als gut gelten soll, einfach neu.