Die spanische Zeitschrift „Apicius“ gehört zu den ganz wenigen Magazinen dieser Welt, die sich mit großer Konsequenz der kreativen Spitzenküche widmen. Die neue Ausgabe hat ein verändertes Konzept, bleibt aber nach wie vor beim Thema. Erinnern wir uns: Zu Beginn im Jahre 2003 war „Apicius“ eine Art Verlängerung der Aktivitäten der besten spanischen Kreativen in die gedruckte Form. Die erste Ausgabe präsentierte Neues von vielen Köchen, die auch heute noch aktiv sind und Neues produzieren, wie etwa Albert und Ferran Adrià, Dani Garcia, Jordi und Joan Roca, Martin Berasategui oder Ramón Freixa. Es gab – wohlgemerkt vor 14 Jahren – den „Schnee“ und die „Erde von zehn Schokoladensorten“ von Albert Adrià, die „Parmesan Spaghetti“ von Ferran Adrià oder fünf Interpretationen von Parfüms aus der Hand des noch sehr jungen Jordi Roca. Im Laufe der Jahre entstand aber für „Apicius“ ein eigener Kreativitätsdruck, also so etwas wie der Drang, immer noch Neueres und Spezielleres zu präsentieren – man kennt so etwas auch aus der Kunstszene. In der Folge war „Apicius“ dann so nah am Ball der Avantgarde, dass man zeitweilig ein wenig zu stark in außerirdische Sphären entschwand. „Apicius“ wurde schon fast so etwas wie ein Journal für kulinarische Esoterik. Das ist nun vorbei. Man ist wieder mittendrin.
Apicius Nr. 29
Zuerst einmal ist man geneigt, ein solches Heft mit seinen 240 Seiten so ernst zu nehmen wie ein Buch – was bei einem Preis von 35 Euro natürlich auch naheliegt. Wichtig ist in der neuen Form die volle Konzentration auf die „nur“ sieben Köche und ihre Rezepte, von denen diverse Einzelzubereitungen mit Step-by-Step-Bildern erläutert werden. Auch wenn gestandene Köche unter den Lesern natürlich keine Hobbyköche sind, die mit Hilfe solcher Detailbilder die Rezepte nachkochen wollen, ist ein genauerer Blick auf die Kochtechniken immer interessant. Die Protagonisten der Ausgabe sind ausschließlich Spanier: Joan Roca (El Celler de Can Roca), Eneko Atxa (Azurmendi), Dabiz Munoz (DiverXO), Andoni Luis Aduriz (Mugaritz), Ángel León (Aponiente), Diego Guerrero (DSTAgE) und Paco Morales (NOOR). Es gibt jeweils einen ausführlichen einführenden Text oder ein Interview, eine Doppelseite mit Impressionen aus dem Restaurant und dann eine Reihe von Rezepten mit normalem Foto und – nicht durchgehend für alle Elemente – Step-by-Step-Bildern. Die Ausgabe ist zweisprachig spanisch/englisch, so dass auch eine weltweite Verbreitung möglich ist. Dass man auf diese Weise viel Platz braucht, macht sich dann natürlich bei der recht kleinen Schrift bemerkbar.
Das Heft startet mit Joan Roca und seinem „The World“ – Amuse Bouche-Baum (der auch auf dem Titelblatt zu finden ist), auf dem sich kleine, typische Zubereitungen aus verschiedenen Teilen der Welt finden. Zu den bemerkenswertesten Präsentationen in „Apicius 29“ gehören: die schöne Austernvariation „Auster mit Chardonnay“ von Joan Roca, das Erbsengericht rund um die „Teardrop“-Erbsen von Eneko Atxa, das in sehr großer Offenheit und mit einem ganz klaren Verständnis von Avantgarde geführte Interview mit Andoni Luis Aduriz, das „Geeiste Consommé, Rogen und Wasserkresse“ von Aduriz und seine kunstnahe Präsentation von „Memento Mori“ (einem Lorbeerzweig mit einem „behandelten“, nachgebauten Blatt) – wie Aduriz ganz allgemein nach wie vor ziemlich „hardcore“ ist. Von Angel Leon stammt eine Mischung aus Gemüse und Häuten, von Diego Guerrero ein minimalistisches „Tomate und Garum“, ein „Markknochen von Wild mit Escabeche und Messermuschel“ und ein „Mexico“ genanntes Gericht inklusive Totenkopf. Den Abschluss bildet Paco Morales, der sich auf orientalisch-mediterrane Gewürze spezialisiert hat – wie etwa bei seinem „Pistazien-Karim und Äpfel mit Wüsten-Gewürzen, Bottarga und frischem Oregano“.
Fazit
Für Freunde der zeitgenössischen spanischen Küche und einer konsequenten Avantgarde ist „Apicius“ natürlich ein Muss. In dieser wieder konkreter an die Sache herangehenden Form gehört das Magazin zu denjenigen Organen, die man zur Pflichtlektüre ernennen sollte (wie es auch „Port Culinaire“ ist). Wenn man wissen will, was die kreativsten Köche der Welt beschäftigt, muss man solche Magazine lesen.
„Apicius“ erhält 3 grüne BBB