Am Samstag, den 27.1. 2024 fand im Ballsaal von Schloss Bensberg die Gala zur Ehrung der „Lieblinge des Jahres“ statt, die ich seit dem Jahr 2007 für die FAZ auswähle. In diesem Jahr war der Saal – wie immer – ausverkauft und mit 164 Gästen besetzt. Es gibt ein Menü, das von den „Lieblingen des Jahres“ in verschiedenen Kategorien gekocht wird. In früheren Jahren war es eine zeitlang nur der Koch des Jahres, der allein für das Menü zuständig war, dann auch zwei Köche. Wegen der Schwierigkeiten bei der Realisierung hatte ich dann der Redaktion vorgeschlagen, ein Menü aller prämierten Köche zu machen und jeweils einen Gang pro Koch vorzusehen. Das wurde von der Redaktion (die ja nicht spezialisiert ist) als problematisch angesehen. Ich war mir aber sicher, dass Profis das genau umgekehrt sehen. Mein Vorschlag wurde dann umgesetzt, und seitdem klappt alles ganz wunderbar.
Technische Voraussetzungen
Dennoch ist es ein schwieriges Unterfangen, für diese Anzahl von Gästen zu kochen und vor allem ein Gericht anzubieten, das das gewohnte Niveau aus dem Restaurant hat. Wohlgemerkt: es geht hier nicht um ein Kreuzfahrtschiff, das die Gerichte von vornherein so konzipiert, dass sie in großer Stückzahl reproduziert werden können. Es geht hier oft darum, dass auch Drei Sterne-Köche, die in ihrem Restaurant vergleichsweise überschaubare Mengen produzieren, 164 Gerichte in einer Qualität schaffen, die so nahe wie möglich an die Restaurant-Qualität kommen.
Die Köche haben für die Vorbereitung durch das Konzept durchaus viel Zeit. Aber – dann kommt der Service, und sie müssen in etwa 10 bis maximal 15 Minuten alle Teller schicken. In der Küche gibt es oft eine Line-Production mit einem Laufband, an dem jeder beteiligte Koch (alle helfen sich gegenseitig, alle Preisträger haben meist Leute mitgebracht) ein Detail anlegt. Auf diesem Niveau sind eben Teller, die schon lange stehen, nicht möglich. In diesem Jahr hat zum Beispiel Tony Hohlfeldt (siehe unten), der einen eigenen, großen Raum bekommen hat, den ganzen Raum stark runtergekühlt, um das Sorbet früher anzurichten, weil dann eine Reihe von Elementen à la minute dazukommen. Das Alles ist machbar. Aber nicht jeder Koch ist an solche Mengen gewöhnt.
Das spezielle Menü-Konzept
Mein Konzept für das Menü hat etwas mit der Auswahl der „Lieblinge“ zu tun. Die Preisträger stammen aus ganz unterschiedlichen Bereichen von Szenerestaurants über Restaurants der Regionalküche bis zu unterschiedlichen Sterneköchen bis hin zu Drei Sterne-Köchen. Das bringt es dann natürlich mit sich, dass das Menü aus oft sehr unterschiedlichen Gängen besteht, die man normalerweise nie in einem Menü zusammen bekommt. Während so etwas üblicherweise von einigen Leuten eher mit Bedenken gesehen wird, bin ich immer der Meinung gewesen, dass das Publikum mit dieser Vielfalt überhaupt keine Probleme hat. Für die Köche ist es eher eine Herausforderung, dass sie unter Umständen mit fein ziselierter Avantgarde gegen eine süffig-populäre Küche antreten müssen und damit mit Neuem gegen liebgewonnene Klassiker, die sehr viele Leute gut finden. So war es dann auch in diesem Jahr. Bei der Beschreibung der Gänge werde ich weiter unten darauf eingehen. Und – ja, ich schrecke auch nicht unbedingt davor zurück, Reize zu setzen, also Gerichte vorzuschlagen bzw. aufzunehmen, von denen ich weiß, dass sie gewisse Anforderungen an die Gäste der Gala stellen. Das Ergebnis ist fast immer das Gleiche: die Leute lieben solche Dinge, bei denen sie auf hohem Niveau immer wieder mal auch auf Neues und Ungewohntes treffen.
Bei der Vorbereitung schlage ich den Köchen ein Gericht vor und hoffe dann, dass sie zustimmen und den Gang realisieren. Im Menü herrscht dann übrigens durchaus eine manchmal ungewohnte Reihenfolge, wobei das Hauptgericht jeweils vom Koch des Jahres national oder international kommt. Hier nun die Gänge des Menüs vom 27.1.24, auch in Hinblick auf die Spezifität innerhalb des Menüs kommentiert.
Ofen-Sellerie, Tomate, Chili, Marinade, Gewürzjus
(Sebastian Radtke, „Macionga“, Berlin – Newcomer des Jahres)
Die Wahl von Sebastian Radtke hat unmittelbar etwas mit dem Format des Restaurants „Macionga“ zu tun. Das nach dem ehemaligen Sommelier von Tim Raue (und von ihm betriebene) Restaurant unweit des Kurfürstendamms arbeitet mit Gerichten in Tapas-Größe, die man sich ohne Menüzwang frei wählen kann. Das kommt sehr gut an und entpuppt sich auch als kulinarisch sehr interessant, weil die Küche sehr berlinerisch-zeitgenössisch-modern ist, eher kleinformatig-modern denkt und sich typischerweise nicht mit großen a la Carte-gerichten befasst.
Ich wollte Sebastian Radtke zu Beginn des Menüs und mit einem Gemüsegericht einsetzen, weil dieses Gericht sich nicht „einschleicht“, sondern gleich eine klare Ansage – auch an Modernität – ist. Die geschmorte Scheibe Sellerie mit den div. Mikros und der kräftigen Jus ist sofort mundfüllend, gleichzeitig süffig und unverkennbar kräftig, weil die Sauce auf der Basis einer Gemüsereduktion einen ganz charakteristischen Zusammenhang ergibt. Hier ist Gemüse nicht ein zartes Pflänzchen, sondern ein Träger für Umami und Kräftigkeit, die sich völlig selbstverständlich entfaltet. Wie sich herausstellte, war dieser Start, diese klare Ansage durchaus kein Problem, und schon gar nicht im Zusammenhang mit dem völlig andersartigen zweiten Gang.
Forelle 25 Teiche & Kohlrabi, Oxalsäure
(Marco Müller, „Rutz“, Berlin – Koch des Jahres national)
Bei Marco Müller war ich von seiner Forelle im „Rutz“ mit am meisten fasziniert (…obwohl sich mittlerweile auch die Faszination für eine ganze Reihe anderer Gerichte eingestellt hat..). Ich habe gefragt, wußte aber, dass der im Restaurant dazu gegessene und sehr prägende Rhabarber außer Saison ist. Er war auch nicht – was denkbar wäre – eingelegt vorrätig. Müller hat dann erst angedeutet und wurde wenig später mit einem exzellenten Vorschlag immer konkreter (Sie finden die Details des Rezeptes in meinem Post vom 24.1.24 hier auf www.eat-drink-think.de).
Das servierte Gericht brachte einen kaum zu übertreffenden Kontrast zum ersten Gang. Konnte man dort mit voller Gabel/Löffel essen, musste man hier in die Details gehen, die unter der Oberfläche kaum zu sehen waren. Natürlich ist es schwierig, diese Menge von Details nachzuvollziehen. Ein Gast fragte ich später, ob ich das denn wirklich alles schmecken könne. Meine klare Antwort war: Ja, wenn ich den Gang dreimal hintereinander serviert bekomme. Aber – darum geht es hier nicht. Es gut um die Anmutung, es geht darum, dass man erkennt, welche sagenhafte Finesse und welcher Tiefgang in solchen Kompositionen steckt und dass man hier eine Tür geöffnet bekommt, die in völlig neue Geschmacksräume führt. Das habe ich dann später auch während der Moderation gesagt. Die Leistung, die mit einigen Leuten aus der Küche des „Rutz“ (Denis Quetsch war ebenfalls dabei) realisiert wurde, war enorm. Die Reaktion der Gäste ziemlich genau da, wo sie sein sollte, wo sie gut ist, also rund um das, was ich mir versprochen hatte. Von der kross getrockneten Haut obenauf hätte man allerdings vielleicht nicht ganz so viel gebraucht…
Rosenkohl mariniert und in geräucherter Butter gegart, geröstete Erdnüsse und – schaum, Preiselbeeren, Hagebutten-Largo-Marmelade
(Denis Feix, „Marburger Esszimer“ im Vila Vita Hotel in Marburg – Gemüsekoch des Jahres)
Als ich zuletzt bei Denis Feix war, ging es um Wein und Speisen und keineswegs um Gemüseküche. Dann aber gab es neben dem vorgesehenen Menü noch ein paar Kleinigkeiten und weitere Gänge und es wurde völlig klar, dass hier ein enormes Niveau beim Gemüse erreicht wird, das unbedingt stärker ins Bewußtsein der Öffentlichkeit kommen sollte. Auch hier hatte ich einen konkreten Vorschlag, der sich aber ebenfalls wegen saisonaler Aspekte nicht realisieren ließ. Feix bot dann Ähnliches mit Rosenkohl an, was ich sofort eine gute Idee fand, weil dann ein nicht besonders populäres Produkt im Mittelpunkt stünde, das er dann mit seinen Fähigkeiten auf ein neues Niveau befördern könnte.
Exakt so ist die Wirkung dieses Gerichtes, dem man übrigens den Geschmack bestimmter Teile nicht ansieht. Es gibt natürlich auch komplette Rosenkohl-Köpfchen. Andere sind aber in Wirklichkeit Erdnußschaum, auf den Feix Rosenkohlblätter gelegt hat. Die Komposition insgesamt ist schlicht und einfach bestens geeignet, den Rosenkohl sozusagen zu emanzipieren. Es gibt eben keine Edelprodukte und solche, die unedel sind. Es gibt nur gute Produkte – was man hier genau sehen konnte. Der Unterschied zwischen einem frischen, sehr festen Rosenkohl und der üblichen, oft schon leicht angegriffenen Textur der handelsüblichen Ware ist enorm. Er reagiert frisch völlig anders auf die Garung und entwickelt ganz andere Röstnoten. Die hochfeinen Umspielungen tun dann ein Übriges. Das Bild sieht noch vergleichsweise „normal“ aus, der Geschmack ist von großer Finesse.
Serviettenknödel mit Rahmschwammerl und Iberico-Schinken
(Johann Landersdorfer, „Landersdorfer und Innerhofer“, München – Das besondere Restaurant)
Dies ist das Gericht, das bei den meisten Gästen ein glückliches Lächeln auf die Gesichter gezaubert hat. Wieder hatten wir zunächst Probleme, weil ich es mit frischen Morcheln kenne und die frischen Morcheln im Januar eben nicht verfügbar sind. Als Johann Landersdorfer dann von „Schwammerln“ sprach, hatte ich zuerst die Vorstellung von einem winterlichen Pilzangebot aus vielen wässrigen Schwämmen o.ä. und habe ihn gebeten, doch ev. ein paar getrocknete Morcheln einzusetzen. So war es dann auch, und die Morcheln brachten gerade das Maß an Aroma, das die Sauce braucht, um ihre ganze klassische Kraft zu entfalten. Die Kombination mit den Serviettenknödeln und dem Schinken bringt eine unglaubliche Süffigkeit der klassischen Art. An meinem Tisch hätten alle Gäste davon noch mindestens eine weitere Portion essen können. – Ich habe solche Klassiker, solche – für viele Leute – Erinnerungen an wunderbare Erlebnisse mit klassischer Küche gerne in diesen Menüs, weil sie einfach einen wichtigen Punkt berühren. Man kommt nicht etwa „vom Hölzchen aufs Stöckchen“, sondern es werden bei der Gala verschiedene Geschmacksregister mit einem ganz unterschiedlichen assoziativen Kontext aufgeschlossen. Das hat einen großen Reiz.
Short-Rib, geschmorte Sellerie, Salzzitrone, Lauch
(Sebastian Zier und Robert Schmidtkonz, „Einstein Gourmet“, St. Gallen, Schweiz – Köche des Jahres international)
Sebastian Zier und Richard Schmidtkonz (den ich für eines der größten Talente im Moment halte) haben eine ganz große Besonderheit, die man den Bildern nicht unbedingt ansieht. Sie gehen vor allem aromatisch deutlich über das hinaus, was man klassische Grundlagen nennt. Sie haben durch ihre Konzentration auf eine klare aromatische Sprache erkannt, dass man alles noch besser machen kann und die Welt der Küche nicht mit „bloßen“ Optimierungen endet. Auch bei der Gala haben sie es geschafft, dass man nicht nur beim Hauptprodukt, sondern bei allen Elementen dieses Gerichtes über die Klarheit und Intensität des Geschmacks nur staunen kann. Man nimmt einen Tropfen Sauce, man nimmt einen kleinen Bissen vom Fleisch oder den anderen Zutaten und kann es kaum fassen, wie das schmeckt. Dabei geht es eben nicht um ein boosten mit irgendwelchen Zutaten, die dann etwa das Grundaroma langsam aber sicher überlagern würden. Hier geht es auch immer um den schieren Geschmack eines Produktes, den sie durch Präzision in der Zubereitung, durch Konzentration und den Faktor „Zeit“ in diesen Zustand bringen. Für die Gäste ihrer Küche hat das einen ganz klaren Effekt: wer so etwas zum ersten Mal isst, kann nur über die schiere Qualität staunen, wird aber von ihr unmittelbar angesprochen werden: so hat man so etwas eben noch nie bekommen. Die Feinstschmecker haben dann das Erlebnis, dass sie auf Dinge treffen, die sie nicht für möglich gehalten hätten. Ich hoffe dringend, dass man das auch bei Michelin einmal erkennt und den dritten Stern vergibt. Ob das klappt, hängt vielleicht davon ab, ob die beiden Köche auch die Besserwisser überzeugen können, die meinen, an der guten, heiligen Klassik gäbe es nichts mehr zu verbessern. Dabei sind es gerade die besten Köche einer vergleichsweise jüngeren Generation, die uns heute das Gegenteil beweisen. Als Hauptgericht des Abends war dieser Gang allerbestens geeignet: er kam auf die Teller und hatte Dominanz, Perfektion und erzeugte den unbedingten Wunsch, von so etwas noch viel mehr zu bekommen.
Pfirsich, Radicchio, Mohn
(Tony Hohlfeld, „Jante“, Hannover – Koch des Corona-Jahres 2020)
Im letzten Jahr hatte ich Joachim Wissler gebeten, die Gala zu ergänzen. Er war – wie Tony Hohlfeldt – ein Corona-Opfer. Die Gala fand nicht statt, und er konnte nicht geehrt werden. In diesem Jahr übernahm Tony Hohlfeld das Dessert – praktischerweise in Begleitung von Mona Schrader, der Sommelière des Jahres. Hohlfeldt ist und bleibt die entspannte Moderne/Avantgarde mit klaren Akkorden voller Modernität, leicht und aromenstark zugleich, hier mit einem wunderschönen Pfirsichsorbet, einer Mohncreme, einer feinen Inszenierung der Radicchio-Noten und Mikros, die die Crossover-Dessert-Idee souverän in einem ganz entspannten Licht zeigen. Der Abschluß brauchte also keine Zuckerbomben und passte ganz vorzüglich und elegant zu der Wucht des Hauptganges vorher.
Sehr geehrter Herr Dollase,
sie beschreiben dieses Menü so, als hätte man fast die Chance gehabt dabei zu sein. Man wird durch Ihre Zeilen ganz nah herangeführt an den Moment, sich all die Köstlichkeiten auf der Zunge zergehen zu lassen. Auf jeden Fall reift bei mir der Wunsch dies mir im kommenden Jahr zu ermöglichen.
Alles Gute für Sie, mit heiteren Grüßen aus Berlin
MSP