Jan Hartwig: Drei-Sterne-Lamm (Poltinger Lammrücken, Don Bocarte Anchovis, Taboulé, Kräuter und würziger Paprikasud)
Zur Feier seines dritten Michelin-Sterns hat Jan Hartwig vom „Atelier“ im „Bayerischen Hof“ in München vor wenigen Tagen ein neues Gericht mit dem von ihm sehr geschätzten Lamm vom Gutshof Polting in sein Programm genommen. Die drei Sterne aus Paprikagelee signalisieren den Anlass, die Qualität des Gerichtes ist überragend und das in allen Aspekten. Jan Hartwig hat einen sehr schnellen Aufstieg hinter sich, was wegen seiner Vorgeschichte nicht weiter verwunderlich ist. Was aber tatsächlich hinter seinem heutigen Status steht, ist eine enorm konsequente Arbeit seit seiner Ankunft in München im Jahr 2014. Von den ersten Gerichten bis zu dem, was er heute präsentiert ist eine ständige Suche nach Raffinesse wie nach Klarheit im Ausdruck zu spüren.
Der beliebte Satz „Das Produkt ist der Star“ scheint zwar allgemein verständlich zu sein, hat aber eine ebenso begrenzt gültige Logik wie der Satz „Um gute Küche handelt es sich dann, wenn die Produkte so schmecken, wie sie schmecken“ (Curnonsky). Wollen wir wirklich Lamm pur essen? Und was hätten wir dann an Geschmack? Außerdem: Dafür, dass das Produkt der Star ist – könnte man salopp formulieren – lassen sich die Köche aber ziemlich ausführlich feiern. Natürlich sind gute Produkte die Voraussetzung guter Küche und besonders gute Produkte wie das Poltinger Lamm die Voraussetzung für besonders gute Küchen. Dann aber kommt der Koch und kann mit einer optimalen Inszenierung des Produktgeschmacks das schaffen, was wir große Küche nennen. Jan Hartwig macht eine echte Großmeister-Küche, also die Küche eines Kochs, der über ein immenses, reflektiertes Wissen über die Produkte, ihre Zubereitung und vor allem über die Vision davon verfügt, wie sie schmecken könnten.
Das Stück Lammrücken bei diesem Gericht schmeckt hervorragend, weil es einen klaren, unverkennbaren Eigengeschmack hat, der durch eine ganze Reihe von ineinander greifenden Maßnahmen zu einer faszinierenden Qualität gebracht wird. Es gibt eine prächtige (unter dem Salamander beendete) Kruste die nicht nur aromatisch bestens wirkt, sondern auch genau jene Textur besitzt, die ergänzt ohne zu dominant zu sein. Natürlich ist die Garung und Aromatisierung mehrstufig und aufwändig. Das Ergebnis aber schmeckt dennoch hochgradig natürlich, wie ein prototypisches Lamm, das alle guten Eigenschaften des Lammgeschmacks in sich hat. Diese Art von Kondensation des natürlichen Geschmacks von Produkten ist ein wichtiges Merkmal der Küche von Jan Hartwig. Wir finden sie bei diesem Gericht auch bei der Sauce von Spitzpaprika. Es ist ja eine Illusion, dass ein einzelnes Produkt in sich alle Qualitäten gleichzeitig hat. Vom Lamm wie von Paprika gibt es unzählige Varianten, die alle einen oder mehrere Aspekte des Produktes haben. Ein Koch kann mit seinen Zubereitungen verschiedene Aspekte zusammenführen, zum Beispiel indem er sie durch verschieden Aromen verstärkt oder anreichert. Genau das macht Hartwig hier mit der Paprikasauce, die z.B. Piment d’Espelette und eine extrem starke Reduktion von Tomatensaft als Würze bekommt. Auch sie schmeckt wie das Lamm außergewöhnlich klar und komplex „nach Paprika“ und hat genau jene Optimierungen erfahren, die sie zu einer idealen Begleitung für das Lamm machen.
Große Köche beherrschen über die Optimierung der Produkte hinaus aber vor allem auch die Proportionen und die sensorische Struktur eines Gerichtes. Bei Hartwig wird nichts überlagert, hier haben alle Elemente eine genau definierte Funktion, die übrigens selbstverständlich auch dann wirksam wird, wenn das Gericht auf Esser trifft, die nicht besonders vorsichtig und an Details interessiert damit umgehen. Ein besonders schönes Element sind die drei gefüllten Zwiebelringe (von „gepickelten“ Zwiebeln), die jeweils auch noch mit unterschiedlichen Cremes gefüllt sind (Petersilie, Rukola, Basilikum). Die Wirkung mit einem Stückchen Lamm ist nicht nur aromatisch, sondern auch sensorisch beeindruckend. Es gibt einen initialen Biss von der Zwiebel, einen Hauch von Zwiebelaroma und im Hintergrund die schmelzende Creme. Alles wirkt für das sich naturgemäß etwas später aufschließende Lammaroma wie eine luxuriöse Fassung, in der sich das Aroma ganz exzellent entfalten kann. Auch das Taboulé ist prächtig, vor allem weil man merkt, das es in das Gesamtbild eingepasst ist. Im Gegensatz zu vielen Fassungen an anderer Stelle hat es hier eine große Leichtigkeit. Wäre die Zubereitung dicht und aromengesättigt, würde sie sowohl das Lammaroma wie das der Paprikasauce beeinträchtigen. Mit der Leichtigkeit bleibt eine feine Textur von Körnern und winzigen Zucchini-Würfelchen, die im Zusammenhang eine Art „süffigen“ Effekt bringt. – Wie überhaupt das ganze Gericht gleichzeitig höchste Finesse wie eine für jeden Gast klare Zugänglichkeit besitzt. Natürlich gibt es auch noch eine Reihe weiterer Details wie etwa eine dezente Rauchnote, kleine Kräuter“blitze“ oder auch eine sehr gute (Salz-)Wirkung von dem Anchovis-Streifen.
Mit seinem beträchtlichen Gestaltungswillen, mit dem er auch am scheinbar bekannten Objekt neue Visionen von der Qualität der Produkte entwickelt, steht Jan Hartwig nun völlig zu Recht in der ersten Reihe der deutschen Köche. Und – es dürfte auch international schwerfallen, vergleichbare Qualitäten in dieser Stilistik zu finden. Hartwig mag seine Lehrer gehabt haben. Mit seinen neuen Arbeiten ist er eine eigene Instanz.