Das Restaurant Jörg Müller
Jürgen Dollase (JD): Hatten Sie bei der Gründung des Restaurants „Jörg Müller“ schon eine klare Vorstellung, wie man auf Sylt arbeiten muss?
Jörg Müller (JM): Das habe ich genau so gesehen wie im Nösse – nur waren wir jetzt eben mitten in der Stadt
JD: Und wie waren da die Proportionen bei den Einnahmen zwischen Gourmetrestaurant und Bistro?
JM: Weil wir das Gourmetrestaurant nur einmal besetzt haben, aber das Bistro mittags und abends je zweimal war es im Nösse etwa 50:50
JD: Und hier in Westerland?
JM: Da verschob sich das dann auch ein Stück in Richtung Pesel/Bistro. Dazu kam, dass immer wieder Leute im Gourmetrestaurant saßen, die Gerichte von der Karte des Pesel essen wollten. Das hat dann später dazu geführt, dass wir das Konzept geändert haben.
JD: Wie hat sich die Umstellung auf ein einheitliches Konzept wirtschaftlich ausgewirkt?
JM: Positiv. Wir haben mehr Gäste als vorher und die Gäste können sich von einer einzigen Karte bestellen was sie wollen, auch Gourmet-Gerichte
JD: Ihre Karte ist wirklich sehr breit aufgestellt und reicht von kleinen Gerichten bis zu Trüffel und Co.
JM: Es soll für jeden etwas dabei sein
JD: Hat sich die Motivation in der Küche verändert, wenn Sie jetzt nicht mehr explizit Gourmet kochen?
JM: Nein. Mein Anspruch ist immer noch so hoch, dass auch die einfacheren Gerichte eine maximale Aufmerksamkeit bekommen. Ein einfaches Gericht muss genau so perfekt sein wie ein Gourmetgericht für 60 Euro.
JD: Sie hatten immer das Selbstbewusstsein, diese traditionellen Gerichte wie den Kalbskopf oder die Maultaschen in einem sehr guten Zustand zu präsentieren. Es gibt ja sehr viele Zweitrestaurants, in denen einfachere Küche angeboten wird. Die sind aber oft deutlich schwächer. Man kann da oft nicht unbedingt erkennen, dass da ein wirklich guter Koch arbeitet und Regionales optimiert wird.
JM: Ich habe eben immer nur eine Brigade gehabt, und die war komplett für das eine wie das andere zuständig. Da gab es keine Pesel- Köche oder Gourmetköche. Sie sind alle gleich. Und ich selber stehe nach wie vor jeden Tag in der Küche, mittendrin. Die Feinheiten mache ich heute noch alle selber – vom Lachs-Filetieren über Beizen und Räuchern bis zu Gänseleber und Steinbutt. Gestern haben wir einen 20-kg-Steinbutt bekommen. Und da fragen die Köche schon: „Chef, wollen Sie es machen?“
JD: … ein guter Koch bekommt aus einem 20-kg-Steinbutt zehn Portionen mehr ausgelöst als ein schlechter Koch.
JM: So ist es (lacht…)
JD: Ich habe selber ja eher selten mit großen Fischen zu tun. Aber wenn man sich hinterher die Karkasse ansieht und sagen kann: „da ist wirklich nichts mehr dran“, das ist schon gut so.
JM: Um noch einmal auf den Geschäftsmann zu sprechen zu kommen: Ich habe schon 1978 das erste Mal Bordeaux gekauft …
JD: Darauf wollte ich jetzt gerade zu sprechen kommen. Sie sind seit langer Zeit für Ihre Weinsammlung berühmt. Wie ist es dazu gekommen?
JM: Ich habe damals in den Schweizer Stuben mit Andreas Schmitt zusammen ungefähr die gleiche Menge als angestellter Küchenchef gekauft wie er für die Schweizer Stuben. Die Preise waren damals natürlich noch sehr viel interessanter. Es gab Mouton Rothschild und Co. für 40/50 D-Mark en primeur.
JD: Ich kenne das aus den 1980er Jahren. Da lagen die teuersten Crus aus Bordeaux immer noch unter 100 D-Mark. Die zweite Garde, also z.B. Leoville Las Cases lag dann so bei etwa 50 D-Mark
JM: Das hat mir dann eben als ich selbstständig wurde ein schönes Polster verschafft. Ich hatte da immer etwas in der Hinterhand.
JD: Waren die Wein-Einkäufe von vornherein spekulativ, oder gab es andere Gründe?
JM: Ja, es war für die kommende Selbstständigkeit gedacht. Es war immer mein Ziel, mich mit 35 Jahren selbstständig zu machen.
JD: Ich habe heute oft den Eindruck, als ob die jüngeren Spitzenköche zwar gerne Wein trinken, aber nicht wirklich viel Ahnung vom Wein haben, weil das in ihrer Art der beruflichen Laufbahn, die vor allem auf den Kochberuf fixiert ist, keine so große Rolle mehr spielt. Sie haben das dann sozusagen an die Sommeliers abgegeben.
Wie ist bei Ihnen als Koch das Verhältnis von Wein und Essen? Marc Haeberlin hat einmal gesagt, dass er immer an den Wein zu seinen Gerichten denkt?
JM: Ich trinke gerne Wein – alles zu seiner Zeit natürlich – und ich denke auch oft an Essen und Wein. Wenn es bei mir Weinproben gibt, ist das ausgesprochen wichtig. Die meisten Gäste, die bei mir solche Proben mit großen Weinen machen, wissen genau, dass bei mir die Verbindung mit meiner klassisch orientierten Küche ganz besonders gut ist.
Als ich mich 1983 dann selbstständig machte, hatten wir gerade das Super-Weinjahr 1982 hinter uns. Ich habe im ersten Jahr auf Sylt schon für über 100.000 D-Mark 82er Weine gekauft (lacht…).
JD: Sind die Bordeaux-Weine auch Ihre persönlichen Favoriten?
JM: Ja, schon.
JD: Und danach…
JM: Deutsche Rieslinge… allerdings erst etwas später. Burgund gehört auch dazu..
JD: Die Stilistik der deutschen Rieslinge war damals aber auch noch eine andere…
JM: Zwischendurch habe ich mich auch für die Neue Welt interessiert, vor allem USA…
JD: …aber nicht so intensiv wie Herr Seckler von der „Sansibar“…
JM: Das ist nicht meine Sache..
JD: …zu parfümiert…zu sehr auf der Frucht-Seite…
JM: Ja
JD: Ein anderes Thema. Sie haben 2014 auf die Bewertungen im Michelin verzichtet. Wie ist Ihr Verhältnis zu dem Führer, der Ihnen in Westerland nie einen zweiten Stern verliehen hat?
JM: Ich hatte lange Jahre gehofft, dass ich den zweiten Stern wiederbekomme. Als es dann aber irgendwann drei Zwei-Sterne-Häuser auf der Insel gab habe ich gedacht, nein, das gibt nichts mehr. Wir haben zwischen 19.000 und 21.000 Einwohner, das war zuviel. Einmal wurde mir auch gesagt: „Sie kochen ja aus einer Küche für beide Restaurants!“…
JD:…so ein Blödsinn…
JM: Ja.
JD: … das hat die – davon abgesehen – überhaupt nicht zu interessieren. Die hat eigentlich nur zu interessieren, was vorne auf dem Tisch steht…
JM: Es ist auch interessant zu sehen, welches von den Zwei-Sterne-Häusern überhaupt überlebt hat. Ich habe etwas geschaffen – hier, drüben, in Rantum..
JD: Einer der wenigen Köche, die aus eigener Kraft so etwas geschaffen haben ist Heinz Winkler….selber gebaut, selber alles gemacht … das ist extrem selten.
JM: Im Jahr 2000 konnte ich dann das Grundstück nebenan erwerben, wir haben dann gebaut und das Hotel vergrößert. Die Gastronomen auf der Insel haben mir das alle dringend geraten. Wir haben ja hier im Haupthaus mit nur drei Zimmer angefangen und auch noch selber hier gewohnt.
JD: Von außen gesehen hat man immer den Eindruck, als ob das mit den Sternen auf Sylt nicht ganz so wichtig sei, weil die Leute mit Geld sowieso da sind. Stimmt das?
JM: Ja, auf jeden Fall. Aber die Leute mit Geld wollen heute nicht mehr so sehr im Restaurant repräsentieren. Sie setzen sich lieber gemütlich in den Pesel. Im Gourmetrestaurant haben sie vielleicht eine glasweise Weinbegleitung genommen. Im Pesel waren es oft zwei oder drei gute Flaschen. Da hat sich die Mentalität deutlich verändert.
JD: Haben Sie ein treues Publikum?
JM: Ja, haben wir. Meine Frau und meine Tochter kennen sehr viele Leute. Viele brauchen eine Ansprache, ein wenig wie bei den Italienern, die diese Atmosphäre in den Restaurants ja kultiviert haben.
JD: Wenn ich irgendwo bin und sehe, dass dort offensichtlich Stammgäste sind, die auch so behandelt werden, finde ich das meistens eher angenehm… anders als der französische Journalist, den ich vor kurzem hier kritisiert habe, der im Steirereck in Wien war und sich über die Vorzugsbehandlung von Stammgästen beschwert hat… Bei Ihnen sind es ja oft auch wirklich gute Kunden, die sehr stramme Rechnungen machen …
Noch einmal zurück zu Michelin. Sie haben dann ganz verzichtet und stehen auch im Moment nicht im Führer.
JM: Ob ich drinstehe weiß ich gar nicht. Ich habe nicht nachgesehen.
JD: Im Grunde kann niemand einem Führer verbieten, was er bewertet..
JM: Ja, Kohnke (Anm: ehemaliger Gault-Millau-Chef) hat mich angerufen und gesagt: „Jörg – ich war mit ihm 35 Jahre per Du – Du glaubst doch nicht, dass ich mir von einem Koch vorschreiben lasse, wen ich bewerte oder nicht.“
Der Trend geht eben auch in eine ganz andere Richtung. Man braucht gute Produkte, die man sehr gut behandelt, in traditionellen Gerichten, auch mal bei einer Kohlroulade. Ich mache Rehfrikadellen, die verkaufe ich für 32 Euro, dass ist viel Geld, aber die Gäste sind begeistert.
JD: Ich habe vor einiger Zeit hier bei www.eat-drink-think.de ein Bewertungssystem vorgestellt, mit dem man alle guten Küchen gleichermaßen bewerten kann, also auch die Frage beantworten kann, was denn eigentlich ein perfektes Gericht der Regionalküche wert ist. Wo ich dann mit meiner ganzen Erfahrung denke: „Kann man das überhaupt besser machen?“ Tatsächlich bekommen solche Gerichte in den Gourmetführern meist keine vernünftige Bewertung. Ist das aus Ihrer Sicht als Koch gerecht?
JM: Die Gourmetführer halten sich eigentlich verstärkt an Richtlinien, die schwer zu durchschauen und zu beurteilen sind. Viele Gerichte, die mich erfreuen oder viele Gäste erfreuen, fallen unter den Tisch. In jedem zweiten Restaurant bekommt man nur Filet oder Lammrücken oder vielleicht noch eine Entenbrust. Aber gute, kross gebratene ganze Enten oder traditionelle Gerichte sind weitgehend verschwunden. Zu mir kommen die Leute gezielt. Die Führer interessieren die nicht.
JD: Wie sehr haben Sie sich über diese Michelin-Geschichte aufgeregt?
JM: Aufgeregt habe ich mich in den letzten zehn Jahren nicht mehr. Aber – es war immer eine Anspannung da. Im Gault Millau hatte ich 18 Punkte, bei Varta, Aral usw. hohe Noten oder Höchstnoten. Nur bei Michelin war ich zwei Klassen tiefer.
JD: Haben Sie dann schlecht geschlafen?
JM: Nein. Der Laden war ja immer voll (lacht…) Doch, über eine Sache habe ich mich unheimlich aufgeregt, als mich nämlich der „Feinschmecker“ von 4 auf 3,5 herabgestuft hat und dabei einen völlig falschen Bericht im Heft hatte. Dagegen bin ich mit einem Anwalt vorgegangen… da gab es eine ganze Reihe von objektiv falschen Informationen…
Ich habe damals auch schon mit meiner Familie gesprochen. „Was meint ihr, wenn das einmal bekannt wird, dass ihr den Laden übernehmen wollt? Dann stehen die Tester wie die Hyänen hier, zerpflücken den Betrieb und sagen: ‚Man merkt doch, dass der Alte nicht mehr da ist‘“
JD: Man kann das mit dem Auftreten im Restaurant ja so weit reduzieren, dass es da keine Probleme gibt… der Meister läuft dann einmal durchs Restaurant…
JM: (lacht…)
JD: Es gibt viele Kollegen ohne eigenes Restaurant, die heute wahrscheinlich voller Neid oder Bewunderung auf Ihre Arbeit hier in Westerland sehen. Pflegen Sie gute Verbindungen zu den alten Weggefährten?
JM: Zu den Leuten aus Wertheim habe ich keine Verbindungen mehr. Adelbert Schmitt ist ja verstorben. Zu einem Koch, der T. Müller heißt und der damals den Schober gemacht hat, habe ich noch ab und zu Kontakt. Manchmal kommt der Apotheker oder der Bürgermeister aus Wertheim hier vorbei… man wollte mich nach dem Ende der Schweizer Stuben für eine Neueröffnung gewinnen.
Da haben wir gedacht: „Sollen wir das Paradies hier oben wirklich aufgeben und noch einmal etwas Neues anfangen?“ Ich identifiziere mich immer noch etwas damit, weil ich den Betrieb ja schließlich mehr oder weniger mit aufgebaut habe. Ich hatte auch für eine Fortführung schon Ideen, man hätte den Tennisplatz zuschütten können, Badelandschaft, Überdachungen usw. Dann wäre die „Schweizer Stube“ heute sicher nicht pleite.
Die aktuelle Szene
JD: Sie blicken nach wie vor kritisch auf die aktuelle Koch-Szene und speziell auch darauf, wie schnell man oft zu Sternen kommt. Wie wirkt die Szene heute auf Sie?
JM: Ich gönne jedem jungen Mann, der sein Handwerk versteht und Geschmack hat und sich an dem Kochberuf erfreut und ihn auslebt, jede Bewertung.
JD: Ich erinnere mich daran, dass Sie – als Sebastian Zier hier im A-Rosa in relativ kurzer Zeit zu zwei Sternen kam und das in einem Restaurant, in dem sich nicht immer besonders viel Gäste aufhielten, während es in den anderen Restaurants des Hauses immer voll war – dieses Missverhältnis immer gestört hat.
JM: Das ist der allgemeine Trend. Ich sehe das heute als typischen Trend. Die hoch besternten Restaurants sind keine Selbstläufer mehr, in die alle Gäste automatisch gehen. In Großstädten sind es oft Touristen aus dem Ausland …
JD: Ja, in Berlin kann man schon den Eindruck haben, dass in den modernsten und bekanntesten Restaurants wie in Paris eher wenig Einheimische zu finden sind. Manchmal hört man kein deutsches Wort.
Sind es viele der so schnell hoch bewerteten Restaurants eigentlich in ihren Augen wert, dass sie so hoch beurteilt werden?
JM: Gut, ich mache auch manchmal Sachen, die ich von einer Reise mitgebracht habe, Sashimi oder Ceviche. Ich mache das aber immer in meinem Stil, danach, wie es mir am besten schmeckt.
JD: Ja, das finde ich gut. Ich unterstelle Köchen von Ihrem Rang und Ihrer kulinarischen Bildung immer, dass sie neue Ideen nicht unkontrolliert und unkritisch verwenden, sondern sie genau darauf hin überprüfen, ob sie kulinarisch wirklich etwas bringen
JM: Ich habe schon Gerichte bekommen, die mir so schwach vorkamen, dass ich überlegt habe, wie man die gute Grundidee denn eigentlich besser ausarbeiten könnte.
JD: Haben Sie Probleme, Mitarbeiter zu bekommen?
JM: Es ist allgemein schwierig, Mitarbeiter zu bekommen. Ich habe gottseidank in diesem Jahr wieder gute Mitarbeiter gehabt. Gerade hört ein Mädchen auf und die Stelle konnte ich noch nicht besetzen.
Ich habe einen neuen Koch auf dem Fischposten – den ich aber noch bis zur nächsten Saison schulen muss…
JD: Ist die Ausbildung junger Köche gut genug?
JM: Das ist mehr egal, was jemand gelernt hat. Wenn er bei mir ist, wird er trainiert, bis er exakt zu unserer Küche passt.
JD: Was würden Sie heute einem jungen Koch mit viel Willen, nach oben zu kommen, empfehlen?
JM: Nicht unbedingt die drei Sterne als Ziel. Es gibt immer noch viele Restaurants, in denen Köche den Geschmack lernen können, der populär ist, den die Leute wirklich mögen. Dort sollte man unbedingt einmal arbeiten, also nicht gleich in die exotischen Richtungen gehen
JD: Es hat sich ja gezeigt, dass man exotische Geschmacksbilder mit wenigen Handgriffen reproduzieren kann – in Hamburg gibt es Dutzende oder noch mehr Bistros, die genau das machen.
Was sind denn eigentlich heute Köche, die Sie sehr gut finden?
JM: Das sind ehemalige Kollegen, die es auch zu etwas gebracht haben, also etwa die Steinheuers. Er war bei mir in Wertheim als Chef Saucier. Dann Johann Lafer, hat auch etwas erreicht – wenn er auch im Moment etwas zu viel macht…
JD: Sein Potential ist unbestritten. Aber er müsste mal wieder richtig kochen…
JM: Ingo Holland finde ich gut…
JD: Waren Sie in der letzten Zeit einmal bei einem der jungen Köche?
JM: Zu Klaus Erfort wollte ich einmal, aber er hat meine Frau etwas unfreundlich behandelt…Christian Bau schätze ich sehr…Helmut Thieltges fand ich sehr gut, ein ganz lieber, ganz großer Kollege.
JD: Thieltges hat an seinen Gerichten immer gearbeitet. Das haben viele Leute gar nicht so mitbekommen…Sein Rösti mit Rindertatar und Kaviar hat er im Laufe der Zeit sensorisch perfekt umstrukturiert…bis zu der perfekten länglichen Rolle
JM: Mit Herbert Seckler von der „Sansibar“ bin ich auch befreundet. Er ist Schwabe, ich bin aus Baden, zusammen sind wir Baden-Württemberger…
JD:…der hat auch einen guten Erwerbstrieb…
JM: (lacht, ziemlich zufrieden….)
Nützt alles nix;
Die Schweizer Stuben in den
70ern sind unerreicht.
Eugen Hachenberg