Catherine Roig (Texte)/Emanuela Cino (Fotos): Provence. Food Trip ensoleillé en 100 Recettes. Hachette Cuisine, Paris 2020. 365 S., Spezialeinband mit Magnetverschluss, 39.95 Euro (in französischer Sprache)
Die Bücher über die Provence und andere sowohl landschaftlich wie kulinarisch spektakuläre Reiseziele sind mal so, mal so, treffen aber kaum jemals wirklich den gesamten Charakter einer Region. Dieses merkwürdige Phänomen hat sicher eine ganze Reihe von Gründen. Viele AutorInnen haben einfach eine stark gefärbte, wenig offene, klischeehafte oder sonstwie verschobene Sicht auf die Dinge. Wenn man eine Region gut kennt, fällt das sofort auf. Man sieht die Bilder, man sieht die Auswahl der Themen, man sieht das Essen und erkennt in Sekunden, dass hier wahrscheinlich irgendwelche Konzepte im Vordergrund standen, aber kein wirkliches Dokument dessen entstanden ist, was man erlebt, wenn man eine Gegend systematisch kennenlernen will, wenn man nicht nur den touristischen Trampelpfaden folgt, sondern alles, was speziell ist, aufsaugen will. Sieht man sich Berichte in Magazinen wie dem „Feinschmecker“ oder „Salon“ an, stolpert man über den Emotionsschwund eines überaus selektiven Schicki-Micki-Bildes. Wenn es um Bücher von irgendwelchen KöchInnen geht, die aus irgendwelchen Gründen meinen, die „Originalküche“ einer Region anbieten zu müssen, oder gar um die berüchtigten angelsächsische AutorInnen, die fast immer der Meinung sind, sie müssten den Einheimischen endlich einmal zeigen, was jetzt die echte, wahre Küche der Region ist, erlebt man sinnlos Verdrehtes aller Art. Es ist also oft ein Trauerspiel.
Und dann dieses Buch, das ich eher beiläufig in die Hand genommen habe, weil ich – siehe oben – aus den genannten Gründen üblicherweise einfach nicht mehr damit rechne, etwas wirklich Gutes zu bekommen.
Das Buch
Erst einmal muss man sich wundern, was hier für einen Preis von 39.95 Euro angeboten wird. Das eigentliche Buch hat eine Fadenbindung mit offenem Rücken und ist in einen festen Klappeinband geklebt, den man mit zwei Händen aufklappt und dessen „obere Klappe“ ein Olivenbaum ist, der mit Magnetverschluss auf der unteren mit dem Titel gehalten wird. Das Innere der Klappe besteht ausschließlich aus einem Bild von Olivenholz. Das Buch hat fast ausschließlich ganzseitige Bilder auf einem leicht rauen Papier.
Inhaltlich geht es formal um die Regionen „Alpilles“, „Arles und die Camargue“, „Luberon“, „Haute Provence“ und „La Grande Bleu“, worunter man hier die Küstenregionen versteht. Das Buch entwickelt sich zwischen Bildern, wie man sie täglich erlebt, und den Menschen, die für den kulinarischen Teil der Regionen typisch und verantwortlich sind. Von ihnen kommen dann die Rezepte, die man weder der bürgerlichen noch der Gourmetküche zurechnen kann. Sie sind ganz klar regional und folgen auch dann den geschmacklichen (und optischen) Traditionen, wenn sie aus der Hand von Gourmetköchen stammen. Hier scheint es also keinen Bruch zu geben, hier sind konsequent diejenigen Restaurants zusammengefasst, die für eine Art selbstverständliche Traditionalität stehen, die sich hier seit vielen Jahren gehalten hat und die ganz selbstverständlich auch niemand gefährden will. Ich habe in einer ganzen Reihe der erwähnten Restaurants gegessen und natürlich auch unterschiedliche Qualitäten erlebt. Dass das Essen einen hohen Grad an Authentizität besitzt, war aber nie die Frage, und genau diese Authentizität ist hier festgehalten und in keiner Weise überlagert.
Zu den beteiligten Restaurants und Köchen gehören auch das berühmte „La Chassagnette“ von Armand Arnal in Le Sambuc, südlich von Arles, die Tochter von Reine Sammut von der „Auberge de la Fenière“ oder das Zweitrestaurant von Baumanière, das „Cabro d’Or“. Die Rezepte sind ein Ausbund an sicherer Beherrschung der Grundprodukte, der Öle, der Oliven, Kräuter, Tapenaden und Co. Und das bringt den fernen Beobachter natürlich sofort zu der Frage, was uns diese Rezepte hier in Deutschland nutzen. Ich habe dort unten wunderbare Ergebnisse zum Beispiel mit fangfrischen Doraden gehabt, die ich mit den Kräutern rund um die Mas, in der wir eine Wohnung hatten, zubereitet habe. Die Minimalismen von ein paar reifen Tomaten oder sonstigem Gemüse, in Öl gebraten und mit gutem Salz, Oliven, Zitrusfrüchten und ein paar Kräutern behandelt, bringen hier unten echte Geschmackserlebnisse. Mit den weit gereisten Produkten von einem unserer heimischen Märkte sollte man das gar nicht erst versuchen. Das muss man so krass sehen und sich dann nicht wundern, wenn mal wieder einer unserer deutschen Köche Mediterranes von sich gibt und es partout nicht so schmeckt, wie es schmecken könnte, sondern in irgendwelche geschmacklichen Kunstwelten abwandert.
Fazit
Ganz abgesehen von den Rezepten sollte man das Buch als Freund der Gegend unbedingt kaufen. Es ist prächtig repräsentativ, was jeder sofort erkennen wird, der die Gegend besucht – nein, erlebt hat. Die Rezepte sind die der Gegend, manchmal einen Tick moderner, aber eben nie „vom Pfad der Tugend“ abweichend. Das hat man dort nicht nötig. Man sollte es mitnehmen und dort unten damit kochen. Dann hat man den richtigen Effekt, dann wird man eine Küche realisieren können, die ein Optimum aus den Produkten herausholt. Das Buch profitiert anscheinend stark von den Bearbeitern beim Verlag. Die Fotografin und die Autorin sind beide ansonsten auch schon mal eher im Lifestyle-Sektor zu finden (also da, wo es nicht primär um die Sachen geht).
Das Buch bekommt mit seinen ganz unterschiedlichen Aspekten 1 – 3 grüne Sterne. Es gehört zu den wenigen Büchern, in denen ich in kurzer Zeit schon mehrmals aus reiner Freude an der Sache gelesen habe.
Fotos: Emanuela Cino
Ich hatte es heute im schönen Lourmarin in der Hand. Ein Traum für jeden Kochbuchliebhaber!!
Ein guter Tipp. Mir gefällt dieses Buch sehr gut!
Das hört sich gut an, werde gleich auf die Suche gehen. Vor allem Frankreich ist kochbuchtechnisch zum Trauerspiel geworden. Ja, ich habe ein paar ganz gute Exemplare, die ich immer mal wieder nutze, aber leider auch das Gegenteil. Ich stelle fest, je besser man eine Gegend und eine Küche kennt, umso schwieriger wird es mit den Kochbüchern. Das klingt auch bei Ihnen durch. Also bin ich gespannt!
hallo, herr dollase, schade, dass es dieses buch erst jetzt am markt gibt; damit wäre ich gern zu lockdownzeiten „im kopf reisen gegangen“.
Bonjour,
diese Rezension gefällt mir sehr. Minimalismen plus traditionelle Küche, das hört sich fantastisch an. Keine Liste von 15 Zutaten ist zwingend notwendig. Es ist doch immer so, dass man beim Kochen sich schon an Vorgaben hält, dann allerdings mit Anderem seinen persönlichen Geschmack reinbringt. Ach, ich wünschte so sehr, noch eimal 20 Jahre jünger zu sein, um all das auszuprobieren. Nein, bitte sagen Sie jetzt nicht, das ginge immer – wenn man alleine ist und kein Echo mehr hat, schwindet die Begeisterung.