Die Lage ist schlecht und leider auch unberechenbar. Das scheint allen Beteiligten klar zu sein. Was aber überhaupt noch nicht klar ist, ist das, was bis zu einer Neuöffnung noch alles passieren wird und vor allem das, was nach einer Neuöffnung unter Auflagen noch alles passieren kann. Dabei gibt es neben der alles überragenden wirtschaftlichen Problematik auch eine inhaltliche, also die Kochkunst im engeren Sinne betreffende Dimension. Vor einigen Tagen kam die Meldung, dass es das Zwei-Sterne-Restaurant „Sosein“ in Heroldsberg in der bisherigen Form nicht mehr geben wird. Besitzer Jens Brockerhof sieht sich nicht mehr in der Lage, die Corona-bedingten Probleme zu bewältigen, und Koch Felix Schneider will sich selbständig machen. In Erinnerung an seine hervorragende Arbeit im „Sosein“ ist dieser Text mit seinen Arbeiten illustriert. Es könnte gut sein, dass sich speziell kleine Restaurants ohne Zweitrestaurants in der nahen Zukunft (also den ersten Monaten nach einer begrenzten Wiedereröffnung) besonders schwer tun werden. Es könnte auch gut sein, dass es kreative Restaurants ohne ein großes Stammpublikum besonders schwer haben werden. Dafür gibt es recht klare Gründe.
Warum auch mit einer Öffnung die Probleme nicht beendet sind
Es ist längst bekannt, dass man mit einer hochpreisigen Spitzenküche nicht zwangsläufig mehr Geld verdient, als z.B. der Besitzer einer Takeaway-Pizzeria. Es könnte gut sein, dass der Chef einer gutgehenden Imbißstube angesichts der Geschäftszahlen berühmter Restaurants nur die Achseln zuckt und anmerkt, dass er dafür nicht aufstehen würde. Als ich gerade mit der Rockmusik anfing und es eines Tages darum ging, einmal 10.000 Mark für eine „Gesangsanlage“ zusammenzubekommen, sprach ich einmal mit einem entfernten Verwandten, der einige Verputzer-Kolonnen beschäftigte. Er machte sich über uns und speziell das Verhältnis von Investition zu Ertrag lustig. „Für 10 Mille“, sagte er sinngemäß, „stelle ich noch drei weitere Kolonnen auf, und dann verdiene ich die 10 Mille in einem Monat.“ Will sagen: es ist oft der letzte Vierertisch in einem ausgebuchten Restaurant, der den eigentlichen Gewinn bringt. Immer wieder klagen Köche über die „No-Shows“ und dass das oft ihr Verdienst ist, der fehlt, wenn am Abend auch nur ein Tisch leer bleibt.
Und dann dies: Wenn die Gastronomie wieder öffnen kann, wird es erst einmal längere Zeit mit Auflagen sein, die die Kapazität beschränken. Wer das nicht durch längere Öffnungszeiten oder mehrere Service ausgleichen kann oder will (vom Personalproblem wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht erst reden), kann kaum wirtschaftlich sinnvoll arbeiten. Manche Restaurants spielen mit dem Gedanken, erst dann wieder zu öffnen, wenn es „ganz normal“ zugehen kann. Wer unter Auflagen öffnet, wird schnell zu diversen Fragen kommen – etwa der nach einem angepassten Angebot, nach veränderten Preisen, nach verändertem Wareneinsatz oder danach, wie man sein hochqualifiziertes Personal überhaupt unter solchen Umständen haltern kann.
Führen Auflagen zu einer Veränderung des Programms und letztlich zu einer Veränderung der Kochkunst?
Und da ergeben sich schnell konkrete Probleme, die direkt etwas mit der Kochkunst zu tun haben. Wird man die gleichen Produkte einkaufen können wie vor der Krise (was auch von den Lieferanten abhängt, die noch lange nicht wieder so frei schalten und walten können wie vor der Krise)? Wird man nach preisgünstigeren Produkten suchen oder sonstwie versuchen, mit weniger Aufwand über die Runden zu kommen? Wird man das Angebot reduzieren, um effektiver arbeiten zu können – sowohl hinsichtlich des Wareneinsatzes wie hinsichtlich des Personals? Wird man Posten zusammenlegen, die Gestaltung von Gerichten reduzieren, die Anzahl der Elemente pro Gericht reduzieren, um die Arbeitszeit pro Gericht wirtschaftlich effektiver zu gestalten? Wird man vielleicht sogar versuchen, das Programm populärer zu gestalten, um ganz sicher zu sein, dass man nicht Gäste verliert, weil man mit irgendeiner kreativen Idee anecken könnte?
Sollte auch nur ein kleiner Teil dieser Überlegungen eine Rolle spielen, muss man von klaren Auswirkungen auf die Kochkunst reden. Dann würde die Krise zum Beispiel für einen Rückgang der Kreativität, für mehr Mainstream, für ein weiteres, vor allem kommerziell motiviertes Zugehen auf den Gast, oder für Verluste bei kulinarischen und gastronomischen Qualitäten stehen und damit ganz klar einen großen kulturellen Schaden anrichten.
Extra-Problem für kreative Küchen
Ob speziell die kreativen Küchen für Probleme anfällig sein werden, ist noch nicht ganz klar. Wenn, dann vor allem in einer indirekt bedingten Form, also – siehe oben – vor allem deshalb, weil diese Küchen meist nicht über den Schutzschild eines großen Hauses verfügen, sondern ihr Geld oft ganz allein mit einem kleinen Restaurant ohne Zweitrestaurant verdienen müssen. Der individuell denkende Koch, der „sein Ding“ machen will, ist auf diese Form der Gastronomie angewiesen. Die großen Hotels etc. mit teilweise mehreren Restaurants zeigen dagegen bisher – Ausnahmen bestätigen die Regel – wenig Interesse daran, auch noch ein Boutique-Restaurant mit kreativer Küche zu eröffnen und sind froh, wenn sie ihre Gourmet-Ableger gut ausgelastet bekommen. Wenn aber die kleinen, kreativen Restaurants vermehrt unter Druck geraten, müssen wir auch dort davon reden, dass sich die Kochkunst unter dem Einfluss von Corona verändert, dass sie ärmer an Varianten wird und viele Perspektiven für die Zukunft sozusagen austrocknen. Der kulturelle Schaden, der hier zu entstehen droht, wird mindestens einige Jahre anhalten und/oder seine Spuren hinterlassen.
Das Auszeit-Denken sollte nicht in die falsche Richtung gehen
Es ist immerhin ein kleiner Trost, dass die Zeit nach der ersten Corona-Pause ein Publikum gezeigt hat, dass vor allem froh über jeden möglichen Restaurantbesuch ist. Natürlich wird es auch bei den Gästen eine Übergangszeit geben, die Monate dauern kann. Nicht alle streben sofort wieder in ein Restaurant – egal, wie gut die Sicherheitsvorkehrungen sind. Dafür, dass – wie immer wieder diskutiert wurde – ein Trend zu populären Gastronomieformen besteht, gibt es keine Anhaltspunkte. Insofern gehen Prognosen, die Gastronomie müsse sich ändern, komplett in die falsche Richtung. Es besteht also eher die „Gefahr“, dass manche Köche und Gastronomen an den falschen Stellen ins Grübeln kommen, weil sie zum Beispiel die Reaktionen und das Beharrungsvermögen vieler Gäste falsch einschätzen. Man braucht nach der Wiedereröffnung nicht unbedingt neue Reize.
Wer allerdings immer schon neue Konzepte im Hinterkopf hatte, wird sie nun sicher weiter vorangetrieben haben. In den nächsten Monaten ist da mit allerlei Änderungen in der gastronomischen Landschaft zu rechnen, weil viele Dinge, die im Normalbetrieb mangels Ruhe und der Möglichkeit, diverse Planungen einfach einmal durchzuspielen, nie zuende gedacht wurden und nun langsam konkrete Formen annehmen. Unter Umständen ist auf diese Weise, die nur indirekt von Corona bedingt ist, durchaus ein kreativer Schub zu erwarten.
Zum Abschluss kann ich es mir nicht verkneifen, mein Facebook-Post vom 28. Dezember 2020 noch einmal zu zitieren. Er wurde damals durchaus kontrovers diskutiert….
Wir brauchen – vor allem für die Gastronomie – eine NEUBEWERTUNG DES INZIDENZWERTES. Wenn die 50 weiter der Maßstab für Wiedereröffnungen bleibt, sehen wir noch etlichen Monaten größter Probleme entgegen. Der Wert wurde im Frühjahr ohne große Erfahrungen mit der Risikobewertung eher willkürlich eingeführt. Heute brauchen wir eine BESSERE BALANCE zwischen den gesundheitlichen Risiken und denen für den Fortgang des gesellschaftlichen Lebens.
In der Gastronomie könnte eine besser austarierter Wert durch die Möglichkeit einer INDIVIDUALISIERUNG DER CORONA-SCHUTZMASSNAHMEN ergänzt werden. Es geht nicht an, dass überfüllte Eckkneipen und alle Restaurants mit gleichem Maß gemessen werden. Leitzahlen sollten nicht nur bei den Abständen, sondern mit einer Bewertung der Aerosol-Lage gewonnen werden.
Der Inzidenzwert von 50 wird wegen der kompletten Durchmischung mit dem Virus eine Fiktion bleiben. Vermutlich auch noch nach vielen Impfungen. DIE GASTRONOMIE BRAUCHT ZÜGIG NEUE, VERÄNDERTE KONZEPTE, sie braucht einen definierten Raum, in dem sie sich entfallen kann.
Globe Telecom
Sehr wichtige und naheliegende Überlegungen, die zu wirtschaftlichen und prozeduralen Antworten führen. Man kann natürlich ein Best-Case-Szenario entwerfen, in dem die Gästeschar auf Entzug nach der Öffnung die Restaurants stürmt. Aber die große Frage für mich ist auch: wird sich der Gast im anhaltenden Lockdown abgesehen von seiner Investitionsbereitschaft konsumpsychologisch verändert haben, wie sieht der Post-Corona-Gast aus? In welchem Maße bleibt die Kultur gehobenen Essens weiter ein Bedürfnis und bleiben die „Show-Teilnehmer“ bei der Stange? Hier werden sehr differenzierte Antworten nötig sein.
Sehr geehrter Herr Dollase, vielen Dank für Ihre Gedanken die zum grossenTeil ich mit Innenseite.War selber 2 Sterne Koch und wirwollten zu meiner Zeit einfach das beste Produkt bekommen was damals schon immer schwieriger wurde . Die Nachfrage war damals riesig. Meine Frage stellt sich,ist die sogenannte junge Generation so ausgebildet das sie sich in die neuen Aufgaben die evtl. auf sie zukommt.Haben wir nicht heute schon einen Umbruch in der Gastronomie,werden die Gäste noch soviel Zeit haben für Gourmetrestaurant Ist der Gast bereit 250€ für ein Menü zu bezahlen? All diese Fragen stelle ich mir.