Der Lockdown sorgt für eine Veränderung der psychologischen Situation rund um die Gastronomie. Daran kann man nichts ändern, aber man sollte das, was passiert und passieren wird vorsichtig und entspannt analysieren und keine hektischen Schlüsse ziehen. Blenden wir einmal zurück in „normale Zeiten“. Bei freier Auswahl aller möglichen Restaurants an jedem Ort und zu jeder Zeit hat sich das Publikum in den letzten Jahren in viele Sparten aufgeteilt. Man ist wählerischer geworden, hat spezielle Interessen entwickelt und mit diesen Interessen kamen auch die dazu passenden Restaurants. Das führte zum Beispiel zu Gourmets, denen zu Mainstream-Restaurants gar nichts mehr einfiel, die Einfallslosigkeit und das Immergleiche beklagten und sich nur noch für Restaurants interessierten, die irgendetwas Neues und Interessantes auf dem Programm hatten. „Nur“ handwerklich Gutes wurde als zu wenig betrachtet, man strebte nach den echten Hotspots, über die jeder redet. Was die bürgerliche Küche angeht, konnte man fest damit rechnen, dass Gourmets keineswegs immer ihre heimliche Freude an Traditionellem haben, sondern dass sie nach zwei oder drei solchen Essen hintereinander und in kurzer Zeit die Segel vor dieser „kulinarischen Vergewaltigung“ durch Menge, Überwürzung und technische Unzulänglichkeiten streichen. Die Szene war also geprägt durch mehr oder weniger radikale Vorlieben oder Abneigungen, nicht durch einen entspannten Umgang mit allem und jedem. Das Interesse galt – natürlich immer neben Ambiente und ähnlichen Dingen – zu einem sehr wichtigen Teil den kulinarischen Aspekten im engeren Sinne.
Die krisenbedingte Verschiebung von eher kulinarischen auf allgemein gastronomische Interessen
Durch die Abstinenz in der Krise haben und werden sich erhebliche Verschiebungen der Interessen ergeben. Je länger routinierte oder mittlerweile sogar weniger routinierte Restaurantgeher von ihrer Lieblingsbeschäftigung abgehalten werden, desto mehr geht es nicht mehr primär um kulinarische Details, sondern um das Essen-Gehen als solches, als soziales Ereignis. So „verzickt“ das Publikum vor der Krise gewesen sein mag, so offen wird es nach einem Neustart sein – Hauptsache, man kann überhaupt wieder irgendwo essen, die wuselige Atmosphäre gefüllter Restaurants erleben, sich in der Geräuschkulisse einer belebten Brasserie wunderbar geborgen fühlen oder in einem Brauhaus regelrecht untertauchen, frei, ungezwungen und auch in der Auswahl des Essens ganz ohne die heimlichen oder weniger heimlichen Verhaltensregeln, die vielleicht ein Freundeskreis oder andere Bezugsgrößen haben.
Die Krise wird nach dem Neustart den Drang zum Normalen fördern. Das war schon nach dem ersten Lockdown zu spüren und wird sich nach dem Ende des laufenden noch verstärkt zeigen. Vor dem Hintergrund, dass man von Restaurantbesuchen ausgeschlossen war, wird es nicht nur für eine begrenzte Zeit „egal“ sein, wo man wieder essen kann, sondern der Wunsch nach Normalität wird sich zuerst einmal auch auf normaleres Essen beziehen. Das „vernünftige“ und „richtige“ Essen wird den ausgehungerten Gästen näher sein, als etwas, das man früher schon immer gerne als „Pinzettenküche“ geschmäht hat. Während man solche Zuordnungen normalerweise in kürzester Zeit ad absurdum führen kann (weil zum Beispiel auch Nicht-Pinzetten-Küche erst durch viel minutiöse Präzision so wird, dass sie vor allem als süffig und „lecker“ empfunden wird), werden sie in der Nach-Corona-Zeit ein etwas größeres Gewicht entfalten. Auch jetzt schon gibt es ja in der Gastronomie Diskussionen rund um die Frage, ob man denn in der Vergangenheit etwas falsch gemacht habe und überhaupt Alles viel lockerer und näher am Gast stattfinden müsse. Im Grunde gibt es dafür erst einmal keinen Anlass, der etwas mit der Krise zu tun hat, weil für dieses unvorhersehbare Ereignis niemand in der Gastronomie verantwortlich ist. Aber – wie dem auch sei – diese Diskussion wird sich noch verstärken.
Kreative in der Nach-Corona-Zeit I: die Ruhe bewahren
Wenn der Fokus auf dem Gastronomischen im weiteren Sinne und nicht so sehr auf dem Kulinarischen im engeren Sinne liegt, werden es kreative Ansätze zumindest für den Zeitraum bis zur völligen Normalisierung noch schwerer haben als ohnehin schon. Das wird sich auch nicht dadurch ändern, dass die Spitzengastronomie insgesamt erst einmal von der Lage profitieren wird. Sagen wir es so: eine kreative bis avantgardistische Küche profitiert von einem großen Gefühl der Freiheit, davon, dass man weit jenseits der täglichen Ernährung an einem kulinarischen Erlebnis arbeitet, das im Range eines kulturellen Ereignisses steht. Wenn das „essen gehen“ der wichtigste Grund wird, werden kreative Überraschungen oder gar Irritationen zunächst einmal nicht im Vordergrund stehen. Und weil wir in Deutschland ohnehin noch keine besonders große Gemeinde für die kreative Küche haben, wird sich für einen gewissen Zeitraum da nicht viel tun. Der Grund dafür ist übrigens nicht nur das Publikum, sondern sind auch und vor allem die Medien, die jetzt schon deutliche Tendenzen zu kulinarischen Konservativismen zeigen und ihre ansonsten auch schon mal ein wenig getarnte Vorliebe fürs Schlichte nun voll auszuleben beginnen. Kreativen, die schon lange planen, etwas mehr „Gas“ zu geben und ihrer Arbeit ein stärkeres kreatives Profil zu geben, ist zu raten, in Ruhe genau daran zu arbeiten, die Veröffentlichung aber noch ein wenig zurückzuhalten, bis sich wieder eine größere Normalität eingestellt hat.
Kreative in der Nach-Corona-Zeit II: es ist Zeit für einen neuen Ansatz
Es gibt schon lange Bemühungen (etwa rund um die dänische, von Rene Redzepi gegründete MAD-Initiative, allgemein bei vielen Köchen der Nova Regio-Szene), Kreativität bodenständiger zu verankern, und zwar rund um Regionalität in einem weiteren Sinne, also näher an regionale Produkte, näher an Traditionen usw. usf. Diese Bemühungen haben bisher unter anderem deshalb eine vergleichsweise geringe Resonanz, weil sie sich zu nahe an der Gourmetküche/der Spitzenküche entwickelt haben und weil ihre Gerichte einfach noch nicht so schmecken, dass sie bei aller Modernität mehrheitsfähig gut sind. Der Grund dafür findet sich meist nicht bei den Produkten, sondern bei einer zu geringen Beachtung des assoziativen Kontextes, also letztlich beim Geschmacksbild der Bemühungen. Wenn sich der Geschmack vor allem am Geschmack der internationalen Avantgarde orientiert, produziert man nicht mehr, als eine Variante des alten Gourmet-Systems. Erst wenn man geschmacklich näher an die Traditionen kommt, und diese in ein modernes Denken integriert, wird man die Schwelle zu einer ernst zu nehmenden Bewegung überschreiten.
Für kreative Bemühungen in dieser Richtung ist die Nach-Corona-Zeit sehr gut geeignet um nicht zu sagen: eine Art Steilvorlage. Wenn sich aus der Krise das Alte ungeschoren und „wie immer“ wieder erhebt, wird man sich freuen. Wenn sich aus der Krise und nach Allem, was wir alle gemeinsam erlebt haben, Neues erhebt, das viel damit zu tun hat, was uns die Krise gelehrt hat, wird man begeistert sein.
Ich wünsche ein frohes Fest und alles, alles Gute für 2021 – auch wenn wir noch etwas warten müssen.
Kann mir einer erklären was er mir damit sagen will? Nutzen erkenne ich keinen für mich.
Das ist Journalismus??? Bitte keinere weiteren Artikel mehr,diese haben absolut keinen mehrwert.
Kennt man einen Artikel von ihnen kennt man alle!!!immer und immer wieder das gleiche und das selbe,( Kreativ,Avantgarde,Überwürzung,Kochkunst,Spitzenküche,Kochkunst). Sie Preisen doch so sehr die Kreativität an,dann werden sie doch auch einmal in ihrer Schreibweise Kreativ.
Besten Dank für ein Jahr voller interessanter und inspirierender Beiträge – möge das neue Jahr geöffnete Restaurants und wieder eine Vielzahl Ihrer oft streitbaren aber immer hochgeschätzten Artikel hervorbringen!
Da hier nun besonders die Liebhaber avantgardistischer Küche angesprochen wurden, ein paar wenige Anmerkungen:
– dass „nur“ handwerklich Gutes nicht geschätzt wird, stimmt so gewiss nicht. Die Frage ist eher, ob handwerklich perfekte Küche im Mainstreambereich schon den Rang einer Weltklasseküche einnehmen kann. Hier sagen Freunde der Avantgardeküche klar nein. Das entscheidende Kriterium muss hier eine überragende Kreativität sein.
– Auch Anhänger der Kreativen sehnten sich nach der Krise eher nach „Normalem“. – Nein. Gerade „Pinzettenküche“ ist während des Lockdowns selbst bei Gourmet-to-go Angeboten kaum zu bekommen, hier gibt es „Normales“ zuhauf. Hotspots wie Kopenhagen hatten selbst im Sommer die Einreise ausländischer Touristen nicht erlaubt. Der Avangardista lechzt geradezu nach der Öffnung insbesondere der Kreativrestaurants.
– Bemühungen Kreativität bodenständiger zu verankern seien bislang gescheitert. – Dies gilt bestenfalls für Deutschland. In Kopenhagen kommt kaum noch ein gehobeneres Restaurant an dem Einfluss der Kreativen vorbei. Und das mit durchaus massenkompatiblen Ergebnissen. Dass gerade diese Restaurants nahezu immer ausgebucht sind – und nicht aufgrund ausländischer Gäste! – spricht hier Bände.
Ein frohes Fest und vor allem Gesundheit für 2021
Wenn das Journalismus sein soll, dann Gute Nacht!
Schlimmer geht immer. Ich hatte nicht gehofft, dass (bzw. gehofft dass nicht) Jürgen Dollase noch unter das Niveau seines Belgien-Artikels sinken würde. Es ist nun aber leider tatsächlich geschehen.