Charles Schumann über seine Arbeit, Passion, allerlei Japanisches und warum ihm das Witzigmann-Essen im Tantris nicht gefallen hat

Jürgen Dollase (JD): Lieber Charles Schumann, war der achtzigste Geburtstag für Dich irgendein Grund zu irgendeiner besonderen Überlegung?

Charles Schumann (CS): Nein! Einmal haben wir ihn ja nun. Nicht gerade unter gewöhnlichen Verhältnissen gefeiert (Anm.: am 15.9.21, also unter vielerlei Corona-Einschränkungen). Ich bin hiier gewesen, iich habe mit meinen Mitarbeitern noch ein Glas Champagner getrunken, weil wir um diese zeit schon um 10 Uhr zumachen mussten. Wir waren dann überteugt, dass wir das im Sommer nachfeiern werden.

JD: Wie fühlst Du Dich in diesem Alter angesichts Deines harten Berufs und eines sehr langen Berufslebens in der Gastronomie – was die körperlich, aber auch was die geistige Seite angeht?

CS Was die geistige Seite angeht, hoffe ich, dass ich noch lange frisch bleibe..

JD: … viele werden in diesem Alter auch einfach müde. Du siehst jedenfalls nicht so aus…

CS: Ich will einfach noch etwas Neues machen. Ich denke: das kann es ja jetzt noch nicht gewesen sein. Ich muss mir noch etwas einfallen lassen.

JD: Und da hast Du schon eine Idee?

CS: Jein, ich denke – wenn ich in ein anderes Land gehe…also: hier möchte ich nichts machen, hier war ich zu lange. Seit ich hierhin an den Hofgarten gezogen bin, rede ich davon wegzugehen. Ich habe es immer noch nicht geschafft. Neulich hat mir jemand gesagt: „Weiß Du was? Du stellst Niemanden mehr ein, dann sterben die alle weg und dann kannst du vielleicht mit 90 selber gehen.“

Nein, nein, das will ich ja auch nicht. Ich versuche, japanisch zu lernen – was ganz schwierig ist – und habe daran gedacht, vielleicht doch ein paar Jahre nach Japan zu gehen

JD: Du hast dort schon etwas…

CS: Ja, aber keine Bar, sondern ein „Schumanns House“, ein Teefeld – was wunderbar ist und was wir schon ewig betreuen – und wir haben etwas ganz Großartiges, eine Abgängerin – die schon ewig bei uns gearbeitet hat – von der Slow Food Akademie. Sie ist Master of Tea und Sake, oder was weiß ich, und die ist in Japan geblieben. Aus einem Jahr wurden sieben Jahre, ich überlege mir immer, was man mit diesen Verbindungen und Möglichkeiten machen könnte. – Ich kann aber auch in ein ZEN-Kloster gehen…

JD: Bei Deiner Küche muss man sich immer die Frage stellen: Siehst Du Dich als einen Vertreter der Tradition oder als einen Vertreter der Moderne?

 

CS: Es gibt einen Ausspruch, den habe ich einmal bei Dir in der FAZ gelesen, und der heißt: „Klassik sei wachsam“. Ich sehe mich eher traditionell, aber mit vielen Einflüssen, durch viele Reisen und Vieles, was ich gesehen und probiert habe. Ich denke jeden Tag darüber nach, wie man besser werden kann, ich schaue mir jeden Teller an, deswegen arbeite ich überhaupt hier. Ich bin auch verärgert, wenn mir etwas nicht gefällt. Ich versuche, dass wir nicht zu modern werden – was ich auch nicht glaube – ich möchte, dass wir eine ehrliche Küche machen, die ich auch selber essen will. Mein Spruch ist immer: Wenn Du Dich an Essen erinnern kannst, ist das gut, dann hast du nichts falsch gemacht

JD: Du sagst immer, Schumanns Bar am Mittag wäre so etwas wie eine gehobene Kantine. Ist das Essen mehr funktional oder ist es irgendwie so etwas wie eine andere kulinarische Weltanschauung – gerade im Vergleich zu dem, was in den Brauhäusern abgeht?

CS: Damit möchte ich mich natürlich nicht vergleichen. Was für mich immer am wichtigsten ist, ist der Gast. Wenn der Gast hier hereinkommt und will etwas Klares, Gutes zum Mittagessen, dann kann er das hier bekommen. Und dann – das muss man sich einmal vorstellen – kommen Gäste zu mir und sagen: Du bist zu billig!

JD: …Du bist wirklich nicht teuer…

CS: …Wie kannst Du das Essen zu diesen Preisen anbieten? Noch einmal zu den Brauhäusern: Nein, wir sind nicht traditionell. Ich bin mehr von den vielen Menschen beeinflusst, die hier mit mir arbeiten. Wir haben 18 Nationen in unserem Team. Eine Japanerin zum Beispiel: wenn die den Teller anmacht, dann sieht das einfach anders aus. Sie sieht das Essen anders, sie geht anders mit den Sachen um, und so kann selbst ein einfaches Brot ganz anders wirken.

JD: Ich will ein wenig auf die spezifische Kreativität hinaus, die sich ergibt, wenn man wie Du schon ewig mitten in München gearbeitet hat und viel im Ausland gewesen ist. Wie siehst Du Dich und Deine Pläne?

CS: Ich möchte wirklich mit Leuten arbeiten, von denen ich etwas lernen kann. Das war und ist immer so bei mir. Ich sage aber auch zu ihnen: Geht raus, seht Euch alles an, denkt über alles nach. Du musst selbständig sein können, du musst alles machen können, du musst Essen mehr als verstehen, du musst auch jemand im Team ersetzen können, wenn er einmal ausfällt. Ich kann das, auch in der Küche. Als Barkeeper kann ich vielleicht nicht mehr die Mengen produzieren, die wir hier teilweise haben. Das ist kein Problem. Aber meine Leute machen hier abends oft solche Mengen, dass sie nach vier Tagen Arbeit erst einmal platt sind.

JD: Entwickelst du noch Cocktails?

CS: Na ja, ich behaupte schon von mir, dass ich Flaschen in die Hand nehme und dann weiß ich, was man machen könnte. Aber man könnte natürlich auch richtig damit arbeiten und hingehen, ein paar Leute zusammenstellen und dann sagen, wir entwickeln jetzt einmal richtig neue Sachen. Andererseits sind die richtigen Profis und Entwickler auch nicht nur sehr gut, sondern auch sehr teuer. Das ist nicht wirklich ein Thema. – Die Japaner sind in diesem Punkt nicht unbedingt meine Vorbilder. Aber sie machen doch Sachen, die mich sehr beeindruckt haben. Der Entwickler von Nikka zum Beispiel (Anm.: Die berühmte japanische Whisky-Sorte), der lange tot ist, den ich aber noch gut gekannt habe, ging vor der Eröffnung seiner Whisky-Brauerei nach Schottland und sagt: ich kann ja nur von denen lernen, die das richtig können. So etwas würde ich auch gerne machen. Aber – bei allen Leuten mit denen man bei solchen Sachen zu tun hat, ist eben immer zuviel Marketing im Spiel, da ist so etwas schwer.

JD: Interessiert Dich, was Andere machen?

CS: Bedingt. Bei manchen Sachen sage ich, das kann man hier sowieso nicht machen, weil vor allem am Abend einfach zuviel passiert. Mittags ist es einfacher. Da wissen wir: es kommen zwischen 90 und 150 Leute, das kriegen wir hin. Abends wird es sehr schwierig. Mit der Fleischzubereitung zum Beispiel tue ich mich bei den Mengen immer etwas schwer. Es kann doch nicht sein, dass wir im Sommer an einem warmen Abend 100 Steaks verkaufen. Das machen wir doch dann nicht wirklich richtig! Ich will einfach zu dem stehen, was wir hier machen.

 

Heute habe ich zu einem meiner Köche gesagt: Mach Canneloni, weil er das so wahnsinnig gut kann. Aber was macht er? Er macht gefüllte Nudeln. Das ist vielleicht ganz toll, aber ich sage nein, das machen wir nicht, wir bleiben bei den Sachen die wir gut schaffen können.

Ich war neulich im Tantris beim Abschiedsessen für Eckart (Witzigmann). Das Essen hat mir nicht gefallen, oder besser gesagt, die ganze Einstellung dazu. Da kommt ein Freund von mir, der in Paris lebt und sagt: die haben die besten Leute eingekauft. Nein, so geht’s nicht. Du kannst nicht Leute zusammenkaufen. Du musst auch Leute ausbilden, du musst sehen, dass alles einen guten Zusammenhang hat.

JD: Du magst wahrscheinlich auch diese eine ARTE-Serie über japanische Handwerker und ihre Arbeit?

CS: Ja natürlich, davon gibt’s ja sehr viele Folgen. Ich könnte den ganzen Tag da sitzen und zuschauen

JD: Ich liebe die Passion, ich liebe es irgendwie, dass es Leute gibt, die nur Reis herstellen, das absolut perfekt machen und gar nichts anderes machen wollen.

CS: So etwas möchte ich am Ende meines Lebens machen. Ohne Passion ist doch alles nichts wert.

 

Porträt Charles Schumann: Andrea Thode für das Effilee-Magazin. Den Abzug auf ganz speziellem Papier hat mir damals Vijay Sapre von Effilee auf meinen Wunsch hin zukommen lassen. Ich finde das Bild sensationell gut.

 

 

1 Gedanke zu „Charles Schumann über seine Arbeit, Passion, allerlei Japanisches und warum ihm das Witzigmann-Essen im Tantris nicht gefallen hat“

  1. Und niemals vergessen, dass es außer Charles Schumann keinem Menschen auf diesem Planeten (außer evtl. Auguste Escoffier) gelungen ist, ein weltweit allgemeingültiges Standardwerk [also die „Bibel“] für die Gastronomie zu verfassen. Jeder Gastronom, der etwas auf sich hält, hat den „Schumann“ unterm Tresen.

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