Buchkunst und Kochkunst. Der Taschen-Verlag präsentiert Yoshihiro Narisawas Satoyama-Küche. Ein Buch zum Staunen mit enorm nachhaltiger Wirkung.

Hier erst einmal die beeindruckenden Details in der Version des Verlages:

 

Yoshihiro Narisawa/Sergio Coimbra: Satoyama Cuisine. Taschen Verlag, Köln. 416 S., Hardcover, 6-farbiger Druck mit Lack, mit Bodonian-Einband aus zwei verschiedenen, aus Japan importierten Stoffen, Buchblock mit vergoldeten Kanten, 40 x 33 cm, in einer glänzend lackierten, mit Naturleinen ausgekleideten Box. Gesamtgewicht 15 kg. Collector’s Edition von 1.000 Exemplaren, jeweils von Yoshihiro Narisawa und Sergio Coimbra signiert. 1.250 Euro (zu erhalten direkt über www.taschen.com)

 

 

 

Der Taschen-Verlag aus Köln (gegründet 1980) setzt seit vielen Jahren auf ein klares Konzept. Man befasst sich mit großen, immer intensiv bebilderten Büchern, die nicht nur (meist) in englischer Sprache erscheinen, sondern auch ganz klar auf einen Markt zielen, der sich in den großen internationalen Metropolen ergibt. Dazu braucht man adäquate Themen, die ebenfalls vor allem dort verstanden werden und ein nach vielen Millionen zielendes Publikum erreichen können. Wer diese Zielgruppe erreicht, kann auch eine Menge an Büchern verkaufen.

Seit 1999 gibt es auch immer wieder „Limited Editions“, also Bücher, die besonders aufwändig gestaltet sind, strikt limitiert, nummeriert und oft signiert sind und teilweise zu Sammelobjekten geworden sind, die schon bei Auktionen hohe Preise erzielt haben. Die Themen dazu liefert meist die Kunst, aber auch zum Beispiel die Popmusik, Architektur und Design, Comics, Mode oder Film. Ein Beispiel ist etwa eine Ferrari-Edition mit einem Einband in Form von zwei Motorblöcken.

 

Nun hat es erstmals ein kulinarisches Werk auf dieses Level geschafft – so muss man das wohl ausdrücken. Ich nehme an, dass diese Ausgabe mit ihren 1.000 Exemplaren nicht unbedingt ein „Probeschuss“ für dieses Thema ist und zügig weitere folgen werden. Wenn man die möglichen (und sehr plausiblen) Gründe für die Auswahl von Narisawa als Protagonisten sieht und nach Vergleichbarem auf dem Globus sucht, wird man fündig werden – aber nicht sehr oft. Hier geht es erst einmal um etwas anderes, nämlich um eine neue Stufe der internationalen Kommunikation, die der Kochkunst bisher weitgehend verschlossen war. Man erachtet die Kochkunst im Falle von Narisawa als „satisfaktionsfähig“, als so komplex aufgestellt und vor allem eingebunden (siehe weiter unten), dass sie ein Gesamtkunstwerk ergibt, das jeden Aufwand in der Präsentation lohnt. Wenn man sich ansieht, was Narisawa da zu bieten hat, wird der Zusammenhang schnell deutlich. Bei ihm kommt der direkte Bezug zur Natur und Kultur besser zusammen als bei fast jedem anderen Koch. Der Bezug zur Natur ist in seinen „Landschaften“ oder in der Ausarbeitung von jahreszeitlichen Bezügen auch optisch oft radikal und man kann ihn – sehr wichtig – auch fotografisch sehr gut umsetzen. Dazu kommt dann der Bezug zur japanischen Esskultur, zu deren ganz besonders intensiven Arbeiten an speziellen Produktqualitäten, die uns etwa in Europa noch weitgehend fremd sind. Dazu kommt der Bezug zur Kultur, was die Umsetzung dieses Buches geradezu zwingend macht. Wenn man so typisch japanische Handwerkstraditionen wie das lackierte Holz für die Kassette oder den Stoff für den Bucheinband in eine so enge Beziehung zur Arbeit eines Kochs stellen kann, muss das Ergebnis genial werden – sozusagen Erde und Himmel in allen Zwischentönen, logisch, augenfällig, sinnfällig. Die Wahl von Narisawa für diesen – hoffentlich nur ersten – Band ist zwingend.

Noch eine kleine Anekdote. Ich kenne Narisawa von seinem Auftritt bei der „Chefsache“ her und konnte mir direkt und in der Vorbereitungsküche hinter der Bühne von ihm und seiner Arbeitsweise ein Bild machen. Es gab da ein großes Problem. Narisawa arbeitet ja üblicherweise mit Produkten aus der engsten Umgebung und konnte natürlich nicht alles aus Japan mitbringen, was er für seine Gerichte brauchte. Es ging also darum, in der Umgebung von Köln irgendwo im Wald Material zu beschaffen… Es hat weitgehend geklappt, seine Performance war grandios.

 

Das Buch in Details

Es wird nicht zu verhindern sein, dass man bei diesem Buch vor allem von der Macht der Bilder erfasst wird, bei denen sich die Größe (aufgeklappt ca. 80 cm) unbedingt als wichtiger Faktor erweist. Dazu kommt, dass Fotograf Sergio Coimbra auch bei den weiteren Bildern glänzt, vor allem bei den kontrastreich inszenierten Schwarz-Weiß-Fotos. Insgesamt hat man hier aber den Eindruck, als ob bei den Fotos nicht allzu viel Kalkül eine Rolle spielte, sondern einfach nur richtig gute, überwältigende Bilder entstehen sollten, als ob man den Fotograf gesucht hätte, der zu dieser Küche passt.

Trotzdem geht es natürlich um den Inhalt. Die Texte sind nicht sehr umfangreich, aber klar und auf den Punkt gebracht. Es geht zuerst um die Erläuterung von Narisawas Konzept („What is Satoyama?“), das „gut für Körper und Geist“ sei und „nachhaltig für Umwelt und Zukunft“. Während wir uns in Europa oft vor allem mit dem zweiten Teil beschäftigen, macht das „Gut für den Geist“ natürlich den typisch japanischen Unterschied. Hier stellt sich Narisawa ganz in die Tradition der japanischen Produzenten, Handwerker und Manufakturen, die dann auch im Verlauf der nächsten, einführenden und begründenden Kapitel eine große Rolle spielen. – In „Japan undiscovered“ geht es um Details und Produkte, die für die Küche von Narisawa essentiell sind, um eine Sensibilisierung für die Verankerung in der Kultur. Die Verankerung in der Natur folgt im Kapitel „In the Beginning there was Soil“, wo Narisawa tatsächlich bei der Erde und ihren natürlichen Produkten beginnt und klar macht, dass er sozusagen das Gegenteil von Köchen ist, deren Beziehung zu den Produkten aus der Sichtung der Lieferungen der entsprechenden Großhändler besteht. Aber auch zu „radikal regional“ – Ideen bei uns wird eine beträchtliche Distanz sichtbar. Narisawa steht eben eher in einer Art radikalen Tradition, die heute – glücklicherweise – wieder besser verstanden wird. Von irgendeiner Nähe zu großstädtischen, jüngeren und/oder künstlerischen Szenarien ist hier nichts zu sehen. „Evolve with the Forest“ spezifiziert seinen Ansatz noch einmal deutlich. Hier wird zum Beispiel die Grundlegung der Serie von jahreszeitlichen Gerichten klar („Bread of the Forest“), eine Konsequenz in der Reaktion einer Küche auf die Natur, die weit über den Kanon unserer handvoll jahreszeitlicher Produkte hinausgeht. In diesem Kapitel geht es dann auch um die traditionellen Verfahren wie Fermentierung, mit denen man sich einen neuen Kanon von Produkten erschließen kann. Nach „Sense of wonder“ über die entsprechenden Sensibilitäten gegenüber dem Wundern der Natur folgt dann der Hauptteil mit der Überschrift „A Blessing from Nature“, in dem die Rezepte des Meisters versammelt sind.

Bei diesen Rezepten handelt es sich um eine sehr schöne Sammlung von japanischen Großmeister-Rezepten. Gerade die besten japanischen Köche halten sich ja oft mit Rezepten auffällig zurück, unter anderem deshalb, weil sie der Meinung sind, dass man ihre Arbeit nicht in Rezepte fassen könne. Das kann man so sehen, trifft damit aber nicht den Kern. Hier geht es um Verständnis, um Zusammenhänge, um die Art der kochtechnischen „Eingriffe“ und ihre Wirkungen, um die Komposition, um die Ästhetik usw., nicht unbedingt ums Nachkochen. Die bestechend schönen Bilder und Anrichtetechniken helfen da ganz gewaltig, vielleicht auch deshalb, weil die Rezepte sich ständig mit Berichten über die entsprechenden Produzenten und Manufakturen (im weitesten Sinne: es geht zum Beispiel auch um Messer) abwechseln. Viele der Rezepte wirken dann auch ein wenig wie nicht von dieser Welt – zumindest eben nicht der europäischen Welt – und sind unbedingt geeignet, Gedanken darüber auszulösen, ob man eine solche Intensität, einen solchen Zusammenhang zwischen Natur, Mensch und Produkten eigentlich auch an anderer Stelle realisieren könnte (ich meine: ja, aber es wird sehr, sehr schwierig, weil wir dann gleich mehrere gedankliche Sprünge schaffen müssten). – Den Abschluss macht ein Kapitel über Japanese Condiments“, also Shoyu, Miso, Dashi und Co. – natürlich auf allerbestem Niveau.

 

Fazit

Ein solches Buch steht außer Konkurrenz. Es ist einfach eine sensationell gemachte, weit in die Zukunft und Vergangenheit gleichzeitig greifende Ode an das, was Kochkunst sein kann, wenn sie in sich ruht – was dann wiederum so zu verstehen ist, dass sie alle verfügbaren Kräfte bei sich und zu ihrem Nutzen behalten und einsetzen kann.

Wer kann, wird dieses Buch kaufen, für so etwas sollte man vielleicht auch seine Spardose einsetzen…

Die Bewertung mit den maximalen 3 grünen B ist eine Formalität. Tatsächlich ist dieses Werk, in der ganzen Komplexität seiner Bedeutung, ein Meilenstein.

Bilder: Taschen-Verlag/Sergio Coimbra

1 Gedanke zu „Buchkunst und Kochkunst. Der Taschen-Verlag präsentiert Yoshihiro Narisawas Satoyama-Küche. Ein Buch zum Staunen mit enorm nachhaltiger Wirkung.“

  1. Es bleibt nur zu hoffen, dass Taschen seinem Konzept von anderen Luxus-Büchern auch hier treu bleibt, und irgendwann einmal eine „Volksausgabe“ dieses Buches, einfacher ausgestattet, kleineres Format etc. herausbringt, so dass es eine breitere Verbreitung findet, als nur die 1.000 Sammler und Leser:innen,

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