Im Januar gab es einen Blutmond über Deutschland. Der fachlich korrekte Terminus wäre sogar Super-Blutmond und vielleicht war es sogar ein „Super-Duper-Blutmond“ – das kann ich Ihnen leider nicht mit Sicherheit sagen. Ich hatte mir vorgenommen an diesem Abend mit meiner Kamera am Fenster zu sitzen und diesmal nicht, um bei den Nachbarn auf der anderen Straßenseite „Sky“ mitzugucken, verzweifelt versuchend Lippen zu lesen und mir Handlungsstränge zu erschließen, sondern weil ich mich auch mit dem Thema Mondfotografie beschäftigen wollte. Mit meiner Kamera und einem Glas Wein bewaffnet wollte ich dem Spektakel beiwohnen, doch kam – wie so oft – alles völlig anders. Ich saß mit guten Freunden in einem Restaurant und wollte einen Happen essen, wobei dieser Happen zugegebenermaßen aus unzähligen kleinen Happen bestand und schließlich in einem regelrechten Gelage ausartete. Es war ein kleines Lokal, mit einem Konzept, das man französische Tapas nennen könnte. Es gibt allerlei klassische Köstlichkeiten der Brasserieküche „en petit“.
Der Empfehlung der freundlichen Kellnerin, wir sollten mit circa drei kleinen Gerichten pro Person beginnen, leisteten wir Folge und bestellten prompt sieben Gänge pro Person. Wenn man sich nicht zwischen Bœuf bourguignon, Bouillabaisse, Burgunderschnecken und Kaninchenleber entscheiden muss, sondern alles haben kann – dann sollte man diese Entscheidung meiner bescheidenen Meinung nach auch nicht erzwingen. Es kam so, dass der Abend immer später und die Flaschen immer leerer wurden. Die kleine Brasserie wich einer New York Bar und bei Manhattan und Gimlet wurden die schönen Dinge des Lebens besprochen. Der neuentdeckte Winzer, das neue Leberterrinenrezept, der letzte Urlaub im Elsass. Auch diese Gläser leerten sich irgendwann (eine tückische Eigenschaft, die viele Gläser aufweisen) und wir beschlossen heimzugehen – schließlich war immer noch genug Zeit, sich gemütlich auf das Mond-Ereignis vorzubereiten. Auf dem Heimweg wurde ich allerdings müder und müder und es kam mir so vor, als würde sich der Weg ins Unermessliche ziehen.
Als wir zuhause ankamen entschloss ich mich ganz klassisch für die Schlafgarnitur, in der ich nur eine Socke trage und mein T-Shirt halbausgezogen lasse. Als ich am nächsten Morgen aufwachte – nicht verkatert, aber durchaus desorientiert – sah ich eine Kameratasche samt Stativ auf dem Schreibtisch stehen. Ich merkte schnell, was ich verpasst hatte. Aber so spielt das Leben – dachte ich – oder etwa nicht?
Das war die Frage, die ich mir an diesem Tag stellte, die Frage, die schon Generationen von Hobby-Philosophen und Teilzeit-Mantra-Lesern beschäftigt hat: Was wäre, wenn…?
Ich möchte mit Ihnen über verpasste Chancen reden. Gleich hier und heute. Denn der nächste Super-Duper-Blutmond wird erst in neun Jahren stattfinden und es gibt keinerlei Garantie dafür, dass auch dieser so Super-Duper wird, wie der letzte.
Man kann sein ganzes Leben anhand dieser Frage dekonstruieren: Was wäre, wenn ich mich in der Schule mehr bemüht hätte. Was wäre, wenn ich mich früher um eine Altersvorsorge gekümmert, was, wenn ich rechtzeitig den Ölstand des Autos kontrolliert hätte. Man kann sich so in alternative Zeitstränge hineinversetzen, die auf den ersten Blick nicht immer positiv sind. Wenn meine Freundin nicht diesen Artikel im Zeit-Magazin über Yoga gelesen hätte, dann hätten wir uns nicht darüber unterhalten. Ich hätte nicht herumgewitzelt, dass wenn sie sich mit Yoga beschäftigen möchte, ich mich mit Cocktails und Drinks beschäftige. Ich hätte vielleicht nie meine Leidenschaft für gute Drinks ausgeweitet (vorhanden war sie, seit ich mich im legalen Alter dafür befinde). Man kann dieses Konstrukt weiterspinnen und endet in diesem speziellen Fall damit, dass wir uns vielleicht nie kennen gelernt hätten. Und wäre das nicht schade? Die meiste Zeit – und das hängt wohl damit zusammen, dass wir Menschen wehleidige Jammerlappen sind – stellen wir uns aber vor, dass alles besser gekommen wäre, wenn wir uns einmal zusammengerissen hätten oder weniger gegessen oder besonnener auf etwas reagiert. Wir suhlen uns gerne darin, spinnen das ganze Konstrukt rückwärts, um herauszufinden, wo wir falsch abgebogen sind, was oftmals zu obskuren Erkenntnissen führt.
Mein VW-Bus wäre zum Beispiel in einem tadellosen Zustand, wenn ich schon vor fünf Jahren einen Blick unter den Teppich geworfen und Löcher entdeckt hätte, als sie noch die Größe eines Stecknadelkopfes hatten. Es würde mir gesundheitlich besser gehen, wenn ich mich öfter gegen Backwerk und Terrinen und für Sport und Bewegung entscheiden würde.
Ich glaube, dass wir diese Art von Selbstkasteiung brauchen. Es geht uns gut, aber es ist doch nicht auszuschließen, dass es uns ein bisschen besser hätte ergehen können, wenn wir uns anders entschieden hätten. Ist es nicht gemütlicher, die Schuld auf eine Fehlentscheidung zu schieben, als sich mit eben dieser abzufinden und mit den Konsequenzen zu leben?
Kein Blick in den Rückspiegel, kein Schwelgen in alternativen Realitäten. „There’s no turning back, just forward now…“, wie ein großer britischer Musiker unserer Zeit einmal sagte. Wenn wir nur daran denken, was wir hätten haben können, vergessen wir, was wir gehabt haben. Das Leben sieht aus wie die Kopie einer Kopie, wenn wir uns dazu hinreißen lassen, darüber zu sinnieren, was wir hätten haben können. Ein wunderbares Foto vom Blutmond. Vom Super-Blutmond. Oder einen wunderbaren Abend mit Freunden, mit gutem Essen, leckerem Wein und langen Gesprächen. Ich habe mir meinen eigenen Blutmond gemacht, den ich jederzeit vorholen kann, wenn mir danach ist. Und eines kann ich versprechen. Es IST ein Super-Duper-Blutmond.
Für den Cocktail dieser Woche geben wir 5cl Gin, 1,5cl Campari, 6cl Blutorangensaft, einen Zweig Rosmarin, einen Dash Orangenbitters, sowie einen Dash Rosenwasser in einen Shaker voller Eiswürfel. Wir shaken das Ganze kräftig einige Sekunden lang. Mit einem Strainer wird der Drink in einen mit Eiswürfeln gefüllten Tumbler gegeben. Zur Garnitur stecken wir einen kleinen Zweig Rosmarin in den Drink und fahren mit einer Blutorangenzeste den Rand des Glases ab, bevor wir sie ebenfalls im Drink platzieren.
Und wenn ich diesen Drink so vor mir stehen habe, schießen mir wieder einige Gedanken durch den Kopf. Wenn ich das Glas länger vorgekühlt hätte, würde der Drink nicht so schnell verwässern. Hätte ich den Rosmarinzweig stärker angeschlagen, wäre es noch einen Hauch feiner. Ich habe mir vorgenommen, weniger darüber nachzudenken, was gewesen wäre und mir öfter ins Gedächtnis zu rufen was ist. Alte Gewohnheiten sterben langsam.
Hätte der Hund nicht gesch…
Na ja, Sie wissen schon.
In diesem Sinne – auf verpasste Chancen und neue Wege,Der heilige Helge
Zutaten bei BOS FOOD zu bestellen: 5 cl Beefeater Gin (Art. Nr. 39677) • 1,5cl Campari (Art. Nr. 38780) • 6 cl Blutorangensaft • 1 Zweig Rosmarin • 1 Dash Bitter Truth Orange Bitters • 1 Dash Rosenwasser (Art. Nr. 12583)