Bianc: Rezension und ein Nachwort.

Matteo Ferrantino: Bianc, Simple and sexy. Bianc Betriebsgesellschaft, Hamburg 2022. 420 S., geb., Hardcover im Schuber. 165 Euro

Es ist reine Routine, aber ich sehe bei einem neuen Buch, das mich erreicht, immer erst einmal danach, wo es herkommt und wer es hergestellt hat. Bei diesem Buch aus dem Hause „Bianc“ (also dem 2 Sterne-Restaurant in der Hamburger Speicherstadt unweit der Elbphilharmonie) wird man da in einem wichtigen Punkt nicht so recht fündig: man findet einfach keinen Verlag. Der nächste Blick geht dann auf die geschäftliche Struktur, und man entdeckt, dass das „Bianc“ eines der seltenen Restaurants ist, bei dessen Entstehen vermutlich ein wohlhabender Privatmann eine wichtige Rolle spielte. Viele besternte „Hotelköche“ werden da allerlei Geschichten erzählen können – meist mit dem Inhalt, dass es immer wieder wohlhabende Gäste gibt, die dem Koch sinngemäß sagen: „Wenn Du Dich einmal selbstständig machen willst, melde Dich doch bei mir. Das kriegen wir dann schon hin.“

Matteo Ferrantino hat seinen Start in Hamburg jedenfalls perfekt hinbekommen. Nach der Eröffnung im Jahre 2017 gab es 2019 den ersten und bereits 2020 den zweiten Stern. Dass in Hamburg längst gute Perspektiven für die Spitzenküche bestehen, ist schon seit etlichen Jahren klar. Es schlägt sich mittlerweile auch in allerlei Sternen nieder. Großstadt ist eben Großstadt und es verschiebt sich Vieles dorthin, wo von Natur aus mehr Interessenten sind.

 

Bianc. Das Buch.

Dieses ziemlich opulente und mit 165 Euro auch recht kostspielige Buch ist kein reines Kochbuch mit etwas drumherum. Es ist eine Art kulinarische Großbiographie, die das Leben des 44-jährigen Matteo Ferrantino in großer Breite und Tiefe und vor allem mit vielen Bildern schön inszeniert wiedergibt. Nach einem Vorwort von Eckart Witzigmann, mit dem er auf Mallorca zu tun hatte, ist der erste Satz Ferrantinos: „Wähle die besten Produkte und dann lass sie, wie sie sind. Kein Abakadabra. Mach es simple und sexy.“ Gut, denkt man da, ich verstehe, was gemeint ist. Aber auch der Curnonsky-Satz: „Um gute Küche handelt es sich dann, wenn die Produkte so schmecken, wie sie sind“ war schon im Grunde falsch. Soll man nun kochen oder nicht? Es folgt Satz zwei von Ferrantino: „Ganz ehrlich, zuerst habe ich dieses Buch ganz egoistisch für mich gemacht.“

Mit diesen zwei Sätzen kann man das Programm schon fast entschlüsseln. In großen Teilen geht es also um die kulinarische Biographie mit Beginn in Hamburg und einigen grundsätzlichen Dingen, dann aber zurück zu den prägenden Stationen. Kapitel I hat den Titel „Mattinata“, und es geht – ungewöhnlich ausführlich – um Herkunft und Kindheit, die so ausgefallen ist, wie man sich das von einem ordentlichen italienischen Koch vorstellt. Der Signature-Dish, die Hommage an die Mutter ist dann auch „Focaccia, Mediterrane Büffelbutter und Mortadella“. Kapitel II geht in die erste Station in der großen kulinarischen Welt, das „Ca’s Puers“ auf Mallorca, die erste wichtige Kooperation von Eckart Witzigmann und dem späteren ersten Ikarus-Chef Roland Trettl. Es gibt wieder viele Bilder und – wie im ganzen Buch – ausführliche Texte von Weggefährten zur gemeinsamen Arbeit. Signature Dish ist hier u.a. mit dem „Gazpacho Octopus“ eine Hommage an Eckart Witzigmann. Kapitel III ist „Hangar 7/Ikarus“ in Salzburg gewidmet, Kapitel IV der „Vila Joya“ an der Algarve – ähnlich ausführlich behandelt, immer mit Signature Dishes.

Ab Seite 179 folgt dann Hamburg. Auch hier gibt es erst einmal vor allem Bilder und Text und wenig Rezepte, dafür aber alle denkbaren Details zum Konzept für Hamburg und die Denkweise von Koch und Küche. Und so dauert es mit der eigentlichen Rezeptsammlung bis Seite 265. Die Rezepte kommen dann wieder klassisch auf Doppelseiten und – bis auf den Schluß – ohne zusätzliche Bilder und Texte. Weil das Buch aber recht umfangreich ist, ist immer noch viel Platz für eine gute Menge aktueller Rezepte. Der Stil ist ganz klar eine Summe dessen, was Ferrantino bisher gemacht hat, also zwischen Italien, Mediterranem der spanischen Art und Atlantik portugiesischer Prägung. Spuren von Hamburg entdeckt man nicht, was insofern verwundert, als bisher die Orte ihre Folgen hinterlassen haben. Insofern macht der Meister jetzt etwas anderes, als er bisher gemacht hat. Es fehlt der kulinarische Reflex auf die Umgebung – obwohl man sich eine Mischung seiner bisherigen Einflüsse mit dem ein oder anderen Norddeutschen durchaus spannend vorstellen könnte (auch wenn viele Köche in Deutschland immer behaupten, so etwas sei hier nicht möglich…).

Hier einige Rezepte: Taschenkrebs, Karotte, Zitrus, Kalamata-Olive — Langoustine-Tatar, Ajo blanco, Kaviar — Kirsch-Gazpacho mit Parmesansandwich — Orechiette, Cima di Rapa, Anchovis, Knoblauch — Rochenflügel, Amalfi-Zitrone, Kapern, Pedro Ximenez — Wilder Steinbutt, Basilikumsud, Pata Negra, Tomaten — Bacalhau-Kutteln, Erbsen, Pfifferlinge, Trüffel — Iberico-Bäckchen, Carabiniero, Chorizo, Graupenrisotto — Merinolamm, Anchovis, Paprika, Knoblauch –Schwarze Olive, Orange. Die Rezepte haben durchweg ein ähnliches Niveau und sind – man ahnt es – eben nicht nur Produkte, an denen man nichts gemacht hat. Die Technik ist modern, aber nicht avantgardistisch und man erkennt schnell, dass Ferrantino seine Rezepturen nicht von heute auf morgen entwickelt hat, sondern den oft komplexen Aromatisierungen ein beträchtlicher, intensiver Prozess vorangegangen sein muss. Sie sind elaboriert, aber konzentriert und laufen nicht auseinander. Das hat Hand und Fuß – in der mediterranen Grundlegung und Konzeption und der Adaption einer mitteleuropäischen Hochküchen-Technik.

 

Fazit

Ein schönes, aufwändig gemachtes Buch, das nicht nur für Freunde des Hauses ein gutes Souvenir ist, sondern auch für an der Herkunft und Denkweise von Köchen Interessierte viele Informationen enthält. Die Bilder sind schön, die Atmosphäre ist schön, die Rezepte sind gut, aber nicht unbedingt weit nach vorne weisend, und man kann immer wieder studieren, wie sich mediterrane Farben in einer Vielzahl von Schattierungen entwickeln.

 

Das Buch bekommt zwei grüne B. Für mehr fehlt am Inhalt ein Stückchen Genialität oder Progressivität. Solche Einschätzungen entstehen natürlich vor dem Hintergrund von internationalen Maximalwerken.

Fotos: Helge Kirchberger Photography

Nachwort: Über kulinarische Publikationen mit und ohne Verlag

Im Zusammenhang mit dieser Buchveröffentlichung fallen dann weitere Dinge auf. Und weil ich hier nicht einfach nur schematisch Bücher referiere und rezensiere, muss ich das jetzt einmal wieder vortragen. Alle Welt weiß, dass Ferran Adrià seine großen schwarzen Bände im Selbstverlag gemacht hat und damit sehr viel Geld verdient hat. Dieses Modell haben dann auch andere Köche versucht – mit unterschiedlichem Erfolg. Darüber ist nie weiter geredet worden, man hält das heutzutage alles für selbstverständlich und normal. Schließlich kann heute absolut jeder Mensch im Netz soviel veröffentlichen wie er will, und wenn er unbedingt ein Buch machen will, kann er auch das.

 

Demgegenüber steht die „alte“ Praxis, dass es sozusagen eine besondere Ehre und ein Ausweis von Qualität ist, wenn es gelingt, einen Vertrag mit einem Verlag zu bekommen. Die einen schaffen es, die anderen nicht, weil sie nicht für interessant genug gehalten werden, um ein ausreichend großes Publikum zu erreichen. Das wiederum haben dann die Verlage selber aufgeweicht, weil sie das Pferd heute oft von hinten aufzäumen: sie veröffentlichen – etwas holzschnittartig formuliert – Dinge, die sie für kommerziell interessant halten, nicht die, die inhaltlich eine überzeugende Qualität haben. Und wenn man sich dann auf die Seite des Publikums begibt, muss man natürlich damit rechnen, dass ein schrottiger Populismus regiert, den man dann auch noch – soweit hat man die alten Regeln noch im Blut – als überragende Leistung verkauft. Warum zum Teufel gibt es neben Millionen von italienischen Kochbüchern, die aus erklärlichen und unerklärlichen Gründen vor allem in Deutschland verkauft werden, auch noch ganz aktuell ein ziemlich unterirdisches Kochbuch von Herbert Grönemeyers Köchin?

Aber zurück zu „Bianc“. Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass – soziologisch formuliert – die Autoren und am Thema wirtschaftlich Beteiligten und Interessierte auch gleichzeitig die Gatekeeper sind, also jene üblicherweise kenntnisreichen Personen, die den Daumen senken oder heben und über eine Veröffentlichung entscheiden. Kurz und gut: in solchen Büchern wird maximale Promotion zu finden sein, selber gemacht oder mit ein paar Freunden. Das ist keine Kritik an solchen Büchern, das ist eine Erinnerung an Zusammenhänge.

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