Bernard Antony/Katherine Khodorkowsky: Käse. Ducasse Edition, Levallois-Perret 2020. 216 S., geb., Hardcover, 45 Euro.

Das Buch ist in französischer Sprache im Internet zu bekommen, in deutscher Übersetzung per Post bei der Fromagerie Antony.

Bernard Antony ist eine solche prägende und wichtige kulinarische Persönlichkeit, dass ich seine Person und sein Buch etwas ausführlicher vorstellen möchte.

Wenn Experten ein kulinarisches Buch schreiben, kann das schon mal eine etwas schwer verständliche Sache sein. Nun aber gibt es ein Käse-Buch von einer lebenden Legende der Zunft, das einfach grandios klar und informativ und nützlich ist. Der Franzose Bernard Antony aus dem kleinen Sundgau-Städtchen Vieux Ferrette ist der international wichtigste Kenner der Materie und Lieferant für viele der besten Restaurants der Welt. Er hat Unmengen von Ehrungen bekommen und ist doch vollständig bodenständig geblieben. Aus der Seitenstraße des kleinen Ortes schicken Antony und sein Sohn Jean-Francois beste klassisch-französische Sorten rund um den Globus, haben aber gleichzeitig auch ein ganz „normales“ Käsegeschäft und besuchen mit ihrem Wagen mehrere Märkte in der Region. Kulinarische Exzellenz hat eben immer auch viel mit Handwerk zu tun, und wer sein Handwerk perfekt beherrschen will, braucht dafür nicht nur Talent, sondern auch lange Jahre der Erfahrung und etwas, das man am besten mit „Passion“ beschreibt. Dabei ist Monsieur Antony weder ein jovialer Alleswisser noch ein Zampano, der mit extremen Ansichten für Aufsehen sorgt. Er ist in seinem Spezialgebiet sozusagen die verkörperte Seriosität, das Käse-Gewissen einer Nation, von der de Gaulle einmal gesagt hat: „Wie wollen Sie ein Land regieren, das 246 Käsesorten hat?“ Kurz und gut: die Voraussetzungen für ein Buch mit Kenntnis und Augenmaß sind einfach optimal.

Dabei fing alles ganz anders an. Der junge Bernard arbeitete von 1957 bis 1962 erst einmal in einer Fabrik. Dann musste er zum Militär und nach Algerien, kam zurück und arbeitete in einer Épicerie (eine Art Feinkostgeschäft in traditionellem Sinn). Seine ersten Versuche als Händler hatten mit dem Käse noch wenig zu tun. Es gab einige Sorten Schnittkäse, und das war alles. Die Sache kam erst 1979 in Bewegung, als ein lokaler Käseindustrieller ihn mit Pierre Androuet in Verbindung brachte, dem französischen „Käsepapst“ schlechthin. Antony begann, seine Käseabteilung auszubauen und eröffnete schließlich im Jahr 1982 seinen „Käs-Keller“. Der Rest ist Legende. Es ging immer weiter aufwärts, bis zu dem, was er heute ist: eine allseits beliebte, feste Größe in der kulinarischen Szene und exzellenter Botschafter französischer Käsekultur, den man übrigens immer wieder auch in den besten Restaurants antrifft, oder auch überall dort, wo man einmal wieder ein exzellentes Käsebuffet in den Mittelpunkt von Empfängen, Messen oder Veranstaltungen stellt. Oder Sie finden ihn im Internet, wo er eine ausgesprochen kurzweilige Facebook-Seite unterhält, auf der man in schneller Folge alle möglichen Neuigkeiten aus der kulinarischen Welt erfahren kann. Die internationale Verteilung der Kundschaft ist übrigens erstaunlich. 60 bis 70% der Käse gehen mittlerweile ins Ausland, davon der größte Teil nach Deutschland. Auf Platz zwei folgt Hongkong, gefolgt von der Schweiz, Spanien, Österreich und Großbritannien. Sieht er beim Verhältnis zum Käse eigentlich im Laufe der Jahre eine Veränderung? „Natürlich“, meint Antony dazu, „früher hatte der Käse im Restaurant-Menü einen festen Platz. Bei manchen modernen Köchen ist das nicht mehr der Fall. Und der Anteil an Ziegen- und Schafskäse ist deutlich gestiegen.“ Und wie ist es mit dem Ziegenkäse in Deutschland? „Na ja,“ meint Antony sehr zurückhaltend, „da gibt es einfach immer noch zu viele Vorurteile. Dabei gibt es Ziegenkäse in allen Nuancen, von sehr leicht oder nussig bis zu gereiften, kräftigen Sorten.“ Und wie gehen die Leute zu Hause mit dem Käse um? „Wer damit aufgewachsen ist, dass der Käse zum Essen gehört, bleibt fast immer dabei. Deswegen steigt auch das Interesse privater Besteller immer weiter an.“

Die Corona-Krise hat Manufakturen dieser Art hart getroffen. Vor kurzem gab es noch eine Meldung von ihm, bei der er ganz zurückhaltend auf seine aktuelle Lage verwies: „Die Restaurants haben geschlossen,“ hieß es da, „aber unsere Käse reifen weiter.“ Bernard Antony, der auch zu anderen kulinarischen Handwerkern beste Kontakte hat, berichtet von massiven Problemen mit der Überproduktion schon in der ersten Phase des Lockdowns, die dazu geführt haben, dass in Frankreich zum Beispiel berühmte Geflügelproduzenten wie Mièral kaum Tiere verkaufen konnten oder Fischer mit kleineren Booten ihren Beruf an den Nagel hängen mussten. Wenn die unzähligen französischen Restaurants keine normale Nachfrage mehr erzeugen, gerät das ganze System ins Wanken. Antony selber berichtet von einem Umsatzverlust von 50%. Viele seiner Käse, die ja ein lebendes Produkt sind und keineswegs unbegrenzt gelagert werden können, hat er an Heime und andere soziale Institutionen verschenkt. Und er hat festgestellt, dass die Lieferung direkt zu Privatkunden – gerade auch aus Frankreich heraus zu deutschen Privatkunden – vorzüglich klappt. Die Postdienste schaffen das per Chronopost ganz ausgezeichnet und von heute auf morgen – mit einem Aufgeld natürlich. Auf diese Weise ist für private Interessenten in der Krise eine ganz besondere Situation entstanden: sie können Weltklasse-Produkte kaufen, die normalerweise noch nicht einmal bekannte Gourmetrestaurants einfach mal eben bestellen können, weil der Meister immer zuerst sicherstellen will, dass seine Käse auch sozusagen in besten Händen sind. Wird es bei diesem Service bleiben? Ja, meint Antony, aber immer mit der Einschränkung, dass man nicht alles bekommt, was man will. „Wir verschicken nur, was wir in einem optimalen Zustand vorrätig haben.“ Wer übrigens einmal selber in diese ruhige, aber nicht weit von der Achse Straßburg – Basel entfernte Ecke kommen möchte, ist – nach Anmeldung – herzlich willkommen. Für 18 Euro pro Person gibt es eine Degustation. Weine kann man in seinem Weinladen ebenfalls bekommen und auch ein Käsegeschäft für weitere Einkäufe ist im Haus.

Das Buch
Das Werk des Meisters ist kein Käse-Lexikon, in dem Unmengen von Sorten aus aller Welt kurz erwähnt werden. Es ist ein Buch, das exakt mit den Produkten synchronisiert ist, mit denen sich Antony beschäftigt, also besten, klassischen französischen Sorten, und ein paar wichtigen, ebenfalls klassische Käsen aus anderen Ländern, die er bei den besten Erzeugern einkauft und in seinen modernen Reifekellern zu Perfektion reift. Natürlich erfährt man erst einmal etwas zu Bernard Antony und seiner speziellen Geschichte und – sehr anschaulich und klar – zur Käseherstellung. Das alles ist unpompös dargestellt und genau so, wie der Mensch Antony persönlich ist: freundlich, immer gut zuhörend, nie dozierend, aber mit einer unglaublich profunden Sachkenntnis versehen. Und so etwas hat seine Folgen. Es ist ganz erstaunlich, welche Resonanzen der Meister auf seine Arbeit bekommen hat. Weil in Frankreich die Spitzen der Gesellschaft dem feinen Geschmack auch in der Öffentlichkeit wesentlich näher stehen als das bei uns der Fall ist, hinterlassen Sie auch gerne Spuren der Dankbarkeit in Form von Briefen oder Einträgen in das hauseigene Goldene Buch – von den diversen Ehrungen ganz zu schweigen.

Hier nun ein kleiner Blick auf die Details. Es geht zuerst um „die großen Käsefamilien“, die er zum Beispiel in „Weichkäse mit Schimmelrinde“ (wie etwa den Brie de Meaux oder den Camembert de Normandie), „Weichkäse mit gewaschener Rinde“ (zum Beispiel Livarot, Maroilles, Reblochon oder Munster Géromé) oder „Käse aus gepresstem und erwärmten Bruch“ (wie etwa Mimolette, Morbier oder Saint-Nectaire) differenziert. Es folgt etwas zu den Käseherstellern, was daran erinnert, dass man klar zwischen denen unterscheidet, die den Käse machen, und denjenigen, die den Käse reifen und in den verkaufsfähigen Zustand bringen, also den Affineuren oder – wie Antony sagt – den Käse-Eleveuren/Züchtern. Die Vorstellung von „Herstellern aus Frankreichs Regionen“ gerät in diesem Buch zu einem wunderbaren Einblick in die Welt der großen kulinarischen Handwerker, wie etwa den Mönchen der Abbaye de Tamié („In der Abbaye de Tamié ist der Käse göttlich“). Spätestens nach diesem Kapitel ist alles da, was die Käsekultur bei unseren Nachbarn so faszinierend macht, und – es stellt sich Hunger nach einem der ganz großen Käse ein. Wenn Antony zum Beispiel die Reifung des Tamié beendet hat, schmeckt dieser Käse einfach sensationell gut, komplex und differenziert. Was folgt, ist dann natürlich die Beschreibung der Arbeit des Affineurs, des Käseflüsterers, wie man es eigentlich nennen müßte. Hier gibt es zwar alles über seine Arbeit, was man schreiben kann. Dennoch bleibt er natürlich ein Spezialist wie ein großer Koch. Man weiß nie ganz genau wie er schmeckt und warum er so überragende Qualitäten produziert.

Und wenn man nun meint, es würde langsam sehr speziell, kommt bei Bernard Antony das, was bei ihm kommen muss, die ganz klare Hinwendung zum Käsefreund, zum Kunden und zum optimalen Umgang mit dem Käse. In der Abteilung „Käse geniessen“ geht es erst einmal darum, wie man einen Käse auswählt. Als Beispiel gibt es eine Antwort auf die Frage, wie man einen Camembert auswählt:

Der kritische Blick: Wenn die Rinde samtig weiß mit rötlichen oder bräunlichen Flecken ist, wissen Kenner, dass er wirklich reif ist und alle Chancen hat, an diesem Tag oder den folgenden Tagen vorzüglich zu munden. West die Rinde keine Pigmentierung auf, sollte man ihn liegen lassen, weil er noch nicht ausgereift ist. Eine stark ausgeprägte bräunliche Verfärbung an Kanten zeigt dagegen an, dass er seine Reifezeit überschritten hat und umgekippt ist.

Geruch: Riecht der Camembert allzu stark nach Ammoniak, so ist er überreif und sehr pikant.

Haptik: Man muss sozusagen einen erfahrenen Daumen besitzen, um beurteilen zu können, ob er im Inneren elastisch, cremig, kreidig oder aber gar flüssig ist. Eine flüssige Masse lässt ahnen, dass sekundäre Fermentation seinen authentischen Geschmack beeinträchtigt hat. Wie jeden Weichkäse tastet man auch Camembert vom Rand zur Mitte hin ab, weil er vom Rand zum Kern hin reift.“

Bei den praktischen Hinweisen geht es zum Beispiel darum, wie man einen Käse aufbewahrt, um das Käsevokabular, oder darum, ob man die Rinde essen kann. Diese Frage sieht der Meister relativ. Es kommt eben drauf an, wie kräftig sie ist und ob sie den Kern stark dominiert. Und dann kommt ein wichtiger Tipp: „Wenn man kostet, ob ein bestimmter Käse zu einem bestimmten Wein passt, lässt man die Rinde liegen“. Das lässt dann auch gleich darauf schließen, dass man bei der Kombination mit allen möglichen Getränken (siehe unten) immer daran denken sollte, dass die Rinde oft sehr viel kräftiger als der Kern eines Käses schmeckt. Natürlich geht es auch ausführlich um harmonische Verbindungen mit Gewürzen, um „Verbindungen, die man mindestens einmal im Leben ausprobieren sollte“ (z.B. Kapern mit Ziegenfrischkäse), um „temperamentvolle Verbindungen“ (z.B. kleine weiße Zwiebeln zu Roquefort und Camembert), um „wahre Klassiker“ (z.B. frische Feigen mit einem korsischen Schafskäse) oder „raffinierte Verbindungen“ (z.B. Pfirsiche mit einem jungen Pérail de Brebis). Es folgt etwas zur Kombination von Käse mit verschiedenem Brot, wobei Antony ganz nebenbei erst einmal beschreibt, wie ein gutes Baguette auszusehen hat (Kruste nicht zu hell, breite Spalten in der Kruste, ungleichmäßige Krume als Ausweis für handwerkliche Herstellung, Geschmack nicht zu salzig und nur dezent nach Hefe). Den Abschluss bilden die Kombinationen mit Wein und anderen Getränken, wobei der Meister in diesem Kapitel ein – sagen wir: hochwertig-französisches Verständnis zeigt, das nicht für Jedermann so ohne weiteres reproduzierbar ist (z.B. zu einem „etwas salzigen Brie de Meaux“ einen Champagner Dom Pérignon 2002 oder zu einem Livarot einen Saint-Julien, Château Branaire-Ducru 1989). Aber – es soll eben das Optimum sein, es soll verführen.

Bei einer großen Besonderheit, seiner Käse-Zeremonie, gibt es einen originellen Ablauf und auch Weinempfehlungen. Hier der Ablauf dieser Zeremonie, die man bei ihm in Vieux Ferrette erleben, aber natürlich auch zu Hause im Freundeskreis als einen echten kulinarischen Höhepunkt rund um den Käse praktizieren kann:

Käsezeremonie nach Bernard Antony

1. Als Aperitif einen ca. 18 Monate alten Comté fruité mit einem Muscat D’Alsace

2. Warmer Ziegenkäse mit Sauerteigbrot aus dem Steinbackofen, großzügig gebuttert, Provencekräuter und Olivenöl, dazu ein Pinot Gris

3. Eine Platte mit fünf Ziegen- und Schafskäsesorten, dazu ein Riesling

4. Sechs Käsesorten aus Flachland und Bergen: Cîteaux, Reblochon, Tommes usw., dazu ein Pinot Noir aus dem Elsass oder aus Burgund

5. Drei Käse mit gewaschener Rinde, Maroilles, Munster und ein Blauschimmelkäse oder Edelschimmelkäse, dazu Gewürztraminer

6. La Ratte-Kartoffeln mit Butter demi-sel (halbgesalzen, das erinnert daran, dass auch die Butter ein Milch-Produkt ist)

7. Drei Käse mit Schimmelrinde: Camembert, Brie, St-Marcellin, dazu ein roter Bordeaux

8. Tarte Maison mit frischen Früchten der Saison

Fazit
Bei einem solchen souveränen Buch voller ausgereifter, präzise zusammengetragener Erkenntnisse ist die Wertung selbstverständlich. Das Buch ist enorm praktisch orientiert, hat seine gewisse Individualität in den allerdings bestens gereiften Vorstellungen des Meisters. Es ist ein Buch, das man wirklich benutzen kann – und zwar von der häuslichen Küche bis zum Drei-Sterne-Restaurant.

Das Buch bekommt 3 grüne BBB

Fotos © Ducasse Edition / Guillaume Czerw

Fromagerie Antony. 5, rue de la Montagne, F – 68480 Vieux-Ferrette. Tel. 0033 (0) 3 89 40 42 22.

www.fromagerieantony.fr contact@fromagerieantony.fr

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