Auszeit-Denken: Gourmetrestaurants brauchen eine neue Strategie

Die Corona-Krise kann die kreative Gastronomie bis ins Mark treffen. Wie sehr das der Fall sein wird, wie sehr sich also Einnahme-Ausfälle und fixe Kosten zu einem überwindbaren oder unüberwindbaren Berg stapeln, wird natürlich von der Länge der Auszeit abhängen. Was aber jetzt schon begonnen hat, sind Denkprozesse, die es ohne die Krise wohl kaum je gegeben hätte. Und wenn sie einmal in Gang gekommen sind, dauert es nicht lange, bis eine Reihe von wichtigen Zusammenhängen sichtbar werden, die sehr viel mit den aktuellen Problemen und sehr viel mit der Zukunft zu tun haben. Hier einige der Dinge, die mir jetzt schon aufgefallen sind.

Die Szene lebt von einer hochgezüchteten Kommunikation
Die Gourmetszene und insgesamt viele neue Formate profitieren ganz entschieden von einer hochgezüchteten Kommunikation, die Dinge möglich gemacht hat, die früher nie möglich gewesen wären. Wenn sich heute manche gestandene Köche darüber wundern, dass ein Gourmetrestaurant neu aufmachen kann und schon in der nächsten Ausgabe des Michelin einen Stern bekommt, dann meinen sie auch, dass man früher oft einen langsamen, „soliden“ Aufbau betrieben hat, der irgendwann dann auch gute Bewertungen in Restaurantführern brachte. Heute ist es wegen der rasend schnellen Kommunikation möglich, dass z.B. ein Sous-Chef eines bekannten Sternerestaurants (oder auch ein Koch, der schon einmal gute Auszeichnungen hatte) ein neues Restaurant eröffnet und sich schon in zwei oder drei Tagen eine große Nachfrage einstellt. Viele Multiplikatoren haben davon erfahren, und das, was man früher einmal betulich „es spricht sich rum“ genannt hat, spielt sich heute in anderthalb bis zwei Tagen ab (bei meiner Koppelung von www.eat-drink-think.de, dem zugehörigen Facebook-Account und meinen zwei Facebook-Seiten ist das die typische Länge, in der eine neue Information ihr Maximum entwickelt). Man hat also konkrete Erwartungen an das Restaurant, weil der Koch gute Leistungen verspricht, liest noch schnell die online gestellte Speisekarte, wirft einen Blick auf ebenfalls schon veröffentlichte Bilder und entscheidet sich sofort. „Anlaufzeiten“ sind so oft gar nicht nötig. Wenn es so klappt – ist dann alles bestens in Ordnung?

Die intensive Kommunikation täuscht über wichtige Realitäten hinweg
Die Krise zeigt und wird leider wohl noch deutlicher zeigen, dass man in einem Hype leben kann, ohne es zu merken. Manch ein Erfolg kommt nur unter einem maximalen, punktuellen Zusammenwirken aller medialen Kräfte zustande, wird aber möglicherweise von den Köchen ausschließlich mit der genuin kulinarischen Qualität der Küche verbunden. Dass das Publikum unter Umständen nicht das Resultat eines vielfältigen Marketings ist und aus entsprechend unterschiedlichen Bereichen kommt, wird möglicherweise gar nicht erst gesehen. Auf alle Fälle „die Foodies“ sind da und es ist voll. Punkt. Unter solchen Umständen wird dann auch erst gar nicht darüber nachgedacht, dass die Einnahmen zu 100% aus dem täglichen Betrieb des Restaurants stammen, und weder mit Catering noch anderen Aktivitäten zu tun haben. Ein Restaurant dieser Art ist im Prinzip wie ein Schreibwarengeschäft, in dem es nur einen einzigen Kugelschreiber zu kaufen gibt – etwas überzeichnet formuliert.

Wenn nun in einem Restaurant dieser Art die einzige Einnahmequelle wegbricht, bleibt nichts, außer vielleicht der vermutlich wenig erfreuliche Versuch, über „Außer Haus-Verkauf“ irgendwie noch ein paar Euro zu erzielen. Es ist absehbar, dass so etwas dem Prinzip von Gourmetrestaurants so komplett gegen den Strich geht, dass sich damit wohl kaum ein Restaurant mit exzellent präsenten Produkten und einer präzise arbeitenden Mannschaft halten kann.

Auf einem Bein kann man nicht stehen, oder: viele Gourmetrestaurants brauchen Geschäftsmodelle, die wirklich tragen
Wir kennen alle Fälle von Köchen, die den Herd weitgehend verlassen haben und sich mit eigenen Produktserien und einer Art Mix aus Feinkostladen und Luxus-Snack vergnügen. Johannes King auf Sylt hat auf meine Frage, ob er mit seinem kleinen Genuss-Shop in Keitum mehr verdiene als das Gourmetrestaurant im „Söl’ring Hof“, eher vielsagend gelächelt als eine Antwort gegeben. Andere machen Ähnliches und sind nicht gerade unglücklich dabei. Will sagen: auf einem Bein kann ein selbstständiger Koch nicht wirklich stehen, sondern sollte sich von Beginn darum bemühen, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das Einnahmen in ganz verschiedenen Bereichen generiert. Es gibt mittlerweile Generationen von Köchen, bei denen ein paar Hotelzimmer die finanzielle Grundlage dafür geschaffen haben, dass sie in der Küche immer gut arbeiten konnten. In den letzten Jahren haben sich bei uns immer mehr Häuser entwickelt, die über zwei oder manchmal sogar drei Restaurants verfügen. Auch das ist ein guter Weg. Die kreative Szene, die sich erst seit kurzer Zeit intensiv in unseren Großstädten entwickelt hat, ist davon aber oft ein gutes Stück entfernt, weil ihre Kapitaldecke bei weitem nicht ausreicht, solche Ausweitungen vorzunehmen.

Aber – das ist nicht alles, was man machen kann. Ich habe mich vor vielen Jahren schon gewundert, warum das damals genial wirkende Amuse-Bouche-Menü von Dieter Müller im Schloßhotel Lerbach immer nur im Restaurant angeboten wurde, und es nicht in der Nähe der Küche eine Bar geben konnte, in der man auch einzelne Dreier-Sets genießen durfte. Wäre ein Snack-Point nichts für Gourmetrestaurants der neuen Art, ein Take-Away, in dem man sich auch wirklich auf Zubereitungen spezialisiert, die dazu geeignet sind? Ist das wirklich unter der Würde eines Restaurants und entspricht nicht dem Sterne-Niveau, das man ansonsten anstrebt? – Es gibt viele Dinge, die halbherzig und so sehr nebenbei betrieben werden, dass sie kaum Sinn machen. Warum gibt es in guten Restaurants nicht mehr zu kaufen? Ich persönlich habe zu frühen Zeiten immer danach gesucht, ob nicht Irgendetwas von dem, was in einer Gourmet-Küche eine große Rolle spielt, auch zu kaufen ist. Köche wie Olivier Roellinger in Cancale in der Bretagne oder eben auch hierzulande Ingo Holland haben schon sehr früh genau das, was ihre Küche so speziell macht, auch verkauft. Es gibt viele Beispiele dafür, wie man erfolgreich auf mehreren Beinen stehen kann, und wie dies sogar in einer Krise wie heute über den Versand zumindest noch einen Teil der Einnahmen stabil hält. Es gibt Köche mit eigenen Zeitschriften, viele haben Bücher (auch da könnte man einmal richtig darüber nachdenken, wie dieser publizistische Teil so gestaltet werden könnte, dass quasi jeder Gast auch etwas mitnimmt…), Weinläden, Schulungen aller Art usw. usf. Ja, diese Dinge sind oft erst im Laufe der Zeit mit dem Erfolg entstanden, der Erfolg einer Küche hat sie möglich gemacht. Und – nein, das muss nicht so sein, sondern sollte von Anfang an eine Rolle spielen. Und – auch in diesem Bereich sind noch viele interessante Dinge denkbar.

Die Auszeit ist nicht nur ein riesiges Problem. Sie sollte auch dazu führen, Konzepte zu überdenken, sie tragfähiger zu machen, um das wirtschaftliche Überleben guter Köche so oder so auf gesündere Fundamente zu stellen.

4 Gedanken zu „Auszeit-Denken: Gourmetrestaurants brauchen eine neue Strategie“

  1. Tja, das ist so eine Sache mit dem breiten aufstellen! Haben wir gemacht! Hotel, Kochschule mit Feindinning und Shop, Catering für alle Preisklassen und ein Freizeitlokal in einem Tierpark. Breit aufgestellt damit immer etwas geht für bis zu 60 Mitarbeiter. War auch nicht so richtig richtig. Aber wir sind ja Unternehmer und nicht Unterlasser. Was uns nicht tötet macht uns nur härter.

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  2. Guten Tag,

    Alles richtig, auf einen Bein kann man nicht stehen, wird nur der 1 Punkt hier unterschlagen. Produzieren sie mehr bieten Sie neue Produkte, erhöhen Sie Ihre Gäste zahlen, brauchen Sie auch mehr Personen die das alles umsetzen ! In der Gastronomie ist es nicht wie in der Industrie die mit 15 – 20% Personalkosten (und immer mehr automatisiert)Arbeiten wir brauchen zwischen 30-40% des Umsatzes für Personal. Richtig ist mit Zimmer Vermietung ist es einfacher und ein sicheres Standbein. Aber das können nicht alle, es geht kein Weg daran vorbei die Preisgestaltung muss den Kosten entsprechen und solange keine ordentliche Kalkulation mit ordentlichen Gehältern ( Arbeitszeitgesetze eingehalten werden, Familien freundliche Arbeitszeit Modelle, Arbeitszeit Konten richtig führen, alle Hygiene Auflagen erfüllt werden sowie Listen …….)gemacht wird ,werden wir uns immer im Kreis drehen, kreative Modelle erfinden und noch moderner kochen oder regionaler . Wir müssen erst einmal unsere Hausaufgaben machen. Ein Preis Leistungs Verhältnis Aufbauen das für Gäste, Personal, Unternehmer fair ist !

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    • Vielen Dank für die Hinweise. Ich habe hier vor längerer Zeit einmal ein Interview mit Frank Rosen über exakt diese Probleme gemacht. Er sagt im Prinzip etwas ganz Ähnliches. Professionalisierung muss eben nicht nur in der Küche stattfinden!

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      • Guten Tag,

        Habe ich gelesen, meine Frau war bei Herrn Rosin Restaurantleiterin, er hat seine Mitarbeiter Führung schon sehr früh gut bezahlt und ordentlich behandelt deshalb ist er auch erfolgreich. Ein Ansatz Punkt könnte sein die Meister Pflicht wieder einführen. Den Meister gezielter auf Führung und Marketing Ausbilden , und ihn nicht 20 verschiedene Austern Sorten und 30 verschiedene Wild Arten lehren lassen. Mehr finanzielle Unterstützung zur Ausbildung des Meisters und nicht nur 550€ Bafög damit kann man in Heidelberg nicht einmal ein Zimmer bezahlen! Haben wir gute Meister somit haben wir gute Commis die wiederum gute Lehrlinge ausbilden mit Sachverstand.
        Ein zweiter . Ich sage mir immer die guten Köche die in der Öffentlichkeit stehen haben die Aufmerksamkeit und die nötige Autorität um eine Veränderung in der Ausbildung herbeizuführen, leider sehe ich jedes Jahr bei der Chefsache auf der Hauptbühne dies immer nur als Rand Thema, ja es wird behandelt in Fragmenten mal hier mal da, doch als das große Thema als Überschrift mit Lösungsansätzen, Ideen verschiedener Art in offener Diskussion was braucht der Landgasthof was braucht das Sterne Restaurant. Viel wichtiger noch ist die Ideen dann durchzusetzen dass die Ausbildungsordnung zielgerichtet geändert wird und nicht nur der Elite zugute kommt so wie es die Jeunes Restaurateurs vor machen.
        Bildung ist der Schlüssel, wir haben unser Ausbildung so weit herunter geschraubt nur damit so viele wie möglich die Prüfung bestehen um den Fachkräfte Mangel entgegen zu wirken das 70% der Ausgelernten Köche nicht einmal mehr einen Fisch filetieren kann, bzw. frischen Kerbel von frischer Petersilie unterscheiden kann. Wieder eine ordentliche Gesellenprüfung herbeiführen, ist eine Prüfung eine Prüfung wenn man sein selbst geschriebenes Menü 4 Wochen im Betrieb kochen kann bis man es mit verbunden Augen und einer Hand auf dem Rücken kochen kann, ist das eine Prüfung??
        Und übrigens, ein gut ausgebildeter Koch, Meister und Unternehmer hat genug Kreativität, Fachwissen und Motivation seinen Betrieb so aufzustellen das er Rücklagen bilden kann, jegliche Hilfen in Anspruch nimmt um eine Krise zu überstehen, wo wir wieder am Anfang wären, die jetzt vorhandene Zeit kreativ zu nutzen.

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