Nach den ersten Wochen von Schließungen droht vor allem der gehobenen Gastronomie nun ein neues Problem. In den klassischen Erzeuger-Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien (aber zu einem Teil auch in Deutschland) kommen die Produzenten und Lieferanten bester Ausgangsprodukte mehr und mehr in Schwierigkeiten. Der Ausfall der Nachfrage und Behinderungen der Vertriebswege sorgen für Überproduktionen und bringen vor allem spezialisierte, kleinere Produzenten in große Schwierigkeiten. In Frankreich zum Beispiel setzen sich schon Köche für den Erhalt der Küstenfischerei ein (also der Fischerei im kleinen Boot oder auch der Fischerei „en ligne“), und an anderen Stellen drohen Massenschlachtungen von Beständen (mit entsprechenden finanziellen Verlusten), die nicht mehr auf normalem Weg abgesetzt werden können. Wenn hochpreisige Realien wie Steinbutt und bretonischer Hummer, wenn Produkte wie Bresse-Poularden oder Limousin-Lämmer einfach nicht mehr verkauft werden: Wie lange wird es sie noch geben können?
Und wenn man das weiter denkt: Man stelle sich vor, die deutschen Gourmetrestaurants dürfen wieder öffnen und haben dann einen großen Teil ihrer Ausgangsprodukte nicht mehr zur Verfügung. Wird sich dann unter dem Einfluss der Krise die Küche ändern? Wird sie sich vielleicht sogar ändern müssen?
Das Produkt ist der Star
Dieser uralte Satz aus den Tiefen der Michelin-Traditionen hat selbstverständlich immer noch eine große Bedeutung und wird sie auch in Zukunft haben. Da er aber nur kurz und knapp und scheinbar einleuchtend, aber nicht wirklich präzise ist, hat sich im Laufe der Zeit das ein oder andere Missverständnis entwickelt. Es hat sich eine Sparte der Luxusküche entwickelt (zum Beispiel in Pariser Spitzenrestaurants), die mit sagenhaften Produkten glänzt, ansonsten aber nur begrenzten Einsatz zeigt. Es gibt eben Küchen, in denen ein hervorragendes Produkt nicht automatisch auch zu einem hervorragenden Endprodukt führt. Und es gibt – umgekehrt – Küchen, die hervorragend sind, bei denen aber die schiere Produktqualität nicht unbedingt extrem auffällt. Leider hat sich um den Gestus der Luxusküchen eine Art Fankult unter Gästen wie Köchen wie Kritikern entwickelt, der in einer eher unreflektierten Weise die Qualität der Produkte auch schon mal überbewertet und andere als traditionell-klassisch-produktbezogene Küchen für schlechter hält. Und so findet man dann auch immer wieder Küchen, die zwar als Gourmetküchen durchgehen, aber deren Star – um im Bild zu bleiben – eher schlecht beleuchtet ist und keine wirkliche Strahlkraft hat. Da kann man dann auch schon mal auf die Idee kommen, dass das Produkt an dieser Stelle am falschen Platz ist. Wenn es also bei gleich guten Produkten erhebliche Unterschiede in der Qualität der Küchen gibt: Ist dann wirklich das Produkt der Star?
Was wird eine solche „Produktküche“ machen, wenn es an Produkten mangelt oder – was sehr wahrscheinlich ist – wenn es nach Wiedereröffnung zu absurd hohen Preisen wegen enormer Nachfrage bei durch die Krise stark reduziertem Angebot kommt? Wird diese Küche dann so weitermachen können, oder muss sie sich nach anderen, scheinbar nicht ganz so guten Quellen umsehen?
Der Koch ist der Star
Es kann gut sein, dass sich durch die Krise das Bild vom überragenden Koch verschiebt. Der Koch wird mehr zu einem Spezialisten, der aus allen möglichen Produkten hervorragendes Essen zubereiten kann. Und diesem Spezialisten werden die traditionellen Hyperprodukte weniger fehlen, als demjenigen Koch, der voll und ganz auf den 5 kg schweren Bar de Ligne oder 9 kg schweren Steinbutt, auf Bresse-Poularden und Baby-Lämmer (um den Ausdruck „Milchlamm“ zu vermeiden) gesetzt hat.
Es geht nicht darum, jetzt exzessiv darauf hinzuweisen, dass die Nova-Regio-Küche mit ihrer Hinwendung zu einer ausgeweiteten Nutzung aller regionalen Ressourcen da im Prinzip alles richtig macht und durch Versorgungsengpässe vermutlich am wenigsten betroffen sein wird. Auch dort gibt es einen Produktkult, der auf exklusive Raritäten setzt (wie das etwa die uralten Muscheln bei Redzepi oder extrem seltene Kräuter sein können). Es geht darum, in einer Phase, in der die traditionellen Produktlinien vermutlich für unabsehbare Zeit nicht mehr so funktionieren werden, wie das einmal gewesen ist, die Küche anzupassen, ohne an Qualität einzubüßen.
Gefordert sind nun erst einmal die Köche, gefordert ist mehr Einfallsreichtum, gefordert ist einer neuer Fokus auf exzellente Garmethoden, auf exzellente Würzzutaten und überhaupt auf mehr Kochleistung. So lange man nur die richtig guten Sachen gut gegart einfach auf den Teller legen musste, war da nicht ganz so viel gefragt. Wie sagte das Thomas Keller einmal: „Ein gut gegartes Stück Fisch oder Fleisch auf den Teller zu legen, ist für mich noch keine Kochkunst.“ Nun denn, es ist abzusehen, dass Teile der Szene exakt vor diesem Problem stehen werden. Und es ist abzusehen, dass es vermehrt um ein kreatives Profil gehen wird.
Natürlich wird man auch die Restaurantkritik auffordern müssen, ihren Fokus anzupassen und – zumindest teilweise – ein qualitativ offeneres Weltbild zu entwickeln, in dem nicht mehr nur klassische Werte zählen. Glücklicherweise scheinen die wichtigsten Führer schon seit einiger Zeit einen allzu klassischen Wertekanon hinter sich gelassen zu haben. Sie werden jedenfalls für eine längere Zeit nicht mehr in jedem Gourmetrestaurants exklusive Produktqualitäten suchen können.
Zum Schluss ein paar offene Sätze, die hin und wieder nicht ganz ohne Zynismus sein mögen:
– Wenn die Küstenfischerei unter einen wirtschaftlichen Druck gerät und nicht mehr im gleichen Umfang betrieben werden kann, könnten sich die Bestände in den Küstengewässern stabilisieren.
– Wenn die Schwierigkeit, exklusive Produkte zu bekommen, das ein oder andere Luxusrestaurant in Schwierigkeiten geraten lässt, muss das kulinarisch gesehen kein Verlust sein. Ich denke da z.B. an einen bestimmten Typus von luxuriösen Steakhäusern, die solche Produkte auf der Karte haben, damit aber oft nicht besonders gut umgehen können
– Die wirklichen, wenigen Spezialisten für maximale Produktqualitäten werden ihr Publikum behalten, weil es normalerweise auch in der Lage ist, die nötigen Preise zu zahlen.
– Wenn unter dem Druck einer bodenständigeren, kreativeren Küche die in Deutschland nach wie vor sehr stark verbreitete Mainstream-Spitzenküche Einbußen erleidet, ist das ebenfalls nicht unbedingt ein großer Verlust für die kulinarische Landschaft.
– Wenn sich das Bild der Exklusivität von Spitzenrestaurants mehr über die Leistung als über die verwendeten Produkte definiert, ist das ein Gewinn.
Hallo Herr Dollase, hier kann ich Ihren überlegungen nicht ganz folgen-auf der einen seite können produzenten nichts absetzen, auf der andren seite kriegen abnehmer nichts; das geht nicht zusammen. sobald wieder nachfrage da ist, wird es wieder angebote geben, vorallem, weil viele köche ja nicht alles beim direkten produzenten einkaufen ( auch wenn genau das mode ist, dem gast glauben zu machen und es auf manchen karten nur so von “ vorname produzent -produktbezeichnung “ wimmelt), sondern von händlern ( stichwort rungis express) versorgt werden. dazu kommt, dass in der modernen hochküche ein ausuferndes a la carte geschäft zugunsten mehr oder weniger einheitlicher menus gewichen ist , bei denen der chef steuern kann, was wann zum einsatz zum: wenn also aus pauillac kein lamm kommt, der taubenzüchter noch keine ware hat- dann wird der fleischgang eben mit us-beef beschickt usw. ich verstehe natürlich aber auch Ihren ansatz, dass spitzenköche die krise dazu nutzen sollten/müssten, grundsätzlich ihr produktverständnis zu ändern; das wird aber , fürchte ich, nicht stattfinden. es gibt nämlich noch den gast, und der ist zumindest in der brd so gefrustet von der produktqualität üblicher einkaufsquellen, dass der wunsch, ein produkt in bestmöglicher qualität serviert zu bekommen, für viele überhaupt grund ist, sich mit hochküche zu beschäftigen und restaurants aufzusuchen, die nicht mit „normalen „qualitäten arbeiten sondern spitzenqualitäten anbieten. ob nun wirklich spitze auf den tellern landet, ist eine andre frage, aber nachgefragt wird nun mal eher der hummer, steinbutt etc und weniger die forelle. wird der gast nicht entsprechend abgeholt , sehe ich keine chance für notwendige entwicklungen hin zu einem emanzipierten produktverständnis.