Antarktika Part One: Buenos Aires – Falklands

Kulinarischer Spaziergang durch Buenos Aires

Prolog: Holprige Pfade
Die mächtigen knorrigen Wurzeln der kapitalen Platanen wölben und zerreißen den Bürgersteig der pittoresken Allee. Der zerborstene Belag ist hier und da notdürftig geflickschustert. Zwischen diesem steinernen Patchwork klaffen tiefe Schlaglöcher, Narben der wirtschaftlichen Probleme des Landes und dieser seiner Hauptstadt. Nur langsam erholt sich Argentinien von der letzten schweren wirtschaft­lichen Krise, die zwischen 1998 und 2003 zornige Demonstranten durch diese Straßen trieb. Das hier ist wohl kein Pflaster für hochhackige feine Damen, denke ich während ich einige Blätter im frischen Grün des südlichen Frühlings in tiefe Pfützen schubse. Ein schwerer Sturm mit Starkregen hat das Laub herabgerissen und die tiefer liegenden Stadtteile am Rio dela Plata unter Wasser gesetzt. In puncto feine Damen werde ich des Abends eines Besseren belehrt. Im Moment fallen mir jedoch ein paar junge Mädchen in abgewetzten Lumpen auf, die einen riesigen Plastiksack hinter sich her schleifen, in den sie Verwertbares aus Mülleimern stopfen. Sie leben in den Elendssiedlungen Villa Miseria wie man sie hier in Argentinien nennt. In diese Favelas geht man als Fremder tunlichst nicht hinein, Elendssviertel in Lateinamerika sind extrem gefährlich. Außer man ist Fotograf und neugierig.

Soho und Hollywood liegen in Palermo
Auch dieses Viertel hat eine dunkle Vergangenheit. Bis vor etwa 15 Jahren fuhren die Menschen aus den besseren Gegenden allenfalls hier her, um in den zahlreichen Werkstätten ihre Autos reparieren zu lassen. Des Abends mied man die kriminelle Gegend. Um die Jahrtausendwende entdeckten jedoch Designer, Künstler und Ladenbesitzer das Viertel und eroberten die kleinen Häuser im Kolonialstil. Aus dem zwielichtigem Stadtteil Palermo, unterteilt in die Viertel Hollywood und Soho, erwuchs das Quartier der Boheme und ein beliebtes Ausgehviertel für die junge hippe Szene der sympathischen Stadt. Durchwandert man Palermo, das sich wie ganz Buenos Aires schachbrettartig bebaut und umsäumt von begrünten Straßenadern zeigt, stößt man auf Galerien, Boutiquen und jede Menge Restaurants, Bars und Cafes. Für die scheint trotz der angespannten Wirtschaftslage eine gute Luft zu wehen. Buenos Aires – einst glaubte man, dass die Malaria durch die Luft übertragen würde. Mal aire = schlechte Luft. Da die subtropische Stadt knapp jenseits des Verbreitungsgebiets der Fiebermücken liegt, ist hier der Ort der guten Lüfte. Besonders auffällig in diesem Stadtviertel sind die vielen Restaurants italienischer Prägung, nicht verwunderlich, denn die Nachkommen zahlreicher italienischer Einwanderer stellen einen Großteil der Be- völkerung der 13 Millionenstadt. Natürlich bieten die “Italiener” der Stadt die ganze Palette der klassischen italienischen Gerichte. Tagiatelle, Fusilli, Tortellini alles etwas schlabberiger, weicher gekocht als im Mutterland. In einfachen Restaurants mit abgewetzten Holzbistrostühlen, kunstledergepolstert, wird auf karierten Tischdecken die argentinische Variante der Pizza serviert. Sie ist groß, hat einen dicken Boden, nicht ganz so dick wie die der fetten USA-Schwester, und wird mit überreichlich Käse bestreut. Der klammert sich mit langen Fäden an Seinesgleichen, entnimmt man ein Stück des herzhaften Kuchens, der mitten auf den Tisch gestellt wird. Jeder bedient sich nach Herzenslust. Essen zu teilen ist hier üblich. Auch Steaks und andere Gerichte. Verkniffene deutsche Touristen mit ihrer Meins-Deins-Mentalität, die ihr “eigenes” Essen bestellen oder peinlichst darauf achten, dass sie beim Aufteilen nicht zu kurz kommen, wirken in dieser Gesellschaft eher befremdlich. Auch der Mate Tee, das Nationalgetränk in Argentinien, wird traditionell in Gesellschaft gemeinsam aus einer der typischen Kalebassen mit einem Strohhalm getrunken. Mate ist eigentlich das Quechua-Wort für das Trinkgefäß, heute aber auch für den Strauch aus der Familie der Stechpalmen. Schon lange vor der Kolonialisierung tranken die indianischen Kulturen Aufgüsse von Blättern und Ästen dieser stark koffein- und theobrominhaltigen Pflanze.

Helden des Feuers – Der Asador
Das, was man als eigentliche argentinische Küche bezeichnet, ist spanischen somit auch arabischen Ursprungs mit indigenen Einflüssen. Allem voran die legendäre Grillorgie Asado. Gut gegrillt wird in unzähligen Restaurants. Die Fleischqualität ist vielerorts tadellos; besser als das argentinische Rindfleisch bei uns, das durch die Nassreifung im Vakuum seinen typischen joghurtartigen Säureton erhält. Angeblich stehen bis zu 50 Millionen Rinder in der argentinischen Pampa. Dort gehen die Zeiten der großen Freiheit, in denen Gauchos die Tiere über endlose Weiten trieben, vorbei. Der Raum wird den Tieren durch eine Soja Monokultur streitig gemacht. So landet dann das arme Rindvieh heute immer häufiger in Feedlots zur Mast. Anzumerken ist, dass der argentinische Kunde dieses Fleisch mehr und mehr bevorzugt. In Restaurants wie dem Don Julio in der „Guatemala“ legt der Grillmeister exzellentes Bife de Chorizo, Rumpsteak, Lomo und Flache Rippe, Tira de Asado auf das glühende Holz seines eingebauten Zonengrills. Wer was auf sich hält nutzt zum Grillen das extraharte Holz des Quebracho colorado Baumes. Ein stattlicher Hüne aus der Familie der Sumachgewächse mit gefiederten Laubblättern, die stark duften. Auch das Holz spendet beim Brand ein spezielles Aroma. Enthält es doch viel Harz und ein spezielles Alkaloid. Die Rinde des Quebracho hat heilende Wirkung und hilft bei Erkrankungen der Atemwegen. Auf dem Grill leistet das Holz beste Arbeit. Es entfaltet eine große Hitze, die herabtropfendes Fett geschmackspendend verdampft. Im Restaurant Don Julio isst man entspannt, auch wenn schon mal ein Polizist Spalier steht, wenn ein bekannter Gast speist. Brot, Butter, Salsa und zwei Sorten Olivenöl stehen schnell auf dem Tisch. Das Arbequina ist genial. Zum Fleisch passt gut ein frischer Salat mit Äpfeln, Käse, Früchten, Gemüse und Blattsalaten. Und natürlich begleitet von Villa Vincenzio Mineralwasser und einer Flasche Malbec. Die alte französische Rebe ist heute der Signature Wein Argentiniens. 71,5 Prozent der weltweiten Produktion werden in den Bodegas rund um Mendoza gekeltert. Der lila-schwarze Wein wartet mit fruchtiger Würze auf. Dunkle Beeren, bittere Schokolade aber auch Gewürze wie Wacholder und Lorbeer prägen seine Typik. Zu gegrilltem Rindfleisch serviert man Chimichurri, eine pestoähnliche Sauce, über deren Herkunft und Ursprung allerlei Anekdoten erzählt werden. Am häufigsten ist zu hören, dass ein Ire Namens Jimmy Mc Curry sie erfunden haben soll. So sei die Bezeichnung der Tunke dann die Verballhornung seines Namens. Nun gut. Chimichurri schmeckt sehr gut und würzig.
Ein Steak essen zu gehen, ist jedoch noch kein Asado. Hierbei handelt es sich um eine zelebrierte Grillmahlzeit. Der Grillmeister, der Asador, ist der Held des stundenlangen Geschehens. Jeder Meister hat seinen eigenen Stil, seine Tricks, mit denen er Applaus erntet. Wenn es heißt “un aplauso para el asador” klatschen alle. Rindfleisch wird in Argentinien anders zerlegt als in Europa. Der Asador kennt alle Schnitte bestens und weiß genau, was er wozu benutzt und wie lange er es garen muss. Dazu kommen noch Würste, Grillkäse, Schwein und Schaf auf den Grill. Diese Tiere spannt man gerne im Ganzen auf Metallkreuze und lässt sie von der Strahlungshitze eines offenen Feuers garen. Das Mahl beginnt mit dem Käse und Würsten wie Morcilla. Dem folgen B und C cuts bis zuletzt Premiumstücke gereicht werden.

Das ist ja typisch
Ebenso präsent wie Fleischgerichte sind Empanadas. Teigtaschen, die mit Rind oder Huhn gefüllt werden oder in der “Humita”-Version mit Maisbrei. Aber man zeigt sich neuerdings kreativ und experimentiert mit allerlei anderen Füllungen. Kürbis, Käse oder Gottweisswas kommt jetzt in die Teigtüte. Auf indianischen Wurzeln basiert der Locro, eine Art Eintopf, dem mit Chili ordentlich eingeheizt wird. Ansonsten birgt er je nach Region und Jahreszeit Mais, Maniok, Ziegen oder Rindfleisch. Humitas und Tamales gehen ebenfalls auf die indigene Bevölkerung zurück. Beide basieren auf dem Grundnahrungsmittel Mais. Bei den Tamals wickelt man Maisbrei und Fleisch in ein Bananenblatt. Dann dämpft man das Ganze bis der Inhalt eine teigige Konsistenz annimmt. Ähnlich die Humitas; hierbei werden Maiskörner mit Gewürzen in Maisblätter gewickelt, gut verschnürt und gegart.

Wenn es Nacht wird in Palermo – Szene im Dämmerlicht
Wenn die Nacht hereinbricht, verändert Palermo sein Gesicht. Keine gleißenden Lichter locken in die Bars und Res-taurants. Die Argentinier lieben es schummerig. Spärlich beleuchtet sind nicht nur die Fassaden, nein, auch im Inneren muss sich das Auge langsam an das Dämmerlicht gewöhnen. Das geht teilweise so weit, dass in Bars Taschen- lampen gereicht werden, um die Karte überhaupt lesen zu können. Zum Essen geht man gegen 21 Uhr, nicht ganz so spät wie im Mutterland Spanien, wenn man das so bezeichnen darf. Erst gegen 22 Uhr werden die Bars richtig voll. Ist man um 21 Uhr verabredet kann man sich getrost Zeit lassen. Vor 21:30 Uhr sind die anderen sicher nicht da. Verspätungen sind eingeplante Zeitfenster bei Treffen gleich welcher Art. So geht man denn auf einen Aperitivo in eine der Bars, ins coole “Negroni” oder in das “Leitmotiv”, das eine Dachterrasse als Bar erschlossen hat. Hier sitzt man auf Mobiliar, das offensichtlich von hier und da zusammengetragen wurde. Und es sieht so aus als habe man darauf geachtet, dass es ordentlich vergammelt ist. Die Cocktails sind gut und werden an der Holzbretterbar oder auf Palettentischen serviert. Auch hier herrscht das Dämmerlicht mit einer melancholisch schwermütigen Heiterkeit. Zusammen mit den vielen kleinen und großen Unzulänglichkeiten macht das den Charme der Szene aus. Generell ist das Niveau der argentinischen Küche recht gut. Was fehlt ist jedoch eine wirklich innovative Spitze. Mit wenigen Ausnahmen. Viele der gehypten Restaurants, auch einige, die in der Liste der 50 Best Restaurants Latin Americas stehen, müssten bei uns um einen Bib-Gourmand kämpfen. Im Restaurant “TOMO 1” im legendären Hotel Panamericano, No. 23 der besagten Liste, kocht Federico Fialayre eine klassische zugängliche Küche mit internationalen und ein paar heimischen Produkten. Patagonische Prawns, Kaninchenterrine, kalte Maissuppe mit Graved Lachs und Avocado und ein Filet Mignon mit Blumenkohl und Bacon, das zwar sehr old-fashioned, aber reich im Geschmack daherkommt. Auf Platz 48 ebenfalls ein Hotelrestaurant, das “Elena” von Executive Chef Juan Gaffuri im Four Seasons. Seine Küche bezeichnet er als argentinisch mit europäischen Einflüssen. Mitten in Palermo verbirgt sich hinter einer der zahlreichen Graffitifassaden die No. 9 der Liste. Graffiti ist hier eine präsente Straßenkunstform und keine dümmliche Schmiererei. Von vielen Laden- und Hotelbesitzern wird sie zur Fassadengestaltung aufgegriffen. So wurde auch die Wand des “Tegui” von dem international angesehenen Straßenkünstler Nico Monti gestaltet. Gewollt wirkt die Fassade heruntergekommen. Nur ein schlichter Namenszug auf der schwarzen Tür verweist auf das “Wonderland”, das sich dahinter verbirgt, das phantasievolle Reich von Chef Germán Martitegui. Etwa 45 Gäste finden hier Platz. Die Einrichtung ist schlicht und modern gehalten. Im Innenhof, auf den durch eine große Glasscheibe der Blick gegeben wird, reiht sich ein Bananenbaum an den nächsten. Es entsteht der Hauch einer verwunschenen tropischen Atmosphäre, die einen gekonnten Kontrast zu den klaren Linien im Restaurant bietet. Die Küche liegt einsehbar integriert am anderen Ende des Raumes. In dieser ist es Germán, der mit seinem insgesamt sehr jungen Team den Gästen jeden Tag aufs Neue die Möglichkeit bietet, eine kleine Reise in seine Vergangenheit anzutreten. Geboren und aufgewachsen ist Germán in Necochea rund 500 Kilometer südlich von Buenos Aires. Schon mit elf kochte er erste Gerichte am heimischen Herd. Die Mutter dankte es ihm, da sie sein Faible nicht teilte. Als er die Schule erfolgreich abschloss, entschied er sich zunächst für eine akademische Laufbahn. “International Relations” war sein Wunschfach, welches er mit Leidenschaft an der Uni belegte. Das Kochen blieb sein ständiger Begleiter sowie liebstes Hobby. 22 Jahre war er alt als er die Uni abschloss; gearbeitet hat er danach in dieser Branche nie. Sein nächstes Ziel war eine Ausbildung zum Koch, denn das Hobby mutierte zur Leidenschaft. Anfang der 1990er Jahre zog es ihn dafür nach Los Angeles. Dort begann er seine Kochkarriere und sammelte Erfahrungen. Los Angeles ist ein Schmelztiegel der Kulturen und deren Speisekarten, der Geburtsort der Fusion Cuisine. Und diese beeinflusst Germáns Schaffen bis heute. Das große Menu mit zehn Gängen inklusive Wine Pairing – das in Argentinien bleibt und auch mal mit einem ungezuckerten Bio Cider aufwartet – kostet 150 Euro. Das Tegui greift die Geschmacksbilder der internationalen Avantgarde auf. Der Fokus liegt dabei eher auf frischen saisonalen Obst- und Gemüseprodukten als auf dicken, für Argentinien typischen Fleischstücken. Es ist weniger die optische Perfektion, als das Geschmacksbild, das dem Chef wichtig ist. Deutlich wird immer der persönliche emotionale Ursprung. Ein Signature Dishes ist der Black Pudding, ein deutliches Kreuzkümmelaroma rückt ihn in die Nähe der spanischen Morcilla. Ergänzt wird der Gang durch Apfel als begleitendes Leitaroma. Als Eis und als Getränk korrespondiert der schon erwähnte Cider. Auch das Sweetbread (Kalbsbries) ist ein Muss und glänzt mit exzellenter Produktqualität. Originell auch das Mate Brot. Aber selbst in diesem Restaurant darf ein Dessert, das Dulce de Leche beinhaltet, nicht fehlen. Die Argentinier sind verrückt nach dieser einfachen Süßspeise. So wie in kaum einem spanischen Lied das Wort Corazón nicht vorkommt, so rar sind Restaurants, die hier keine Milchkonfitüre anbieten. Zudem versorgt man sich in Supermärkten reichlich damit, um in den eigenen vier Wänden nicht einen Dulche-de-Leche-Entzug zu erleiden. In Kauf nehmen muss man dabei reichlich Konservierungs- und Farbstoffe. Die Herstellung ist einfach aber zeitraubend. Auf etwa einen Liter Milch gibt man gut 250 Gramm Zucker und dickt das Ganze bei sparsamer Hitze und unter ständigem Rühren ein bis die gewünschte Konsistenz erreicht ist. Die Farbe des Breis schlägt dabei langsam in Milchschokolade um. Zur Verfeinerung gibt man Vanille hinzu.

International Contamporary Cuisine
Clubbing DJ Music und Barbie höchstpersönlich empfangen den Gast im Sucre. Der Ort ist trendy, “A place to be” nahe dem Rio de la Plata im Stadtteil Belgrano. Aktuell belegt es Platz 29 der Latin Americas 50 Best. Das steigert im Allgemeinen den Bekanntheitsgrad, obwohl das Sucre schon lange kein Geheimtipp mehr ist. Seitdem es 2002 eröffnet wurde, hat es viel Reden um sich gemacht. Nicht zuletzt liegt das an Fernando Trocca, der hier eine Produkt- küche präsentiert, deren Einflüsse in Italien, Spanien, Japan und in Peru zu finden sind. Bevor er in seine Heimatstadt zurückkehrte, um das Restaurant zu führen, lebte er ein paar Jahre in New York und kochte im Restaurant Vandam. Der Versuch der Millionenmetropole im Stadtteil Soho die lateinamerikanische Kochkunst auf ganz hohem Niveau näher zu bringen, war sehr erfolgreich. Schon damals war offensichtlich, dass ihm nur wenig über das Produkt geht und dass er immer den Versuch unternimmt, für jedes einzelne einen geeigneten Mittelpunkt zu finden. Vielleicht hat er dieses Talent seiner Großmutter zu verdanken, die ihn schon sehr früh prägte und ihm vermutlich etwas von ihrer Leidenschaft als Köchin mit in die Wiege legte. Von wem Fernando Trocca seinen ausgeprägten Geschäftssinn hat, ist weniger offensichtlich, denn das Sucre ist nicht das einzige Projekt, das ihn derzeit beschäftigt. Er betreibt zusätzlich ein Restaurant am Strand von Punta del Este in Urugay, was gegenüber auf der anderen Seite des Rio de la Plata liegt. Viele Argentinier machen hier im Sommer Urlaub. Vor allen Dingen für eine junge und moderne Generation bietet das Mostrador Santa Teresita die Möglichkeit, frisch, gesund und immer öfter auch mal vegetarisch zu essen. Das wird selbst bei den fleischverliebten südamerikanischen Nationen immer salonfähiger. Doch Fernando Trocca kann auch anders, und zwar so wie man es von einem waschechten Argentinier erwartet. In beratender Funktion ist er als Küchendirektor für die Premium-Steakhauskette Gaucho tätig. Die meisten der Filialen befinden sich in England, doch auch in Amsterdam, in Dubai und sogar in Hong Kong werden in diesem Sinne Steaks gebraten. Zwar laufen die beiden Konzepte von grünem Bistro und internationalem Steakhaus in sehr unterschiedliche Richtungen, doch sie haben auch Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen werden nur die besten Zutaten verwendet, dafür verbirgt sich Fernando Trocca aber insbesondere im Sucre. Vor seinem inneren Auge teilt er das Restaurant in drei Bereiche. Da ist zum einen die Bar, an der ein Abend beginnen, enden oder sich auch ausschließlich abspielen kann. Sie lädt zum Aperitif, zum Scheidebecher oder zum Verweilen ein. Gerade in den letzten Jahren ist sie stark frequentiert. Bars erfreuen sich ohnehin steigender Beliebtheit in Argentinien und Fernando Trocca beobachtet sogar eine Veränderung in der argentinischen Gesellschaft. Wo bis vor ein paar Jahren Auswärts fast ausschließlich Wein getrunken wurde, entwickelt sich so wie in anderen Ländern schon vor Jahren eine regelrechte Cocktailkultur. Das ist neu, doch der vorsichtige Umgang mit Alkohol, der die Argentinier im Allgemeinen auszeichnet, ist immer noch vorherrschend. Trotzdem ist dem Wein ein gläserner Kubus mitten im Restaurant gewidmet. Lichtdurchflutet und mit heimischen Gewächsen setzt er ein klares Signal zum Stellenwert dieser “Abteilung” im Restaurant. Trotz der modernen und stilvollen Gestaltung dieser beiden Bereiche, zieht die offene Küche die meiste Aufmerksamkeit auf sich. An der Rückwand köchelt der Rinderfond in riesigen Töpfen vor sich hin, ein Fleischspieß dreht sich über offenem Holzfeuer und immer wieder wird der Grill befeuert. Insgesamt sorgen 15 Mitarbeiter dafür, dass die Abläufe und die Gerichte von Fernando Trocca stimmen.

Heavy-Metal
Das Kommando im laufenden Betrieb übernimmt Küchen-chef Hugo Macchia. Bevor dieser zum Kochen kam war er der Keyboarder der recht erfolgreichen argentinischen Metal-Band Jesus Martyr. Das erscheint beinahe unwirklich, wenn man den Koch konzentriert in der Küche arbeiten sieht. Mit seinem Chef verbindet ihn die Leidenschaft für Produktqualität und das Interesse, die Gastronomie-Szenen anderer Länder zu erkunden. Ein- oder zweimal im Jahr unternehmen sie gemeinsam eine Reise, um ihren Horizont zu erweitern. Zuletzt beeindruckte die Restaurantlandschaft in Kopenhagen. Nicht kopierend aber inspirierend greift man im Sucre Ideen auf und schafft daraus Neues, das nun selbst Denkanstöße liefert. Auf eine zufällige Eingabe am heimischen Herd will man sich nicht verlassen, zu lange auf sie warten kommt nicht in Frage. Die Bereitschaft dazu, offen zu sein und sich überall auf der Welt umzuschauen, ist in ihren Augen viel wichtiger, als immer wieder zu überlegen wie sich dieses oder jenes Gericht umsetzen lässt. Gleichzeitig öffnet sich ein Koch auf Geschäftsreisen auch dem internationalen Publikum, was sich an den Gästen im Sucre widerspiegelt. Die gute Platzierung in der 50 Best Liste zieht zusätzlich Touristen aus Europa an, die ohnehin stark auf Lateinamerika aufmerksam geworden sind und neugierig den gesamten Kontinent bereisen. Eine Versicherung für ausgebuchte Tische sei das aber nicht, gibt der Chef zu bedenken. Besonders nicht in den Zeiten der Rezession. Wirtschaftliche Krisen gehören scheinbar zum Restaurantalltag in Buenos Aires dazu, bisher überlebte das Sucre unbeschadet. Fernando Trocca beschäftigt sich natürlich mit der Problematik in seinem Land, doch oft kommt es ihm so vor, als wären er und seine Mannschaft so dermaßen in die Arbeit vertieft, dass sie immer wieder Raum und Zeit aufheben. Genau das kann eben auch der Schlüssel für innovative Gerichte sein, die Sorgen des Alltags dürfen niemals die Kreativität im Keim ersticken. Und schon gar nicht die unternehmerischen Aktivitäten. Laut denkt Trocca darüber nach, mit dem Sucre Konzept seine Flügel über die Welt zu spannen.

Wo ist denn der Tango?
La Boca und andere vergnügliche Dinge

Freilich ist Palermo nicht der einzige sehenswerte Stadtteil von Buenos Aires. Fährt man entlang des Rio Richtung Süden, fallen die vielen Parks auf, in denen jetzt zu Beginn des südlichen Frühlings Anfang November alles frisch erblüht. Überall zieren die üppigen blauen Blüten des Jacaranda Trompetenbaumes, Grünanlagen und Straßen. Erste fein gefiederte Blätter schlagen dazwischen aus. Der Avenida 9 de Julio, benannt nach dem Unabhängigkeitstag, nimmt das blaue Spalier der Bäume das Monströse. Denn mit bis zu 20 Fahrstreifen und 140 Metern Breite ist sie eine der breitesten Straßen der Welt. Die breiteste behaupten die Argentinier. Das stimmt wohl nicht so ganz. Trotzdem sollte man für die Überquerung etwas Zeit einplanen. An diese Straße gliedern sich einige hübsche Stadtteile an. Recoleta ist das mit feinen Geschäften. Touristen zieht es dort zum legendären Friedhof mit 7.000 imposanten Grabpalästchen. Pilger­stätte für alle: das Grab von Evita – Maria Eva Duarte de Perón, der legendären Gattin des Präsidenten Juan Perón. Auch das Shopping Viertel und der Stadtteil San Telmo gliedern sich an den Mega Boulevard. San Telmo zeigt sich im Gewand hübscher Altbauten aus dem 19. Jahrhundert und ist touristisch geprägt. Hier findet man eine ganze Reihe von Restaurants und Cafés die Kultstatus besitzen. In der Brasserie Petanque in der “Defensa“ isst man gute klassische französische Gerichte und am Plaza Dorego lässt es sich in den einfachen Straßenrestaurants und Bars gut aushalten. Man beobachtet ein paar Indio Späthippies, die vor den Augen der Gäste Schmuck anfertigen und zum Verkauf anbieten oder einen Tangotänzer der sich vor seiner einfachen Musikanlage, die auf einem alten Stuhl steht, in Schale wirft. Ja, der Tango. Der Unkundige meint, man würde ihm überall in Argentinien begegnen, und in jeder Bar fände man süchtige Paare die tagein tagaus übers Parkett schleifen. Nein, so ist das nicht. Den Tango findet man auch hier in San Telmo, einem Geburtsort dieses Tanzes, nur in Touristenshows und für Eingeweihte in einigen wenigen Lokalen. Hingegen stößt der Tourist auf unzählige Geschäfte mit Hundeartikeln und auf Gassiegeher, die Trauben von Hunden ausführen. Bündel von Leinen in der Hand, die sich unentwegt ob der zappelnden Vierbeiner verwirren. Nennenswert wäre noch der Lebensmittel- und Antiquitätenmarkt an der “Defensa“. Hier findet man die einmaligen Pinguinkaraffen oder echte Gaucho Messer. Alles aber nicht ganz preiswert.
Touristisch getoppt wird San Telmo durch den Stadtteil La Boca. Ein Touri-Disneyland, laut mit knallbunten Häusern und gespickt mit Karikaturen von zwei argentinischen Göttern. Dem Papst und Maradona. Letzterer ist hier längst kein Fußballer mehr sondern rangiert auf gleicher Stufe mit der heiligen Dreifaltigkeit. Ja – um den gottgleichen Diego ist eine echte Religion entstanden. Mit Gebeten und Trauungen auf maradonnisch. Iglesia Maradoniana nennt sich diese Spaßreligion mit rund 40.000 Anhängern. Zugute halten kann man auch den Kreateuren der Karikatur, dass sie gleichermaßen respektlos mit Papst und Fußballer umgehen. Hier in La Boca deckt sich der Tourist mit Souvenirs ein. Gaucho-needed Things: Messer, Barbolas oder Lama Plüschtiere. Angeführt wird das Souvenir-Angebot durch Tangotanzfigürchen und Mate Tee Kalebassen. Will man mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, kauft man einen Mate Teebecher mit Tangotänzern drauf und Buenos Aires Schriftzug. Wandert man von diesem Touristen Hot Spot Richtung Hafen, geht das Viertel langsam in eine normale Neighbourhood über, wird erträglich. Man trifft auf schöne Geschäfte und kleine Bars. “Steck die Kamera ein“, mahnt mich eine alte Dame. Sie hat recht, denn auch hier ist die Kriminalitätsrate enorm hoch. Ein Stück weiter gewährt uns die Bebauung einen Blick auf den Hafen. In diesem Moment müsste das Expeditionsschiff MS Hanseatic dort einlaufen. Morgen stechen wir mit ihr in See. Aber das ist schon die nächste Geschichte.

Antarktika
Mit dem Expeditionsschiff MS Hanseatic ins ewige Eis.
Part One: Buenos Aires – Falklands

Prolog: Extrem Cool
Gegen eine Expedition zum Südpol ist eine Reise zum Nordpol ein Mallorcaurlaub. Mit 14,2 Millionen Quadratkilometern ist der Kontinent Antarktika nahezu doppelt so groß wie Australien. Fast vollständig ist er von Eis bedeckt. Ein gewaltiger Panzer, der mit einer durchschnittlichen Mächtigkeit von 2.500 Metern die Landmassen inklusive der über 4.000 Meter hohen subglazialen Gebirge tief nach unten drückt. Würde das Eis schmelzen, stiege der Kontinent um 500 Meter empor. 89 Prozent der gesamten Eismenge der Erde ist hier gebunden. Bei Temperaturen bis zu -89 Grad Celcius wüten Orkane mit Windgeschwindigkeiten von annähernd 320 Kilometern pro Stunde darüber hinweg. Nun, bis in diese lebensfeindlichen Gebilde werden wir nicht vordringen. Aber die antarktische Halbinsel und einige vorgelagerte Inseln werden wir besuchen. Der Weg dorthin führt uns über die Falklandinseln und Süd-Georgien, wo die ersten großen Pinguin- und Robbenkolonien auf uns warten. Das verspricht eine außer-gewöhnlich coole Expedition zu werden.

Donnerstag, 6. November 2014 – Lehmige Fluten
Ein Taxi bringt uns zum Kreuzfahrtterminal von Buenos Aires. Passkontrolle, Gepäckkontrolle – alles ein bisschen so wie am Flughafen. Wir sind die letzten in der Schlange der neuen MS Hanseatic Gäste. Die meisten sind vor wenigen Stunden gelandet und mit dem Bus zur Einschiffung gebracht worden. 14 Stunden Direktflug aus Deutschland, kein Pappenstiel. Nur wenige Maschinen schaffen eine solche Strecke. Das Prodzedere, das nun folgt, ist uns durch unsere vorherigen Reisen mit der Reederei Hapag-Lloyd bestens bekannt. Ein Glas Champagner zur Begrüßung. Man meldet sich an und gibt seinen Reisepass ab. Die Crew wird von nun an alle Ein- und Ausreiseformalitäten erledigen. Man erhält seinen Bordausweis, der mit einem Erkennungsfoto gekoppelt ist. Bei jedem Verlassen und Betreten des Schiffes checkt man damit ein und aus. Damit bloß niemand verloren geht. Wir gehen an Bord, desinfizieren obligatorisch unsere Hände und werden auf unsere Kabine geleitet. Unsere Hausdame Delia erklärt uns sympathisch die Suite. Die Koffer wuchten ihre Philippinischen Landsleute auf unser Deck. Das geht ganz entspannt, zumindest für den Gast. Für die Crew ist ein Gästewechsel Schwerstarbeit. Usus auch die folgende Seenotrettungsübung, Pflicht für alle Gäste.
Um 17 Uhr löst sich die Hanseatic von der Kreuzfahrtpier des Industriehafens und sticht in die sedimenttrüben Fluten des Rio de la Plata. Der “Silberfluss“ ist der rund 290 Kilometer lange und bis zu 220 Kilometer breite Mündungsarm der Ströme Paraná und Uruguay, deren ockerfarbige und rot-braune Wasser sich hier oben am Kopf des Trichters träge vermählen. Sehr gering sind seine Tiefen, vielerorts unter 20 Meter, sodass große Schiffe nur über ausgebaggerte Fahrrinnen den Hafen von Buenos Aires erreichen können. Trotzdem ist dieser Port einer der wichtigsten Umschlagsplätze für Güter in Südamerika. Nicht zuletzt, da auch die Flusssysteme schiffbar sind und die Warenverteilung nach Uruguay und bis nach Brasilien erlauben. Bei der Ausfahrt zeigt sich Buenos Aires in strahlendem Blau, das sich violett in den rot-braunen Wassern spiegelt. Fleischige Schwimmpflanzenteppiche brechen mit sattem Grün das Farbenspiel. Über einer langen Buhne hat man einen Steg, der weit in den Rio ragt, zusammengezimmert. In überdachten Kabinen verbringen dort Petrijünger ihre Freizeit. Sie senken Netze herab, werfen Angeln aus und genehmigen sich dabei ein Bier. Der Abend zieht herein und die Sonne versinkt schnell hinter den stählernen Körpern stattlicher Frachter. Noch bis zum nächsten Morgen werden uns die ruhigen Gewässer des Silberflusses tragen.

7. bis 9. November 2014 – Auf See. Kurs: Falklandinseln.
Es ist warm und diesig. Weich dringt die Morgensonne bis auf das Deck. Noch riechen wir das Brackwasser des Rio de la Plata. Etwa auf Höhe von Montevideo, der Hauptstadt von Uruguay, am anderen Ende des Mündungstrichters, setzen wir unsere Lotsen ab. Mit 15 Knoten gleiten wir 20 Meter über dem Grund dem Meer entgegen zu unserem ersten Etappenziel, den Falklandinseln. Drei entspannte Tage auf See wird die Reise dorthin dauern.
Das Bistro Lemaire bietet morgens ab halb sieben Kaffee und Gebäck für Frühaufsteher, ab acht Uhr dann ein üppiges Frühstücksbuffet. Das Konzept dieses Zweitrestaurants ist uns von den Schiffen Europa, wo es Lido heißt, und dem Jachtclub auf der MS Europa 2 ans Herz gewachsen. Das Bistro mit teils überdachter Außenterrasse und Holzboden vermittelt Yachtgefühl und schafft legere Atmosphäre. Auch im Hauptrestaurant lässt sich entspannt frühstücken. Des Morgens und auch zur Mittagszeit herrscht hier freie Platzwahl. Am Abend sitzt man an zugewiesenen Tischen. Erfahrene Kreuzfahrerpärchen bevorzugen Zweier- oder große Tische. Ein Vierertisch kann zur reiselangen Nerverei werden, wenn denn das Gegenüber so gar nicht passt. Alternativ isst man in der Kabine oder im Lemaire, das allerdings nicht täglich am Abend geöffnet ist. Wenn, dann bietet es ein Ethno Menü, das den Stil einer Länderküche interpretiert.
Nach dem Frühstück begleitet uns Hotelmanager Remo Jahnkow auf einen ersten Rundgang. Geboren in Stralsund lebt Jahnkow nun in Dresden, für ihn die schönste Stadt an der Elbe. Seit 1997 ist er auf Hapag-Lloyd-Kreuzfahrtschiffen unterwegs. Ja, sogar in seiner Freizeit kann er von der Seefahrt nicht lassen. Dann reist er als Gast mit. Als Hoteldirektor unterstehen ihm Küche, Service, Housekeeping, Bar und Rezeption. Wie fing das eigentlich an mit den Expeditionskreuzfahrten, Herr Jahnkow?

Gute Idee, Herr Lindblad!
Mit der Europa und der Europa 2 besetzt die Hapag-Lloyd imposant die Spitze der Luxus Cruise Liner. Mit der Hanseatic, bewertet mit fünf Sternen im renommierten Berlitz Cruise Guide, hält sie ebenfalls die Spitze der Schiffe für Expeditionskreuzfahrten. Doch hier geht es eigentlich nicht um Luxus, um Spa und Entspannung. Hier geht es um Abenteuer. “Wir werden sie nicht schonen“, droht die Kreuzfahrtdirektorin Ulrike Schleifenbaum augenzwinkernd. Und in der Tat sind die kommenden Landausflüge mit dem Zodiac nichts für schlaffe Stubenhocker. Nicht zuletzt muss ein Gast ein Attest vom Hausarzt vorlegen. Wer nicht fit genug ist, darf nicht auf Expeditionskreuzfahrt. Und doch kommt es vor, dass die Crew gebrechliche Mitreisende vor den Ausflügen zurückweist. Da hatte wohl der ein oder andere einen recht nachsichtigen Doktor. Die Idee, Expeditionskreuzfahrten zu organisieren, hatte 1966 der schwedisch-amerikanische Forscher, Unternehmer und Tourismus-Pionier Lars-Eric Lindblad. Er führte die ersten Touristen mit einem gecharterten argentinischen Marineschiff in die Antarktis. Später folgten Reisen mit seinem eigenen Schiff, der Lindblad Explorer. Ein kleines Schiff für 90 Passagiere und rund 60 Besatzungsmitglieder, speziell gebaut für Reisen in arktische Gewässer. Am 23. November 2007 rammte das rot-weiße 73 Meter lange Schiff vor der antarktischen Halbinsel einen Eisberg und sank, alle Insassen konnten gerettet werden. Das Schiff ruht nun in friedlicher Tiefe von 1.130 Metern. Alle heutigen Expeditionsfahrten gehen auf Lindblads Ideen zurück.
“Wir fahren dorthin, woran andere vorbei fahren.“ Um das zu tun, braucht man zunächst ein besonderes Schiff. Es muss klein und wendig sein und einen geringen Tiefgang haben, um nah an die Küsten zu kommen und in Flussläufe einfahren zu können. Es muss stabiler gebaut sein, eine “Eisklasse“ aufweisen, um gefahrenlos in Polargebieten operieren zu können.
Zur Unterhaltung der Gäste fahren Lektoren statt Entertainer mit. Wissen statt Gala-Shows. Es sollte über Zodiacs – Hochleistungsschlauchboote – verfügen, um Landgänge zu ermöglichen. Idealerweise erhält jeder Gast leuchtfarbige Parkas, damit man ihn im Gelände gut sichten kann. Und auch Recaps und Precaps, Vorbereitungen und Nachbereitungen von Ausflügen, erfand Lindblad schon.

Mit dem Luxushabitat ins Südpolarmeer
Auf der Hanseatic begleiten acht Lektoren diese Reise. Ein Informationsblatt stellt sie uns vor:
Dr. Arne Kertelhein, Expeditionsleiter und Experte für Geschichte, studierte in Hamburg Geschichte und Skandinavistik. Seit der Studienzeit interessiert er sich für die Entdeckungsgeschichte der Polarregion und fährt seit vielen Jahren hauptberuflich als Expeditionsleiter und Lektor auf verschiedenen Eisbrechern und Kreuzfahrtschiffen zu See. “Manchmal“ lebt er in der Nähe von Würzburg.
Heike Fries, Expertin für Geologie, interessierte sich bereits als Kind nur für die Vulkanruinen der heimatlichen Eifel. Der interdisziplinäre Aspekt der Geowissenschaften steht bei ihrer Arbeit im Vordergrund: Vergangene Ökosysteme anhand von Steinen und Klimadaten zu rekonstruieren, gehört zu ihren Schwerpunkten.
Thomas Hammerich, Experte für Geologie. Zahlreiche Forschungsprojekte in Vulkanologie und mariner Geologie führten ihn während und nach seinem Studium der Geologie mehrfach an das Alaska Volcano Observatory in Fairbanks in Alaska und an die University of Otago in Dundin, Neuseeland. Er betreut seit 2002 wiederholt Ausstellungen, erklärt geowissenschaftliche Inhalte für interessierte Besucher und führt dieses jetzt mit den Expeditionsreisen weltweit auf der MS Hanseatic und MS Bremen weiter.
Sylvia Stevens, Expertin für Biologie, ist leidenschaftliche Tierfotografin und Naturschützerin. Sie arbeitet seit 1986 für Naturschutzverbände und seit 1994 für Hapag-Lloyd-Kreuzfahrten als Expertin in der Heimat der Pinguine, Eisbären und Wale.
Dr. Christine Reinke-Kunze, Expertin für Landeskunde und Geschichte, ist Journalistin und Buchautorin. Für ihre zahlreichen Rundfunksendungen hat sie alle Kontinente bereist. Dabei stellte sich ihre Vorliebe für die Polarregion heraus. Ihre Erlebnisse hat sie in mehr als 20 Büchern verarbeitet. Sie begleitet die MS Hanseatic und MS Bremen seit deren Indienststellung. Heute gehören regelmäßig auch Expeditionsreisen zum Nordpol zu ihrem Alltag.
Andrea und Wilfried Steffen, Experten für Meeressäuger, leben in Düsseldorf. Beide sind seit vielen Jahren aktive Sporttaucher und begannen vor 25 Jahren, sich dem Studium der Wale und Delfine zu widmen. Ihre zweite Heimat ist die Karibikinsel Dominika, wo sie ihr eigenes Forschungszentrum betreiben.
Dr. Gerit Birnbaum, Expertin für das Klima in Polarregionen. Seit 2004 begleitet die Wissenschaftlerin Expeditionsreisen in die Arktis und Antarktis. Als Mitarbeiterin am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven ist sie spezialisiert auf die Analyse atmosphärischer und glaziologischer Prozesse in den Polarregionen.

Gemessen an der Größe der Antarktis sind es nicht viele Schiffe, die Touristen in die Eiswelt bringen. Wir sind am Anfang der Saison, die früheste Fahrt der Reederei überhaupt in diese Gefilde. Was uns hoffen lässt, mächtig viel Eis zu sehen. Rund 30 Schiffe ziehen nun wie die Zugvögel gen Süden in den arktischen Sommer. Darunter auch das Expeditionsschwesterschiff der MS Hanseatic, die MS Bremen.
Ausgangspunkt für die meisten Reisen ist dann Ushuaia in Feuerland. Rund 200 Abfahrten pro Jahr soll es von hier aus in die Antarktis geben. Recht abenteuerliche Fahrzeuge sind da unterwegs. Fähren der Hurtigruten aus Norwegen, umgebaute Eisbrecher, meist russischer Herkunft, die immer den Bestandteil “Academic“ im Namen tragen und Forschungsschiffe, deutlich in die Jahre gekommen. Auch einige Superjachten und “normale“ Cruise Ships wagen sich vor. “Cruise only” heißt es dort für die Passagiere. Keine Anlandungen und wenn Eis auftaucht, nichts wie weg, zu gefährlich. Große Kreuzfahrtschiffe meiden die Region seit 2012 schon aus Kostengründen. Um die empfindlichen Ökosysteme zu schützen, dürfen Schiffe jetzt dort nicht mehr mit billigem Schweröl fahren, sondern nur mit teurem Marine-Diesel oder Gas.
Wenngleich es bei solchen Reisen wie gesagt nicht um Luxus geht, so zeigt schon die Berlitz Bewertung, dass man auf der Hanseatic nicht darauf verzichtet. Fine Dining und Spa auf dem Amazonas, vor Peru, vor Afrika oder im Packeis des Nordpols. Das 1993 erbaute Schiff bietet Raum für maximal 175 Passagiere auf sechs Decks und 125 Crew Mitglieder. Bei einer Länge von 122,8 Metern und 18 Metern Breite beläuft sich der Tiefgang auf lediglich 4,91 Meter. Für eine ruhige Fahrt sorgen Stabilisatoren – Flügel unter Wasser – und für die Sicherheit die höchste Eisklasse für Passagierschiffe E4.
Selbstverständlich gibt es einen Pool – der Größe des Schiffes angemessen – eine Poolbar, einen Spa, ein Fitnessstudio, einen Friseur, einen Shop, zwei Bars und zwei Restaurants. Eben alles, was man auch von einem Fünf-Sterne-Hotel erwarten würde, vielleicht sogar noch etwas mehr. Eine Frage drängt sich auf. Wie um alles in der Welt versorgt man auf einer 19-tägigen Schiffsreise in die große Wildnis, die Menschen an Bord mit Frischware?

Eine Kiste unreife Tomaten bitte
Michael Kappeler, der Küchenchef, gesellt sich zu uns. Stolz zeigt er uns seine Küche und das Proviantlager, bestens behütet vom Proviantmeister Marc Ellermann.
Kappeler ist gebürtiger Allgäuer und heuerte 2008 zum ersten Mal auf einem Schiff an. Im Wechsel sorgt er für die kulinarischen Genüsse auf der Hanseatic und der Bremen. Eine anspruchsvolle Aufgabe für anspruchsvolle Gäste. Weit entfernt von der Massenabfertigung auf den Mega Cruisern mit mehreren Tausend Passagieren. Auf den kleinen Boutique-Klasse Schiffen herrscht ein geradezu familiäres Klima. Auch unter dem Personal. Und der Chef weiß, dass er sich auf jeden seiner 20-köpfigen Mannschaft verlassen kann. Alle haben begriffen, was die Arbeit auf dem Meer von der an Land unterscheidet. Zum einen hat Frischware einen ganz anderen Stellenwert, weil sie nur begrenzt verfügbar ist, und zum anderen müssen sich Arbeits- und Verhaltensweisen an das geringe Raumaufkommen anpassen. Was die schnellverderblichen Lebensmittel angeht, wird nach einem einfachen und logischen Prinzip verfahren. Sie werden zu Anfang der Reise vor den länger haltbaren Produkten verbraucht. Dabei spielt eine kritische und stetige Qualitätskontrolle eine große Rolle. Nicht nur beim Einkauf, sondern während der gesamten Lagerzeit, wird alles immer wieder nach Schwachstellen überprüft, denn auf dem Weg in die Antarktis ist eigentlich nichts aufzutreiben. Es sei denn, man hat einen Trumpf in der Hinterhand. Diesen werden wir auf den Falklandinseln kennenlernen. Deshalb werden nicht nur rohe Eier wie solche behandelt. Früchte, wie Erdbeeren und Blaubeeren lagern ganz flach. Das vermeidet Druckstellen, und die dadurch hohe Inanspruchnahme an Platz ist ein weiterer Grund, sie schnell aufzubrauchen. Obst, das bei der Lagerung nachreift, wird in reifen und in vorreifen Stadien eingekauft, um möglichst lange darüber verfügen zu können. Frische Kräuter werden beispielhaft gehegt und gepflegt, damit sie bis zum Ende der Reise durchhalten.
2.000 bis 3.000 Rezepte zählen auf den Expeditionsschiffen zu Kappelers Repertoire, inklusive aller Grundrezepte. Ganz bewusst wird auf den Speisekarten auch das Fahrtziel mitbedacht, denn in einem schwülwarmen Amazonasgebiet steht der Sinn wohl eher nach einer Kaltschale als nach einer Cremesuppe. Neue Kreationen, die auf spontanen Eingebungen der Crew basieren, kommen auf jeder Reise hinzu. Manchmal auch, um einen Engpass im Warenbestand zu überbrücken. Dabei werden zwei verschiedene Konzepte verfolgt. Auf dem Bridge Deck im Bistro Lemaire wird eine Ethnoküche angeboten, die das aktuelle Expeditionsgebiet aufgreift. Regionalität muss in einer sich fortbewegenden Gastronomie etwas anders verstanden werden. Im großen Restaurant Marco Polo ist der Tenor europäisch, der gerne die absoluten Luxusprodukte für sich sprechen lässt. Egal für welches Thema sich die Passagiere entscheiden, letztendlich trägt Michael Kappeler für jeden Teller die Verantwortung. Deshalb übernimmt er meistens den Pass, dann hat er alles im Blick. Die einzelnen Komponenten hat er im Vorfeld ohnehin abgesegnet. So erreicht den Gast immer ein Gericht, für das er sich verbürgt. Fehlendes Vertrauen in seine Mannschaft ist ihm allerdings nicht zu unterstellen. Jeder Koch wird nach Talent und Leidenschaft an der passenden Position eingeteilt. Klischees werden dabei nicht bedient und ein philippinischer Koch entwickelte sich jüngst zum Eintopfexperten. Ihm hat es die deutsche Hausmannskost anscheinend besonders angetan. Die Küche, aus der beide Restaurants bekocht werden, liegt direkt neben dem Hauptrestaurant. Das Lemaire bietet ergänzend eine winzige Küche mit Ofen und Salamander, um den letzten Schliff an Speisen vorzunehmen. Etwas eingeschränkt ist der Platz an Bord natürlich überall, doch immer ist der zur Verfügung stehende Raum perfekt ausgenutzt. Im Prinzip sieht die Küche aus wie eine normale Hotelküche. Bei genauerer Betrachtung fällt aber auf, dass Schränke und Fächer schiffstauglich gesichert und die glatten Edelstahloberflächen am Pass mit Frischhaltefolie abgespannt sind, um das Tellerrutschen bei starkem Wellengang zu minimieren. Unnötige Unruhe wird vermieden, indem nur so viele Personen in der Küche anwesend sind, wie unbedingt nötig. Der Bäcker erscheint ohnehin erst gegen 22 Uhr und sorgt für den Brot- und Brötchenbedarf des folgenden Tages. Dabei leistet ihm der Nachtkoch Gesellschaft.
Die Bestellung neuer Waren erfolgt fast wie gewohnt. Nur dass sich der Lieferant in unmittelbarer Nähe befinden. Auf Deck 2, fast am Grund des Schiffes, geht zweimal am Tag eine Wunschliste aus der Küche ein und wird wie von einem gewöhnlichen Lieferanten zusammengestellt. Die riesige Speisekammer, die den Proviant für mehrere Wochen Fahrt fasst, teilt sich verwinkelt in einzelne Kategorien. Bedenkt man die Zahl der Gäste und das diese jeden Tag zum Essen kommen, verwundern die Mengen an verbrauchten Produkten nicht. An einem Tag sind es gut 560 Eier, 38 Kilogramm Mehl, 20 Kilogramm Salat oder 78 Liter Milch. Herr Ellermann verwaltet die gesamte Ladung und behält als Store Manager Soll und Haben von jedem Produkt im Blick. Der “Etat” muss stimmen, damit auch noch am letzten Tag einer Reise alles Nötige vorhanden ist. Das wird ganz genau geplant. Dazu gehört in der Regel der Einkauf und in Ausnahmefällen auch die Improvisation bei unvorhergesehenen Vorkommnissen. Ein Container mit der Getränkelieferung für die nächsten Wochen, der komplett durchgefroren ist, kann da mehr als nur Nerven kosten. Auf der Suche nach Alternativen ist dann Erfindungsreichtum gefragt. Um gleichbleibend gute Qualität zu gewährleisten, stammen die meisten Waren – von Obst und Gemüse einmal abgesehen – aus Deutschland. Die Anforderungen an die Lageristen beinhalten auch, dass sie keinen Zentimeter des beschränkten Platzangebots verschenken. Kein Wunsch soll dem Gast verwehrt bleiben, weshalb mit viel Mühe und Geschick immerhin 150 Positionen erlesener Weine und sechs verschiedene Schaumweine verstaut werden und mit auf jede Expedition gehen. Bei all der guten Organisation kann dennoch mal etwas ausgehen. Selten – aber es passiert. Dann können sich sehr ungewöhnliche Szenen abspielen, wenn zum Beispiel mitten im ewigen Eis zwei Schiffe Bierfässer gegen Mehlsäcke tauschen. So ein Manöver bleibt dann auch dem Passagier nicht verborgen, doch für gewöhnlich bemerkt dieser nichts von den schwierigen Anforderungen an die Mannschaft rund um das kulinarische Vergnügen und so soll es doch auch sein.

Der Süden ist der Norden der Südhalbkugel – oder das Welcome Dinner
Am Abend bittet Kapitän Thilo Natke die Gäste zum Willkommenscocktail in die Explorer Lounge. Eine Bar mit Bühne und Tanzfläche am Heck des Schiffes. Die Festival Band, eine russische Herrencombo, spielt auf. Neben dem Pianisten Uwe Künstler die einzigen Entertainer an Bord, wenn man denn die teils sehr amüsanten Vorträge der Lektoren in eine andere Schublade steckt. Danach geht es zum Welcome Dinner im luxuriösen Hauptrestaurant Marco Polo. Wir sind Steuerbord einem Sechsertisch zugeteilt. Schön, dass es die Fensterplätze sind. So können wir die bezaubernden Sonnenuntergänge während des Essens genießen. Da es Richtung Antarktis geht, kommen diese von Tag zu Tag später. Bis die Nächte im tiefen Süden ganz kurz werden. Einhergehend sinken die Temperaturen. Es ist halt so, als wenn man bei uns in den Norden fährt, nur andersherum. Mit diesem Spruch bringe ich Stephanie, in unserem Restaurantrevier zuständig für Wein, zum Stutzen. Ihr geht es sichtlich nicht gut – wie vielen Gästen auch. Windstärke sechs peitscht den Südatlantik und vor dem Fenster kann man nicht nur den Sonnenuntergang bewundern, sondern auch gewaltige Wellen, deren salzige Gischt weiß an die Fenster spritzt. Wassermassen auf Augenhöhe. Besonders gemein ist, dass die Wellen von vorne kommen, sodass die Stabilisatoren wenig ausrichten können, und das Schiff durch die Dünung stampft. Im weiteren Verlauf der Reise werden wir Seegang erleben, der das hier und heute weit in den Schatten stellt. Die meisten Passagiere tragen ein verräterisches Pflästerchen gegen Seekrankheit hinter dem Ohr und viele verlassen den Speisesaal vorzeitig. Draußen auf den Gängen klemmen “Spuckbeutel“ hinter den Handläufen im Spalier. Der Service muss durchhalten und hübsch angerichtete Teller durch die Reihen jonglieren. Eine akrobatische Leistung bei dem rollenden Schiff.
Stephanie steht mit einer Karaffe an unserem Tisch und fragt ob wir Wasser trinken möchten. Ja, lautet die Antwort. Dann gießt sie Wasser auf die Tischdecke. Offensichtlich ist mir die Kinnlade vor Erstaunen etwas nach unten gesunken. “Damit die Gläser nicht verrutschen“, erklärt sie daher. Philipp ist der Chef unseres “Viertels“, immer lächelnd und sehr aufmerksam. Unterstützt wird er von der rheinischen Frohnatur Christian, der es versteht die Gesellschaft mit amüsanten Sprüchen zu belustigen. Die Karte wartet jeden Tag mit einem großen klassischen Menü auf. Passend dazu das typische Geschmacksbild französischer Prägung. Alles handwerklich perfekt gemacht. Wer es einfacher möchte, bestellt von der “Roten Karte“. Da gibt es internationale Klassiker wie das Wiener Schnitzel oder das Club Sandwich. Werfen wir einen Blick in die heutige Speisekarte:

Hanseatic Willkommens-Abendessen, 7. November 2014 – Auf See
Amuse-bouche: Steinpilzcappuccino • Crèperoulade vom Havel Aal, Senfgurkensalat • Gebackenes argentinisches Lamm, fruchtiges Tomatenragout
Vorspeise: Variation vom Balik-Lachs, schwarzer “Siberia“ Störkaviar, roter Lachskaviar, grüner Wasabikaviar und Sauerrahm • Carpaccio von der marinierten Entenbrust, zweierlei Spargelmousse und Cassis Ragout • Cocktail von der Grapefruit, auf Wunsch mit Singapur Sling
Suppe: Consomme vom Damwild, Wacholdergebäck
Zwischengericht: Kleines Thunfischsteak vom Grill, fruchtige Currysauce, leichtes Ingwer-Chili-Risotto
Sorbet: Zitrone mit Wodka
Hauptgericht: Kanadischer Hummerschwanz, Limetten-Buttersauce, Bratgemüse, Speck-Couscous • Filet “Rossini“ Tranche vom Rinderfilet, gebratene Gänseleberscheibe, feines Gemüsebouquet, Selleriemousseline • Vegetarische Empfehlung: Gebackene Reis-Käse-Bällchen, cremiger Ziegenkäse-Blattspinat
Käse: Mignon Maroilles, Pflaumenchutney • Internationale Käseauswahl vom Wagen oder gratinierter Käse
Dessert: Frisch im Restaurant zubereitet. Argentinische Erdbeeren parfümiert mit Grand Marnier und Balsamicohonig • Bourbon-Vanilleeiscreme • Luftige Drambuiecreme im Knusperkörbchen Weinberg-Pfirsich
Weinempfehlung:
Weiß: Deutschland Mosel / Saar / Ruwer 2009 Bernkasteler alte Badstube am Doctorberg, Riesling Spätlese, trocken, Dr. Pauly-Bergweiler, 0,75 l, 30.00 €
Rot: Deutschland Pflaz 2011 Merdinger Bühl, Spätburgunder, trocken, Joachim Heger, 0,75 l, 28.00 €

Jeder soll alles wissen
Nancy Jakob ist Maître d’hôtel und somit verantwortlich für den gesamten Service an Bord. Sozusagen das Pendant zu Küchenchef Michael Kappeler. Nancy Jakob ist hier, weil sie immer schon so einen Job auf See machen wollte. Raus aus Bayern hinaus in die große Welt. Sie fuhr auf der MS Deutschland, der Sea Cloud, der Columbus, der Europa und nun ist sie auf ihrem Traumschiff, der Hanseatic. Pragmatische Aufgabenfelder, wie die Dienstplanerstellung oder die Überprüfung der Bestände im Restaurantbereich gehören ebenso zu ihrer Disziplin, wie der emotionale Weitblick zu erkennen, welche Persönlichkeiten ihre Mitarbeiter sind und wie diese beruflich am optimalsten miteinander harmonieren. Wichtig für sie sei es, Menschen an ihrer Seite zu haben, auf die sie sich verlassen kann und die ebenso erfahren wie ehrgeizig ihre Aufgaben bewerkstelligen. “Mein Assistant Maître kümmert sich überwiegend um den Ablauf im Bistro, so kann ich mein Hauptaugenmerk auf das Restaurant legen. Natürlich habe ich aber den Überblick über beide Lokale.“ Auch der Schulterschluss zur Küche sei wichtig. “Wir alle müssen an einem Strang ziehen, das ist sehr wichtig.“ Jeden Morgen gibt es daher ein Teammeeting, in dem für den kommenden und den gleichen Tag alles Wichtige besprochen wird, wo was organisiert werden muss und wie die Öffnungszeiten des Restaurants, der Bar, des Bistros und der Küche sind. Denn je nach Wetterlage kann sich der Ursprungsplan ändern “und dann muss alles reibungslos klappen.“ … “Generell gibt es einen Dienstplan für die komplette Reise, den wir immer einmal durchrotieren lassen.“ Allen Mitarbeitern – das Restaurant und Bistro beschäftigt zusammen 18 Personen, sechs weitere arbeiten an der Bar – ist es daher möglich, abwechselnd im Marco Polo und im Bistro zu arbeiten. “ Die komplette Reise über dasselbe Team im Restaurant und im Bistro zu haben funktioniert nicht, damit fährt man gegen die Wand.“ Durch den permanenten Wechsel mischen sich die Teams stets neu, Grüppchenbildung wird überwiegend vermieden, “jeder kennt sich mit allem aus und weiß über alles Bescheid.“ Ein großer Vorteil, auch für die Einarbeitung neuer Mitarbeiter. “So können die Neuen von jedem etwas mitbekommen und richten sich nicht nur nach dem Arbeitsstil einer einzigen Person.“
Jeden Abend vor dem Dinner Service findet ein allgemeines Menü-Briefing statt. Die Aufgabe eines der Mitarbeiter ist es dann, sich in der Küche über die Besonderheiten der einzelnen Speisen zu informieren und den Rest des Teams darüber aufzuklären. Einer der Getränkestewardessen obliegt es sich beim Bar-Chef über die jeweilige Getränkeexpertise zu informieren. Sie gibt ebenfalls die Informationen an das restliche Team weiter. Auch in diesem Punkt legt Nancy viel Wert auf den Informationsaustausch unter den Mitarbeitern. “Jeder soll über alles Bescheid wissen.“
Bevor das Marco Polo dann seine Türen für die Gäste öffnet, wird die Restaurantcrew in Dreierteams eingeteilt, bestehend aus einer Person die ausschließlich für die Getränkeberatung und -versorgung zuständig ist und zwei weiteren Personen, die sich um die Speisebewirtung kümmern. Einen klassischen Sommelier gibt es im Restaurant nicht. Zusammen mit dem Provision Master kontrolliert Nancy Jakob daher täglich die Weinbestände, bespricht wie viele Flaschen von welcher Sorte bestellt werden müssen und bezieht zusätzlich zu den Sorten der regulären Standardweinkarte und abhängig von der Gegend, die das Schiff gerade durchfährt, aus einem separaten Etat einen gewissen regionalen Stock. “Und das wird auch sehr gut angenommen.“ Auf unserer Reise sind gute “Chilenen” und “Argentinier” extra gebunkert.
Ein weiteres Interna, dass uns interessiert, ist die Handhabe mit dem Trinkgeld. Nicht nur wir, sondern auch viele andere Gäste wissen nicht genau, wie sie damit umzugehen haben. “Die Servicemitarbeiter haben sich darauf geeinigt, alles in einen Topf zu werfen und am Ende der Reise in gleichen Teilen an jeden zu verteilen. Ob die Küche davon was abbekommt, liegt dann im Ermessen der Mitarbeiter selber. Bisher gab es dabei noch keine Probleme.“

Das Kreuz des Südens
Wilfried Steffen ist eigentlich Walforscher aber auch Experte für Sternbilder. In einem Vortrag bringt er uns den südlichen Sternenhimmel näher. Zudem bittet er die Gäste zu nächtlichen Sternenguckereien auf das Observation Deck. Kein leichtes Unterfangen, denn zum einen wird der Abendhimmel wie schon erwähnt von Tag zu Tag heller. Zum anderen verhüllen oft dunkle Wolken das Firmament. Wir folgen wie die alten Seefahrer dem Kreuz des Südens. Ein kleines aber markantes Sternbild im Nebel der Milchstraße, das – verlängert man die lange Achse um 4,5 und lotet dann hinab – recht genau den geografischen Südpol anzeigt. Längst haben sich Sturmvögel zu uns gesellt, die günstige Strömungen hinter dem Schiff für ihren Segelflug nutzen. Zudem wirbeln die Schrauben Nahrung auf. Leckere Kalmare und kleine Schwarmfische. Stundenlang kann man am Heck des Schiffes stehen und den Segelkunstflug beobachten. Die drahtige Lektorin Sylvia Stevens ist fast immer dort anzutreffen und erklärt dem Gast selbst hochfasziniert die Vogelwelt mit britischem Akzent. Wir sehen die Küstenseeschwalben, die an einem Tag 670 Kilometer zurücklegen. Der Vogel wird 30 Jahre alt und ist dann insgesamt 2,4 Millionen Kilometer geflogen. Auch die Dunkelsturmtaucher sind extreme Langstreckenflieger. Sie segeln rund um die Welt und von Nord nach Süd. Die Könige der Lüfte sind die Riesensturmvögel und die mächtigen Albatrosse. Sie reisen tausende von Kilometern übers Meer. Immer in der Luft, den Wind nutzend. Energiefressende Flügelschläge mögen sie nicht. So dümpeln sie bei Windstille auf den Ozeanen und warten auf eine frische Brise. Der große Wanderalbatros fliegt zur Versorgung seiner Küken mal eben von der Antarktis bis vor die brasilianische Küste zum Fischen. Das sind insgesamt 24.000 Kilometer Flugstrecke und fünf Wochen Flugzeit für einmal Baby füttern. Meine Güte.

Montag, 10. November 2014 – Very British, oder die Anlandung auf den Falklandinseln
Wir befinden uns 390 Kilometer östlich der Spitze Südamerikas. Der Südatlantik zeigt sich heute etwas sanfter unter strahlend blauem Himmel. Die Lufttemperatur ist auf sieben Grad Celsius gesunken. Seltene Jacobita Delfine begleiten das Schiff. Die Falklandinseln kommen in Sicht. Unsere letzte Station, auf der dauerhaft Menschen leben. Danach werden wir wochenlang in unbewohnten Regionen cruisen. Sieht man von ein paar Wissenschaftlern auf Forschungsstationen ab. Das Archipel besteht aus zwei Hauptinseln, durch den schmalen Falklandsund getrennt. Etwa 200 kleine Inselchen ragen ringsherum aus dem Meer. Die Landschaft ist durch wiederholte Vergletscherung während der Eiszeit geprägt. Was ganz deutlich wird, wenn man in die Narrows, die äußere Bucht vor unserem Ziel Stanley einfährt. Der Strand zeigt seine sanfte Sanddünenlandschaft auf der Magellan Pinguine – unsere erste Sichtung dieser komischen Vögel! – umherstolzieren. Dahinter wuchern auf der glazialen Abtragungslandschaft Zwergstrauchheiden und wetterharte Seggen- und Rispengräser. Biegt man in die enge Einfahrt in den Inner Harbour des Städtchens Stanley, kommen auch einige Bäume in Sicht, durch das harte Klima und die strengen Winde stark gezeichnet in Wuchs und Größe. Sie kommen ursprünglich auf diesen Inseln nicht vor und fühlen sich auch hier sichtlich nicht wohl. Auf den Falklandinseln lebte keine indigene Bevölkerung. Erst lange nach der Entdeckung um 1592 durch den englischen Seefahrer John Davis wurden sie nach und nach von Europäern besiedelt. Wie überall auf der Welt entstanden auch hier Streitigkeiten unter den wechselnden Kolonialherren. Bis heute halten diese Konflikte an. Noch immer erhebt Argentinien Besitzansprüche. 1982 besetzte das Land militärisch die von Großbritannien beherrschte Inselgruppe. Nach blutigen aber kurzen Kämpfen konnten die britischen Truppen nach nur zweieinhalb Monaten die Argentinier zur Kapitulation zwingen. Stetig erinnert uns das Lied “Brothers in Arms”, 1985 geschrieben von Mark Knopfler, im Radio an diesen Konflikt. So ganz aufgegeben hat Argentinien aber nicht. Noch im Jahr 2013 forderte die argentinische Präsidentin Christina F. de Kirchner die Übergabe beim britischen Premierminister ein. Was vor dem Hintergrund eines vermuteten großen Ölvorkommens bei den Inseln Brisanz erhält. Der Premierminister ließ daraufhin siegessicher die Bewohner der Falklandinseln abstimmen. 99,8 Prozent der Kelpers, von der Alge Kelp abgeleitet, so nennen sich die Falkländer selbst, stimmten für den Verbleib in den fördernden Armen Großbritanniens. Nun klar, die Falkland sind britisch. Auch der Humor, so ist denn hinter einer Toilettenbrille auf dem WC im Pub Victory ein Bild des früheren argentinischen Präsidenten zu bewundern. Nicht zuletzt wanderte der Größte Teil der Bevölkerung um 1830 aus Schottland und Nordengland hier ein.

Fish ‘n’ Ships
Langsam zieht die MS Hanseatic an der Ortelius vorbei. Ein ehemaliges Forschungsschiff, das wie wir auch mit Touristen in die Antarktis unterwegs ist. Etwas kleiner, etwas älter, nicht ganz so komfortabel und nicht so schnell. Wir gehen vor Anker. Klar und deutlich liegt die Hauptstadt der Insel vor uns. Mit ihren bunten Häuschen erinnert sie an Städtchen der britischen Atlantikküste. Etwa 2.000 Einwohner, das sind etwa zwei Drittel der Gesamtbevölkerung, leben hier. Trawler und Langleinenboote verweisen auf einen der wichtigsten Erwerbszweige. Die Fischerei und die Vergabe von Fischereilizenzen. Daneben wird im großen Stil Schafzucht betrieben, und der Tourismus spült immer mehr Geld auf die Inseln. Wir gelangen diesmal noch bequem an Land. Die geräumigen Rettungsboote werden als Tender zum Hafen eingesetzt. Dort empfängt uns eine gepflegte Kleinstadt, die touristisch gut erschlossen ist. Einige Passagiere fahnden nach Taxis, um zum Gipsy Point zu fahren. Dort hofft man, auf Pinguine zu treffen. So ganz alleine und ohne Führung ist eine Strandexpedition nicht zu empfehlen. Es soll noch Minenfelder aus dem Falklandkrieg geben. Taxen sind natürlich bei der Zahl der Passagiere nicht in ausreichender Masse vorhanden. So schauen wir uns zunächst die Stadt an. Der Harbour View Giftshop ist einer von vielen Souveniershops. Er quillt über von Pinguingifts in allen Versionen und alle “Made in China”. Flauschige Pinguinpüppchen, Tassen, Pinguin Notizblöcke und Radiergummis. Vor der Kirche hat man Blauwalunterkiefer zu einem Laubenbogen zusammengestellt, der ganze fünf Meter in den Himmel ragt. Sie erinnern an die Vergangenheit der Stadt als Versorgungsstation der britischen Marine und als Basis für Robbenschlächter und Waljäger. So auch das liebevoll eingerichtete Museum, dessen Eintritt für uns Hapag-Lloyd-Passagiere kostenlos ist. Wandert man auf den Hügel, dort wo das Städtchen endet und die Nacheiszeitlichen Torfwiesen beginnen, stößt man auf ein Privathaus, dessen Besitzer Walskelette und Schädel als Mahnmal gegen den Walfang gesammelt und aufgestellt hat. Zähnefletschend zeigt sich ein T-Rex Skull? Nein, es ist ein Orca-Schädel. Zurück am Hafen besichtigen wir ein paar Pubs – die kommen alle daher wie in Good Old Britain. Wir nehmen ein paar Drinks und beschließen dann im letzten Pub vor dem Südpol ein paar Fisch ‘n’ Chips zu essen. Auch das einzig Essbare, was die Globe Tavern anbietet. Selbstlos weist uns der Wirt darauf hin, wo man woanders aber auch andere Dinge wie Burger oder Sandwiches bekäme. Wir entscheiden uns für seine Fish ‘n’ Chips. Bezahlt wird mit Britischen Pfund. Wir kratzen alles zusammen und ergänzen diese Barschaft durch ein paar Euro. Trotzdem, es reicht nicht für zwei Portionen und zwei Pints. So bestellen wir nur einmal den Pub-Klassiker und setzen uns draußen auf die Bank mit Blick auf den Hafen und “unsere” MS Hanseatic. Der Wirt bringt uns unser Essen. “Bitte sehr,” sagt er “zweimal Fish ‘n’ Chips.” Danke!

Frische tanken oder The Last Market Garden before South Pole
Küchenchef Michael Kappeler und Proviantmeister Marc Ellermann stoßen zu uns. Wir gehen runter zum Hafen. Ein drahtiger, grinsender Mann hebt Salatkisten aus seinem Geländewagen. “Hey Tim, Hallo Marc, hallo Michael.” Man kennt sich. Tim ist der Proviantjoker hier vor dem Südpolarmeer. Er betreibt den einzigen und letzten Gartenbaubetrieb vor der Antarktis. Sein Stanley Garden Center liegt nah bei der Stadt, und verfügt über einen eigenen kleinen Shop. Wer nun glaubt, dass dort nur Gemüse und Obst angeboten wird, hat weit gefehlt. Der Laden quillt über mit allem erdenklichen Schnickschnack und auch Nützliches ist dort zu finden. Tierfutter, Murmeln, Sämereien, Fähnchen, Werkzeug… eine gewisse Struktur im Angebot ist erst nach längerer Gewöhnungszeit ersichtlich.
In diesem Klima Gemüse anzubauen ist eine ganz besondere Herausforderung, zudem ist der Boden moorig-feucht. Es fordert einiges an Wissen und an technischem Aufwand, um Erfolge zu verbuchen, geschweige denn wie Tim Miller davon leben zu können. Die Gemüseproduktion war 1987 unter dem Namen Stanley Growers von der Falkland Island Development Corporation ins Leben gerufen worden. Tim Miller, der in fünfter Generation auf den Falklandinseln lebt und bis dato zu den zahlreichen Schafzüchtern der Inselgruppe zählte, fand das Projekt von Anfang an sehr interessant. Ein Jahr später trat er ihm bei und begann unter Anleitung die ersten Pflanzversuche. Das klappte recht gut und 1996 erstanden er und seine Frau die kleine Gärtnerei. Überproduktionen gibt es eher selten, denn neben dem lokalen hat sich seit einigen Jahren ein Markt aufgetan, der nicht zu unterschätzen ist. Zum einen versorgt Miller die einheimische Bevölkerung, zum anderen hat sich mit der Belieferung der Kreuzfahrtschiffe ein großer und lukrativer Markt erschlossen. Um das Angebot zu komplementieren, importiert Tim Miller Gemüse und Obst aus Chile, Uruguay und aus Europa. Äpfel, die sich generell gut lagern lassen, kommen zum Beispiel auf dem Seeweg aus Deutschland. Etwa drei Tonnen zugekaufte Ware bedeuten aber lediglich eine Ergänzung. Das Hauptgeschäft von etwa zehn Tonnen bestimmt das Gemüse, das Tim Miller in seinen Gewächshäusern anbaut. Der Sommer lässt gar den Feldbau von widerstandsfähigen Arten in einem kleinen Zeitfenster zu. Im arktischen Sommer, von Dezember bis Februar, wenn es in Stanley nicht besonders kalt ist, passieren immer mehr Kreuzfahrtschiffe die Inselgruppe und das Gemüsegeschäft floriert. Die Küchenchefs und Einkäufer der schwimmenden Hotels nutzen dann die letzte Gelegenheit, Frischware einzukaufen, bevor die Expedition an den antarktischen Kontinent fortgesetzt wird. Sie ordern und die Millers liefern bis vor den Bug. Einfacher könnte es nicht sein. Die Qualität der Ware ist gut und auf den Bedarf der Schiffsküchen abgestimmt. So ordern auch wir Gemüse und Obst in verschiedenen Reifestadien. Salate und andere empfindliche Sorten sind in robusten, auf Haltbarkeit gezüchteten Varietäten angebaut. Immer wieder testet das Team neue Sorten. Es ist erstaunlich, welche Vielfalt die Gärtnerei anbieten kann. Da hält mancher Gemüsebauer in geeigneterer Gemüselage nicht mit. Neben Blumenkohl, Weißkohl, Rettich, Ackerbohnen, Paprika, Chilischoten, allen gängigen Salatköpfen oder Salatgurken produziert er auch einige Besonderheiten. Das macht ihn vor allen Dingen für die anspruchsvollen Küchenchefs interessant, die immer auf der Suche nach Abwechslung für ihre ebenso anspruchsvollen Gäste sind. Weiße Auberginen kommen da wie gerufen. Auch die Tomatenauswahl aus Stanley kann sich sehen lassen. Zwischen Gelben-, Pflaumen- oder Kirschtomaten finden sich sogar kleine Teardrop-Tomaten. Viele Sorten werden in Hydrokulturen angebaut, um von den schwierigen moorig-sauren Böden der Insel unabhängig zu sein. Die Pflanzen stehen dabei in einem anorganischen Substrat und werden über wässerige Nährstofflösungen versorgt. In solchen Systemen lässt sich die Dünung exakt auf den Bedarf der Pflanzen abstimmen, was zu optimalen Erträgen führt. Die Salate werden in einer Nahrstoff-Filmtechnik angebaut. Sie stehen über Kanälen mit leichtem Gefälle. Darin fließt sanft in dünnem Film eine endlos umlaufende Nährlösung. Lang und fein wurzeln die Pflanzen dort hinein und versorgen sich mit Wasser und Nahrung. Hightech Gewächshäuser, alles Know-how und Import aus dem Mutterland des modernen Gartenbaus, den Niederlanden.
In Tims Gewächshäusern ist es warm, sehr warm und feucht. Das durchgekühlte Kameraobjektiv braucht ganze 45 Minuten bevor das ständige Beschlagen der Linse besiegt ist. Das Klima auf den Falklandinseln ist kalt, windig und regnerisch. Zwar wird es hier nicht so wirklich eisig, dafür aber im Sommer, rund um den Februar, selten über neun Grad Celsius. Die Inseln liegen etwa auf dem gleichen Breitengrad südlich wie Köln nördlich. Trotzdem liegt hier die Durchschnittstemperatur bei nur fünf Grad. Die Südhalbkugel ist generell viel kälter. Die Beheizung der Gewächshäuser ist notwendig, um eine sichere und von den Jahreszeiten unabhängige und stetige Ernte zu gewährleisten. Tim Miller setzt dazu Altöl von Schiffen ein.
Auch Schädlinge haben es in diesem Klima schwer. Dringen welche in die Gewächshäuser bekämpft der Betrieb sie durch das Aussetzen natürlicher Feinde. Das funktioniert gut. Nur dem eingeschleppten europäischen Ohrwurm ist kein Einhalt zu gebieten. Die Plage macht sich als Allesfresser mangels Läusen und Raupen über alle möglichen Pflanzen her. Also besser nichts direkt in den Boden setzen.
In einem Gewächshaus entdecken wir erste reifende Erdbeeren, die will unser Küchenchef natürlich direkt kaufen. No – lautet die Antwort. Ich habe bald Geburtstag, und die sind für meinen Kuchen.
Kappeler und Ellermann bestellen reichlich Frischware, die später zum Schiff geliefert wird. Miller hat auch eine Weihnachtsbaumplantage angelegt – lässt sich hier ein Christbaum für das Schiff finden? Doch die klimagestressten Kreaturen machen einen so bedauernswerten Eindruck, dass man sie höchstens aus Mitleid kaufen könnte.
Zurück zum Hafen bitten wir einen Taxifahrer uns noch zu den Pinguinkolonien zu fahren. “Euer Geld würde ich gerne nehmen“, sagt er, “aber ich bin ehrlich, Pinguine sind jetzt nicht da.“ Die sind jetzt alle im Wasser. Nun gut. Um 18 Uhr liftet die Hanseatic die Anker und gleitet gemächlich aus dem Hafen. Unser nächstes Ziel ist Süd-Georgien, zwei Tagesreisen entfernt. Aber das ist wiederum eine neue Geschichte.

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