Andreas Döllerer: Short Rib vom Holzkohlegrill, Salat, Schnittlauchsauce und Kren

Andreas Döllerer arbeitet in seinem „Genießerrestaurant“ seit Jahren an einer ganz spezifischen Interpretation regionaler und traditioneller Ressourcen. Seine Entwicklung ist dabei zunehmend selbstbewusst und zeigt ein hoch entwickeltes Verständnis von traditionellen wie zeitgenössische Kochtechniken, die für ein Geschmackbild eingesetzt werden, von dem man dann sagen kann, dass es in dieser Qualität und Ausrichtung nur bei ihm zu finden ist. Gleichzeitig hat er sich ein Stück weit von der Nähe zur internationalen Avantgarde entfernt – besser gesagt: er hat diese Nähe nicht mehr nötig, weil ihm bestechend individuelle Lösungen gelingen, die gleichzeitig die Vorstellung von großer Spitzenküchen-Finesse erfüllen. Etwas salopp formuliert könnte man sagen, dass ein Koch auf diesem Niveau keine Zuordnung zu aktuellen Stilen mehr braucht, weil er selber stilprägend geworden ist.

Ich möchte hier einen vertiefenden Blick auf ein Gericht richten, dass in seiner ganzen Klarheit, Finesse und Orientierung herausragend gelungen ist.

„Short Rib vom Holkohlegrill, Salat, Schnittlauchsauce und Kren“. (Andreas Döllerer, Golling/Österreich, aus dem Menü „Göllüberquerung“, Oktober 2020)
Diese Kreation fällt durch verschiedene Dinge auf. Eines ist erst einmal die Tatsache, dass Döllerer hier ohne kulinarische Zirzensik zu einem exzellenten Geschmack kommt, der gleichzeitig klassische Wurzeln, klassische Qualitätsmerkmale, moderne Interpretation und eine enge Verbindung zur Tradition hat. Und weil er dies ohne „importierte“ Produkte realisiert, halte ich einen ausführlichen Blick auf die Details für wesentlich.

Basis ist eine Short Rib vom Tuxer Rind aus der Produktion von Michael Wilhelm in Sölden. Das Fleisch wird ausgelöst und am Holzkohlegrill von allen Seiten kurz und kräftig angegrillt. Nach dem Erkalten wird es vakuumiert und 12 Stunden bei 75 °C im Wasserbad gegart. Vor dem Servieren wird es kurz nachgebraten und mit grobem Salz gewürzt.
Das Selleriepüree hat zwar mit Salz, Muskat und etwas Sahne typisch klassische Bestandteile, wird aber ebenfalls erst einmal im Vakuum angelegt (45 Minuten, 90 °C). Die Schnittlauchsauce wird klassisch hergestellt, hat als Zutaten aber auch noch Madeira, Meerrettichsahne, Meerrettich und Wasabipaste. Die Scheiben von eingelegtem Meerrettich werden mit Zucker, Wasser und Riesling-Ausleseessig 5 Tage mariniert. Das Romana-Salatherz (Anm.: für mich im Moment – eine sehr gute Qualität vorausgesetzt – der Salat der Wahl, weil die Blätter meist sehr schön stabil sind und bis zum Kern genutzt werden können. Wegen ihrer zerklüfteten Oberfläche halten sie Marinaden etc. sehr gut fest und schmecken gleichmäßig gewürzt) wird im ganzen in Tomatenwasser mit Zitronenschale vakuumiert. Danach werden die Blätter mit dem Einlegesud von den Meerrettichscheiben besprüht. Das Spitzkraut wird in einer heißen Pfanne ohne Öl geröstet bis die Ränder dunkel werden. Die Selleriewurzeln werden gründlich gewaschen, dann 21 Tage bei Zimmertemperatur in 2,5%iger Salzlake fermentiert. Nach dem Abtropfen werden sie in 170 °C heißem Pflanzenöl frittiert.

Degustation
Schon nach wenigen Momenten merkt man dem Gericht eine Tendenz an, die wirklichen kulinarischen Fortschritt im Sinne von Verfeinerung und Raffinesse anzeigt. Jedes Detail schmeckt exzellent und einen kleinen Tick anders, als man das selbst von anderen hervorragenden Köchen her kennt. Alle diese Abweichungen haben aber nichts Plakatives, sie kommen nicht als Effekt daher, sondern sind aromatisch hochfein miteinander verknüpft. Natürlich kennt man Schnittlauchsaucen. Aber diese hat mit dem speziellen Meerrettich-Wasabi-Spiel, das den Schnittlauch völlig anders einbindet als in Fassungen, bei denen einfach nur etwas Schnittlauch über eine Sahnesauce gestreut wird, einen deutlich entwickelteren, tieferen Geschmack.

Es geht zum Fleisch, das ein sensationell gutes Aroma bei gleichzeitig maximaler Zartheit hat. Niemand wird ein Luxusstück vermissen, wenn man mit „ganz normalen“ Partien solche exzellenten Ergebnisse erzielt.
Nebenbei gesagt erinnere ich mich an eine der wieder einmal wenig sachkundigen Texte in der Süddeutschen, in denen kürzlich ein Autor über Vakuumgarung schrieb und den Unterschied zu normaler Garung damit beschrieb, dass man „rückwärts“ arbeite, also erst gart und dann anbrät. Hier wird erst gegrillt, damit man das Aroma des Grillens auf dem Holzkohlegrills mit ins Vakuum nehmen kann….

Neben der aromatischen Seite ist hier bei Andreas Döllerer aber vor allem die Sensorik wichtig, und dabei ganz besonders die Textur, Aromatik und Funktion des frisch und präsent eingesetzten Salates und des angerösteten Kohls. Die Wirkung roh-marinierter Salatelemente in einer warmen Komposition hat immer eine Menge mit den Proportionen und der aromatischen Präsenz zu tun. Wenn das – wie übrigens im ganzen Menü – gelingt, ergibt sich eine sehr schöne geschmackliche Dimension, eine regelrechte Räumlichkeit mit Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund. So etwas braucht eine hochsensible Feinabstimmung, weil jede Überdosierung Überlagerungen produziert und jede Unterdosierung gerne einmal das Geschmacksbild intransparent macht. Hier ist es perfekt und eine Demonstration, dass eine gute Sensorik nicht aus einer Assemblage aller möglichen Texturen und Temperaturen besteht, sondern unterschiedliche Texturen und Temperaturen in eine klare kulinarischen Logik einbindet.

Das ist aber noch nicht alles. Wer die Zutaten liest, wird schnell darauf kommen, dass Döllerer hier mit der traditionellen österreichischem Kochfleisch-Küche spielt und aus verschiedenen Elementen eine neue Komposition/Interpretation geschaffen hat. Er steuert also geradewegs den assoziativen Kontext des Essers an, der seine diversen Erinnerungen an Tafelspitz und Co. hier wiederfinden wird. Mit dieser Art von Küche, die nicht mit grundsätzlich Unbekanntem konfrontiert, sondern Bekanntes nutzt, um den Esser sozusagen in seinen Erinnerungen abzuholen, gelingt Döllerer die Verbindung von Tradition und Moderne in einer ganz hervorragenden Weise. Es ist fast unnötig zu sagen, dass er mit einer solchen Küche auch für die Spitzenküche und ihre Akzeptanz allgemein eine sehr positive Arbeit leistet. Dieses Gericht können erfahrene Gourmets genauso gut essen, wie Gäste, die zum ersten Mal in der Spitzenküche zu Gast sind.

Mit dieser Short Rib und anderen Gerichten seines aktuellen Menüs hat Andreas Döllerer einen der wichtigsten Wege für die Zukunft der Gourmetküche eingeschlagen: Optimierung und Intensivierung in einem offenen System, das Traditionen ganz bewusst aufnimmt und weiterführt.

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