Manchmal machen in der Gastronomie ziemlich dumme Sprüche die Runde, die manchmal allerdings auch einen wahren Kern haben. Also: Warum sagen viele Spitzenköche, dass sie zu Hause nicht kochen? Antwort: Weil sie das nicht können! – Nun ja, so ganz kann man das nicht glauben. Eines aber steht fest: wer „Gourmet“ kocht, arbeitet nach ganz anderen Gesetzen als der, der sich an einem einfachen Herd mit dem täglichen Essen beschäftigt. Und wenn Spitzenköche “mal eben“ ein Buch schreiben, in dem sie sich der ganz normalen Küche widmen, ist das oft nicht besonders berauschend, genau so, wie Zweitrestaurants von Spitzenköchen mit Regionalküche o.ä. nicht automatisch qualitative Selbstläufer sind. Auch für die einfache Küche oder die Regionalküche gilt, dass es Spezialisten braucht, um wirklich große Leistungen zu erbringen.
Aber es gibt Ausnahmen. Andreas Caminada, der schweizer Drei-Sterne-Koch aus Fürstenau in Graubünden hat gegenüber von Schloss Schauenstein ein zweites Restaurant namens „Casa Caminada“ eröffnet und präsentiert dort eine „einfache“ Küche, die sich der Region, ihren Produkten und Traditionen widmet, dabei aber ein hohes Maß an Spitzenküchen-Know-how nutzt. In diesem kulinarischen Zusammenhang ist das Buch „Pure Leidenschaft“ entstanden, das nicht nur mit seinem ungewöhnlichen Cover, sondern vor allem mit seinem Inhalt überrascht.
Das Buch
Der Buchtitel „Pure Leidenschaft“ wird schnell mit Inhalt gefüllt. Das ganze Buch ist von einer Art Begeisterung für Graubünden und seine Produkte gefüllt und sieht eine Einheit zwischen Gegend, Mensch und Küche, die unaufdringlich, aber mit sehr schönen Bildern und Texten und vor allem Rezepten verständlich gemacht wird. Die Kapitelüberschriften sind dann auch nicht Frühling, Sommer, Herbst und Winter, sondern z.B. „Die Seele der Bündner Küche“, „Unser alpiner Garten Eden“, „Unter dem Dach des Waldes“ oder „Im Feuer liegt die Kraft“. Dabei fällt auf, dass sich Ästhet Caminada, dem an guter Form immer sehr viel gelegen ist, in keiner Weise der sonst in solchen Zusammenhängen oft zu findenden rustikalen Schulterschlüsse bedient. Man sieht also weder Caminada in kumpelhafter Umarmung mit örtlichen Bauern, noch Bilder mit Lämmern auf dem Arm oder beim Tätscheln von Kühen oder Kindern in Trachten. Es entsteht eine ästhetische Konzentration, wie man sie selten findet. Dieser klare Purismus wirkt sehr überzeugend und wie ein Vorbild für ähnliche Bemühungen von Kollegen. Die Bilder der Gerichte sehen einerseits auf den ersten Blick nach Spitzenküche aus, sind andererseits aber erkennbar einfach und konzentriert. Keines der Rezepte wirkt irgendwie rustikalisiert, sondern in erster Linie purifiziert, auf den Punkt gebracht.
Es gibt „Dörrbirnenravioli“, „Erbsensalat“ mit einer Kopfsalat-Vinaigrette und dem Kommentar, dass es „wie bei den Randen auch hier einen markanten Säureakzent“ braucht. Der „Gemüsesalat“ ist eine modern aussehende Collage von Rüben mit Blüten und Kräutern und Korianderkörnern, und der „Tomatensalat“ eine wundervoll feinsinnig zusammengestellte Sammlung diverser frischer und getrockneter Sorten mit eingelegten Weinblättern, Holunderknospen, Bärlauchknospen, Schnittlauchknospen und Schnittlauchblüten. Bei seinem „Kalbsrahmgulasch“ reicht das Rezept für vier stramme Portionen. Das Foto zeigt aber nur eine kleine Menge mit einer Gurkenscheibe und einer Sauerrahmsauce, signalisiert also das, was man auch in der bürgerlichen Küche lernen sollte, nämlich vom Komaessen abzukommen und mehr Sensibilitäten gegenüber dem Essen und dem Schmecken zu entwickeln. Die Milchlammkeule mit Gremolata ist dann auch „nur“ eine Scheibe Fleisch mit einer begrenzten Menge Gremolata, also das, was sensorisch wirklich Sinn macht, wenn man ein exzellentes Fleisch genießen will. Beim Schweinebauch sieht es ähnlich aus: Konzentration auf das Wesentliche, auf exzellente Produkte und Garungen und Aromatisierungen, die – hier wegen einer prächtig elaborierten, durchaus aber nicht klischeehaften BBQ-Creme – tragen und keinerlei sinnlose Begleitungen brauchen. So geht es zu Wildterrine und Rehnuss, sauer eingelegten Eglifilets, dem „Saibling mit Kartoffel-Buttermilchespuma“, knapp gegarten Zanderscheiben im Zwiebelsud mit Fenchelgemüse , einer „Brotsuppe mit übrig gebliebenem Brot“ oder einer Gerstensuppe, deren durchaus komplexe Machart sofort überzeugt. – Kochtechnisch und von den Produkten her ist vieles problemlos machbar, weil Caminada auch nicht zu sehr in lokale Produkte geht. Alles ist mehr eine Frage der Sensibilität, der guten Kochtechnik und eines Verständnisses traditioneller Geschmacksbilder, das ihr Potential präzise erkennt.
Fazit
Mit „Pure Leidenschaft“ ist Andreas Caminada in diesem Genre ein großer Wurf gelungen, den ich dringend zur Lektüre empfehle. Bei uns ist diese Beschäftigung mit den Traditionen immer noch ein Missing Link zwischen bürgerlicher Küche und Spitzenküche. Caminada ist viel weiter und scheint genau zu wissen, dass die Traditionen selbstverständlich auch genügend Substanz und Perspektiven haben, um Basis für seine Spitzenküche zu sein.
Das Buch bekommt 2 grüne BB, durchaus mit einer Tendenz nach oben.
Fotos © AT-Verlag