Die Slowenin Ana Ros (Jahrgang 1972) ist Chefin des Restaurants „Hisa Franko“ in Kobarid, unweit der italienischen Grenze etwa 35 km von Udine und auch nicht weit von Triest oder Venedig entfernt. Sie war in der Jugend eine gute Sportlerin, studierte für eine diplomatische Laufbahn, ist aber als Köchin quasi eine lupenreine Autodidaktin. Und das kam so: zufällig mit dem Ende ihres Studiums hatten die Eltern ihres Freundes Valter Kramer beschlossen, ihr Restaurant „Hisa Franko“ aufzugeben und sich zur Ruhe zu setzen. Gegen den Willen der Eltern haben Ana Ros und ihr Freund dann übernommen. Ana interessierte sich mehr und mehr für die Küche und übernahm schließlich die kulinarische Leitung. Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein eigener, regional geprägter und zunehmend in die Nähe der internationalen Avantgarde führender Stil. Dass ihre Leitlinien für eine gute Küche die „Umgebung eines Restaurants, die Jahreszeiten und die Persönlichkeit des Kochs“ sind, klingt heute schon fast banal, ist es – wie wir aus Deutschland her wissen – aber keineswegs. Vor allem die Umgebung und die Persönlichkeit eines Kochs müssten eigentlich unweigerlich zu einem individuellen Küchenstil führen – und weder zu einer aus irgendeinem Land entlehnten Küche noch zu einer Kopie ausschließlich mit Spuren der Meister, bei denen man gelernt hat.
Ana Ros hatte in Slowenien natürlich den Nachteil, dass sie nicht über die üblichen Auszeichnungen in Gourmetführern verfügte. Aber – man wurde international auf sie aufmerksam und lud sie zu diversen namhaften internationalen Kongressen ein. Das führte schließlich im Jahre 2017 zum Titel der „Besten Köchin der Welt“ in den „The Worlds 50 Best Restaurants“ und dort aktuell zu Platz 38. In ihrem Buch zeigt sich ein internationaler Avantgarde-Stil, den man in dieser Konsequenz nach wie vor selten, aber auffällig oft in der Spitze antrifft. Redzepi ist nicht fern, in Stockholm eher Magnus Ek als Björn Frantzèn, man erinnert sich an Kobe Desramaults, die alpine Avantgarde oder auch andere Nova Regio – Küchen von Amerika bis Australien und Japan. In ihrem Restaurant kostet das große Menü im Moment 175 Euro, und es hat einen interessanten Aufbau: Ana Ros beginnt mit 7 „Finger Bites“, es folgen 2 Gänge mit Sauerteig-Brot, 6 Gänge „From Nose to Tail“, 3 „Süsse Konversionen“ und 2 Gänge „Im Käsekeller“.
Das Buch
Der erste, sich dann schnell bestätigend Eindruck des Buches ist der einer modern-kulinarischen Ästhetik. Es mag vielen gestandenen Köchen nicht einleuchten, aber die Ästhetik einer Küche, also das, was die Bilder eines Buches, die Art der Fotografie und die Art der Gerichte und Anrichteformen kommunizieren, ist heutzutage wichtig denn je und kann zu schnellen Einordnungen führen, die sofort prägend sind. Und da liegt das Buch mit seinem abstrakt-grünen Cover und der gesamten, eher dunklen Farbigkeit rund um die weitgehend minimalistischen Kreationen auf einer guten Linie, in der Bodenständigkeit und eine moderne Ästhetik sehr gut zusammenkommen. Der Hauptteil des Buches besteht aus Bildern und allerlei dicht gedruckten Texten, dem dann knapp 50 Seiten Rezepte folgen.
Die Kapitel haben einen ungewöhnlichen Aufbau. Für die Texte ist zum Teil Ana Ros, zum Teil eine Autorin zuständig, die ähnlich wie Ana Ros erst spät zur Kochkunst kam. Es geht – sagen wir: ein wenig assoziativ zu. Einer Einleitung der Autorin folgen Texte von Ana Ros, die man manchmal den Überschriften der Kapitel nicht so ohne weiteres zuordnen kann. Bei „Brot und Milch“ etwa gibt es ihre Lebensgeschichte. Die Freundin macht weiter mit einem Porträt des „Natural Wine Guru“ Valter Kramer, dann wird der Vater vorgestellt und es geht langsam an kulinarische Themen, die aber immer wieder biographisch verkoppelt werden. Auf diese Weise entsteht ein enges Geflecht aus Küche und Leben und Region, aus den Schwierigkeiten und den Lösungen und schließlich einem Blick in die Zukunft von Slow Food-Guru Andrea Petrini. Dass das durchaus nicht oberflächlich ist, mag man an dem Kapitel über die Jagd erkennen, das viel näher am Thema, an Mensch und Tier ist, als die üblichen jagdhornstrotzenden Peinlichkeiten an anderer Stelle. Weil es immer eng an der Natur entlang geht, laufen die „ruhigen“ Bilder der Gerichte nie Gefahr, ins Künstliche abzugleiten, sondern wirken immer authentisch.
Die Rezepte profitieren von der Kombination aus Regionalität und Moderne. Bei „Die Kuh im Heu“ etwa handelt es sich um die Adaption einer slowenischen Tradition mit fermentierten roten Rüben, zerdrückten Kartoffeln mit Rosmarin und roten Zwiebeln, Zwiebelpuder, Kartoffelchips, gegrilltem Lauch, Schinken-Mayonnaise, gepickeltem Senfsamen, Rinderbäckchen und Ochsenschwanzkroketten. Die Kochtechnik ist teils klassisch, teils modern, die Mengenangaben sind grammgenau und das Verständnis von Proportionen und die sensorische Struktur ebenfalls auf der modernen Seite. Insofern kommen – ganz im Küchenverständnis von Ana Ros – Tradition und Moderne aufs Beste zusammen. Es gibt natürlich auch Ausschläge ins stark avantgardistische wie – selten – ins eher konventionell-moderne Fach. Das Forellenhaut-Rezept etwa ist von dem Wunsch nach strikter Abfall-Vermeidung geprägt. Es besteht aus der frittierten und mit einem Habanero-See-Salz gewürzten Haut, Püree von Forellenleber, einem Püree von Bergamotte-Haut und Nasturtium-Blüten. Es gibt Forellenbauch mit Rosa di Gorizia (eine Rosensorte) plus einer Emulsion von Kürbis-Öl, gerösteten Kürbiskernen und Buttermilch, wobei die Rosen als „Kompression“ von Blättern mit Birnensaft und Rote Bete-Püree zubereitet werden. Auch diese zwangsläufig kurzen Impressionen zeigen schon das beeindruckend elaborierte Spektrum der Küche. Das oben erwähnte Jagd-Thema („My Dad is a Hunter“) schlägt sich zum Beispiel in folgenden Rezepten nieder: „Wildschwein, Pflaumen und braune Bohnen aus Livek“. „Hirsch-Herz“ mit u.a. einer Mayonnaise von geräuchertem Ei, Buchweizen-Tacos und Wacholder-Salz oder „Schwarzer Pudding vom Hirsch mit Kastanien und Mandarine“. „Bär“ (…“oh ja, wir essen Bär. Bär ist ein Teil der traditionellen slowenischen Küche“…) mit einer weitgehend klassischen Zubereitung des Fleisches, dann einem Beerensalat aus Wildbeeren (Anm. also das, was er u.a. isst), einem grünen Wacholder-Öl, kristallisierten Beeren-Blättern und einer Sauce von geräucherter Forelle (Anm. die er ebenfalls isst).
Fazit
Das Buch kommt nicht unbedingt laut daher, hat es aber mächtig in sich. Die gute Ästhetik der Bilder ist keine Inszenierung (wie das an anderer Stelle leider mittlerweile häufig vorkommt), sondern ein Dokument der Realitäten einer wunderbar logisch und konsequent aufgestellten Küche. Für den Leser ergibt sich eine der typischen „Wundertüten“, die Folge der regionalen Spezifizierung und Individualisierung einer Küche sind.
Insofern muss dieses Buch zu den besten Veröffentlichungen in dieser Abteilung gezählt werden. Für Modernisten und Kreative ist es eine Fundgrube und dringend zu empfehlen.
Das Buch bekommt drei grüne BBB
Fotos © Phaidon Press
Hallo Herr Dollase,
Ich wundere mich ein wenig dass ein Schreiber ihres Kalibers nicht weiß wer Andrea Petrini ist. Der Mann gilt als „God of Food“ (Time) und hat mit seinen Gelinaz- und Cook it raw Events die aktuell bestimmende Riege der internationalen Kochelite von Chang, Redzepi, Nilsson etc. Erst richtig groß gemacht.
Mit Carlo Petrini, dem Slow Food Gründer, hat er zufällig den Nachnamen gemein, weiter nichts.
Hallo Herr Dollase, bei der rosa di Gorizia handelt es sich nicht um eine Rose, sondern um eine in Friaul/Slowenien beliebte Züchtung des Radicchios, hier ein paar Details: https://www.rosadigorizia.com/ Das Buch von Ana Roš hab ich beim lokalen Buchhändler bestellt, es liest sich phantastisch und spannend, was Sie darüber schreiben.
Vielen Dank! Botanisch ist das in der Tat keine Rose, sieht nur so aus. Gruß JD