Ich erinnere mich ziemlich genau daran, dass der Campingplatz von einem Kanal durchzogen wurde und wenn mich nicht alles täuscht, war dieser Kanal ein Ableger der Fecht. Das elsässische Dorf trug den Namen Turckheim und wir hatten mit unserem alten Wohnwagen zunächst recht schnell zum angestrebten Campingplatz gefunden. So weit so gut. Ich weiß genau, dass unser Stellplatz grasbewachsen und einfach wunderschön war. Unter einem Baum hatten wir etwas Schatten und den Kanal direkt vor uns, den man leicht vor sich hinplätschern hörte. Zunächst war ich aber damit beschäftigt zu überlegen, was ich als nächstes tun sollte. Rückwärts stand der Wohnwagen auf dem leichten Abschuss, hinter ihm war der Kanal. Noch hing der schwere Wilk Wohnwagen von 1972 an der Anhängerkupplung meines VW-Busses. Wenn ich die Deichsel allerdings lösen würde, erschien es mir beinahe unausweichlich, dass ich mit samt dem mühevoll restaurierten Wohnwagen in den Kanal stürzen würde und weder der dünne Maschendrahtzaun, noch meine Freundin – die ich aus gutem Grund am hinteren Ende des Gefährtes platziert hatte – würden auch nur den Hauch einer Chance haben, etwas daran zu ändern. Ich musste also die Kupplung lösen und sofort die Handbremse des Wohnwagens anziehen. Ein kniffliges Unterfangen.
Wir schafften es, den Wohnwagen in einer mittel waghalsigen Aktion an den gewünschten Platz zu schaffen. Nicht in der Fecht, sondern knapp davor stand das gute Stück also. Von allen Nachbarn wurden wir herzlich begrüßt – so ein Oldtimer ist ein ganz schöner Publikumsmagnet, soviel ist sicher.
Diese Reise – so wie die allermeisten unserer Reisen – führte in die kulinarische Welt des Landes. In diesem Jahr, die kulinarische Kultur des schönen Elsass. Während meine Freundin sich mit großem Interesse den liquiden Versuchungen hingab, stand ich wie ein kleiner Junge im Spielwarengeschäft vor der nie enden wollenden Theke, voller Pasteten, Terrinen und Galantinen. Mit dem Unterschied, dass meine Freundin munter drauflos schwadronierte, einen Plausch mit dem Winzer hielt, in dem sie Witze rissen, die so amüsant waren, dass sie sich dabei gegenseitig mit den Ellenbogen in die Seite stechen mussten. Ich hingegen stand vor den Pasteten und versuchte der Dame mit Hilfe meines reichhaltigen Wortschatzes, bestehend aus „oui“, „no“ und „merci“, zu verstehen zu geben, dass ich die Kaninchenterrine haben wollte, anstelle der Andouilette.
Während ich also mit meiner jüngst erworbenen Andouilette heimwärts Richtung Campingplatz ging, gleich nachdem ich bei der Metzgersdame mit meiner „oui“, „no“, „merci“ Kombination abermals gescheitert war, machte ich mir bereits Gedanken, was wir beide als nächstes anstellen könnten. Meist spazierten wir durch die Weinberge, begutachteten Reben und Trauben, während wir bereits darüber nachdachten, wo wir einkehren könnten, um uns ein Gläschen Gewürztraminer oder Riesling einzuverleiben. Oder zwei.
Meist endete solch eine Einkehr mit einem bereits erwähnten Gespräch zwischen uns und dem Winzer, samt Ellenbogenstichelei. Wenn wir bei der dritten oder vierten Verkostung waren, erweiterte sich mein Wortschatz durch die Floskel „Oh, très bien!“. Am Ende einer solchen Probe, wenn die Vernunft ihren Mittagsschlaf hielt, kauften wir munter und fröhlich einen kleinen Vorrat ein, der uns bei Laune halten sollte, wenn wir wieder in unserem betagten Gefährt angekommen waren.
Natürlich vergisst man nie, wie man sich mit einer Kiste Wein, leicht betüdelt seinen Weg heimwärts durch den Weinberg bahnt, wie man mit Sack und Pack um ein Haar in die Fecht gestürzt wäre oder den Gedanken als man abenteuerlustig und herzerwärmend ahnungslos in seine erste Andouilette gebissen hat. Das alles sind Erinnerungen, von denen wir unser ganzes Leben zehren können. Doch während diese Erinnerungen von Tag zu Tag blasser werden, sind doch vielleicht die Geschmäcker und Gerüche die Werkzeuge, die uns die Erinnerungen wieder scharfzeichnen.
Für unseren Cocktail dieser Woche brauchen wir 2 cl Eau de vie, 6 cl Gewürztraminer, 1 cl Zitronensaft, einen Barlöffel Melfor Essig und einen Dash Lemon Bitters. Alles geben wir in einen Cobbler Shaker mit Eiswürfeln. Wir füllen ein Weinglas mit Crushed Ice, damit es herunterkühlen kann. Nun shaken wir wieder, was das Zeug hält, bis der Shaker beschlägt. Mit Hilfe eines Hawthorne Strainers gießen wir das Schmelzwasser aus dem Weinglas und anschließend den Cocktail über das Crushed Ice. Wenn alles etwas eingesunken ist, wird nochmals mit Eis aufgefüllt und eine Zitronenzeste über dem Drink ausgedrückt.
Jedes Mal, wenn ich mir meinen Weg durch den Keller zu unserem Weinvorrat bahne, um eine Flasche Gewürztraminer oder Riesling oder auch Muscat zu holen und den ersten Schluck davon trinke, dann entfaltet sich nicht nur der Geschmack des jeweiligen Weines. Ich kann plötzlich die Luft spüren, die uns dort umweht hat. Ich schmecke den Münsterkäse, mit dem einer unserer zahlreichen Flammkuchen belegt war. Ich rieche den Kougelhopf und kann mir sogar die Kaninchenterrine vorstellen, die mir aufgrund meiner lingualen Inkompetenz verwehrt geblieben ist. Geschmäcker und Gerüche sind die Tore zu unseren Erinnerungen, unsere Nase und unser Gaumen die Schlüssel. Also lasst sie uns nutzen, so lange wir können.
Auf das Reisen,
Der heilige Helge
Zutaten bei BOS FOOD zu bestellen: 2 cl Eau de vie de Marc de Gewürztraminer, Bott Frères (Art. Nr. 46200) • 6 cl 2016 „Element“ Gewürztraminer, Aloisiushof (Art. Nr. 47538) • 1 cl Zitronensaft (frisch gepresst oder Art. Nr. 26906) • 1 BL Melfor Essig, Basilikum und Zitrone (Art. Nr. 28501) • 1 Dash Fee Brothers Lemon Bitters • Zitronenzeste