Eines vorweg: wir brauchen über die Schwächen des „The World‘s 50 Best Restaurants“-Ranking nicht nachzudenken. Sie wären aus der Sicht eines Statistikers, der genaue Kriterien dafür hat, wann und unter welchen Umständen man ein einigermaßen korrektes Ranking erzielen kann, die reine Katastrophe. Wenn zum Beispiel das beste Restaurant im nächsten Jahr nicht mehr antreten darf, wird in kürzester Zeit das System korrumpiert: ja, es gibt eine neue Nummer 1, nein, ob sie wirklich die Nummer eins ist, können wir nicht sagen, weil die immer noch bestens arbeitenden, ehemaligen Nummer 1-Restaurants ja auch noch da sind. Es hat keinen Zweck darüber nachzudenken – auch nicht über Lösungen, wie man das alles besser machen könnte.
Und trotzdem bekommen wir natürlich eine Menge von Informationen, von denen die besten wohl diejenigen sind, die uns immer wieder neue Namen bescheren, von denen man normalerweise selbst über die kulinarischen Medien wenig bis garnichts erfährt. Interessant ist auch, dass sich die schon lange in den 50 Best platzierten Namen in zwei Gruppen aufteilen lassen: die einen halten sich hartnäckig auf guten Plätzen, die anderen sind verschwunden. Das „Azador Etxebarri“ etwa ist einfach so speziell und so beeindruckend, dass es sich seit Jahren in der Spitze hält und in diesem Jahr auch noch den „Chefs Choice“ – Award bekommen hat. Oder Heinz Reitbauer jr. vom „Steirereck“. Einst lag er jahrelang Kopf an Kopf mit Joachim Wissler vom „Vendôme“ an der Spitze der deutschsprachigen Vertreter rund um Platz 10. Heute ist Reitbauer immer noch Nummer 12 und hat den „Service and Ambience“ – Award gewonnen. Wissler dagegen ist aus der Liste verschwunden. Dazu später noch mehr.
Die alles erdrückende Bedeutung der Metropolen im 50 Best-System
Als Massimo Bottura zu Beginn der Veranstaltung eine Reihe von Gästen begrüßte, sagte Eric Ripert vom „Le Bernardin“ in New York (auch er ein langjährig gut platzierter Koch), es gäbe allein in New York über 20.000 Restaurants, und hier würde man von den Top 50 reden, das wäre schon wahnsinnig. Es fällt auf, das bis auf wenige Ausnahmen mittlerweile alle Platzierten aus großen Metropolen stammen. Das hat zweierlei wichtige Auswirkungen. Die Metropolen werden zum Schmelztiegel für junge und/oder kreative Köche, die sich zu recht etwas davon versprechen, dort zu kochen, wo es auch für kreative Arbeiten genügend Publikum gibt und wo man sich in einem das gesamte Engagement sehr fördernden, kulinarisch elektrisierenden Umfeld befindet. Die Metropolen der Welt werden immer mehr in den kulinarischen Mittelpunkt rücken und – was dort passiert, wird bemerkt werden, weil auch der internationale Tourismus diesen Weg geht und gezielt die riesigen Stadtgebiete ansteuert, in denen ein Restaurant neben dem anderen zu finden ist. Zu diesen Reisenden gehören natürlich auch Journalisten und andere Tester, die in New York, London, Tokio, Singapur, Hongkong, Kopenhagen, Paris oder Sao Paulo mit wenig Aufwand eine riesige Menge von Informationen mitbekommen. Man fährt ein paar Tage hin, isst mittags und abends und braucht sich nicht in irgendwelche Provinzen aufzumachen, in denen man oft zwei Tage verbraucht, um ein einziges Restaurant zu besuchen. Es fällt auf, dass viele gute Restaurants, die irgendwo „in der Prärie“ arbeiten, nicht vertreten sind. Dazu gehören auch die deutschen Spitzenrestaurants, die sich in der „unattraktiven“ Fläche verteilen und international zunehmend einfach aus dem Fokus geraten. Dass unsere zwei Platzierten (Raue und Nobelhart & Schmutzig) aus unserer Metropole Berlin stammen, ist kein Wunder. Dass sie diejenigen sind, die am meisten PR betreiben, hat sich ausgezahlt, sagt aber nicht alles über ihre Qualität – auch im internationalen Vergleich. Ansonsten ist Berlin eine Metropole, die gegenüber anderen schwächelt. Um es einmal etwas überzeichnet auszudrücken: Berlin ist einfach auch in der Innenstadt schnell zu prollig, um mit vielen andere Metropolen mitzuhalten. Berlin ist vielleicht eine Kuriosität, aber nicht unbedingt eine Stadt, in der internationales Publikum begeistert und wohlig in Qualität und Vielfalt badet.
Kein deutsches Drei-Sterne-Restaurant in den Top 100
Es gibt natürlich viele Rankings, darunter auch solche, in denen die deutschen Drei-Sterne-Restaurants gut vertreten sind. In den 50 Best sind sie nun verschwunden, und das ist nicht gut und ein schlechtes Zeichen – egal wie kritisch man die Liste sieht. Und – es reicht nicht, die Gründe für das Verschwinden in der Konzentration auf Metropolen zu sehen. Natürlich finden sich unsere Drei Sterne-Restaurants zum Teil – international gesehen – irgendwo in Feriengebieten oder kleineren Orten. Aber – wenn ihre Küchen denn wirklich auch international gesehen brillant wären, würde man schon irgendwie hinfahren. Wenn man die Bilder der Gerichte der Top 100 sieht, muss man stutzig werden: so konventionell wie die deutschen Spitzenrestaurants kocht dort quasi niemand mehr. Und – so kochen die deutschen Spitzenrestaurants jetzt schon seit Jahren, ohne dass sich irgendeine spektakuläre Entwicklung ergeben hätte. Es gibt natürlich in den eigenen Landen immer genügend Claqueure, die die Qualität der deutschen Küche in höchsten Tönen loben. In dieser Kultur des Lobes (oder Eigenlobes) gedeiht aber heutzutage keine gute Küche mehr. Lob wird zum Sedativum: es ist doch alles prima, also machen wir weiter wie immer. In den 50Best wird aber eine Entwicklung sichtbar, und diese Entwicklung hat man weitgehend verschlafen. Vielleicht will man ja auch gar bicht anders, sondern strebt das an, was ohnehin zu beobachten ist, also eine Art „Schweizerisierung“ (ich bitte um Entschuldigung…): man hat sein zahlendes Publikum und kocht dafür. Der Rest interessiert nicht weiter.
Die Bedeutung der Stilistik
Tatsächlich kann man aber international eine klare Entwicklung ausmachen, die sich in dem 50Best-Ranking eindeutig niederschlägt. Es ist die Entwicklung hin zu einer klaren, modernen (Gemüse, Regionalität, Nachhaltigkeit) und kreativen Linie, die sich vor allem in einer gesteigerten Individualität niederschlägt. Diese Stilistik findet sich in der deutschen Küche äußerst selten, und das ist schon lange ein Problem. Es gibt kaum so etwas wie eine deutsche Spitzenküche (bei der Nennung des „Sühring“ in Bangkok wurde extra auf die starken deutschen Einflüsse hingewiesen…zwei deutsche Köche sind dort die Chefs…), und es gibt kaum wirkliche Individualität. Was aber gibt es dann?
In Deutschland regiert die Michelin-Küche. Das ist – noch – die Rettung für den Binnenmarkt, der auf diese Weise immer eine stramme Menge an Sternerestaurants verzeichnet. Falls man bei Michelin aber einmal etwas von diesem Kurs abweicht, wird das ganz schnell ganz anders aussehen können. Sagen wir es so: Michelin fährt – vor allem in den traditionellen Gourmet-Ländern – zu einem sehr hohen Anteil den Handwerks-Kurs. Mit maximaler Handwerklichkeit bekommt man hohe Bewertungen. Diese Handwerklichkeit ist allerdings die „alte“ Handwerklichkeit, also jene, die weitestgehend auf der klassisch französischen Küche beruht. Die Fixierung auf dem Primat der Gourmet-Handwerklichkeit alten Stils sorgt dann auch dafür, dass etwa Regionalküchen, kreative Küchen oder Länderküchen nur selten wirklich gut bewertet werden. Die Hauptprofiteure sind Mainstream-Küchen mit gutem Handwerk – auch wenn sie stilistisch langweilig bis nichtssagend sind.
Ich habe in meinem hier vor einigen Tagen vorgestellten Restaurantkritik-System und in meinem vor rund zweieinhalb Jahren hier vorgestellten Bonus-Malus-System zur Bewertung von Restaurants dem Rechnung getragen. Bei maximal 10 Punkten gehe ich von maximal 8 Punkten für den handwerklichen Bereich aus (um es einmal ganz kurz darzustellen), dem dann aber Bonuspunkte für die Stilistik hinzugefügt werden. In diesem System können Regionalküchen, Länderküchen und Kreative deutlich besser bewertet werden, als das etwa bei Michelin der Fall ist. Wenn man nun – wie das bei den 50 Best der Fall ist – offensichtlich den Anteil des Handwerks zugunsten der Stilistik weiter zurückfährt oder – was zumindest theoretisch möglich ist – die Handwerklichkeit komplexer definiert, stehen die Favoriten des traditionellen Michelin-Systems schnell im Regen. Und weil genau diese Definition von Handwerklichkeit zum Beispiel auch in Richtung japanischer Rohküchen, südamerikanischer Fruchtsäure oder Feuernoten geht, die man in der traditionellen französischen Küche kaum findet, stehen deren Anhänger – vor allem wenn sie sich so langsam entwickeln wie das in Deutschland der Fall ist – nicht mehr gut da.
Man sollte über das neue Ranking nachdenken. Es wird höchste Zeit, die ganze Sache einmal wieder etwas frischer und flotter zu machen – um es salopp zu formulieren. Und wenn man dazu keine Zeit hat, weil man den ganzen Tag damit zu tun hat, den Betrieb zu unterhalten, sollte man sich nicht beschweren. Dann richten es vielleicht die Jüngeren.
Ach, diese Rankings! Ich habe aufgehört, sie ernst zu nehmen. Neulich hörte ich einen Koch sagen, er unterscheide zwischen Köchen und Heißmachern. Das scheint mir das wirklich große Problem in den realen Küchen unserer Zeit zu sein. Da fühlt sich die Michelin Küche vertraut bodenständig an, weil ich davon ausgehe, dass dort so etwas stinknormales wie eine Mousse oder Creme noch handwerklich korrekt ausgeführt wird und nicht aus der Tüte kommt. Ich will kein Gedöns, ich will gutes, schmackhaftes Essen ohne Zusatzstoffe. Klar versteht jeder etwas anderes darunter. Aber gerade befinde ich mich in einem deutschen Urlaubsgebiet und verzweifle schier an den gruseligen Karten und Aussagen von Kellnern, die Sauce sei von Lukull, das könnten sie nicht besser machen. Das ist hier in Deutschland die Restaurantrealität! Viele Restaurants der Hotels haben hier sogar in der Saison geschlossen, weil keine Köche zu haben sind, noch nicht mal Heißmacher! Hier gibt es echt andere Probleme als Rankings. Mir ist Deutschlands Position in der Ranking Welt total schnuppe, bekäme ich in einem Umkreis von 50 km hier was Gescheites zu essen! Und gerne auf Michelin Niveau.
Hervorragende Analyse, die die Sache genau auf den Punkt bringt!
Allerdings haben Sie lieber Herr Dollase selbst maßgeblich zu der „Kultur des Lobes“ beigetragen. Es reicht eben nicht hie und da ein wenig allgemeine Kritik zu üben, im Einzelfall aber deutsche Sternerstaurants über den grünen Klee zu loben. So wurden beispielsweise vor kurzem die hiesigen überbordenden Menüs mit mehreren Dessertgängen zwar kritisiert, ein paar Wochen später aber ein konkretes Beispiel dafür als eines der besten Menüs in Deutschland gewürdigt. So läuft Kritik natürlich ins Leere. Es ist daher meines Erachtens notwendig, in kritischen Berichten auch Ross und Reiter zu nennen.
Da haben Sie Recht. Ich habe allerdings Gründe dafür, die Kritik zu anonymisieren. Es ist immer eine Frage der Solidarität mit den Köchen, deren ja in der Regel sehr seriöse Arbeit man wirtschaftlich nicht behindern will. Wenn m an bestimmte Phänomene – also etwa den Hang zum Mainstream – kritisiert, kann sich jeder Leser und potenzielle Gast selber seine Gedanken machen… Ich bin allerdings da immer sehr auf der Kippe und werde in den nächsten Monaten wohl etwas direkter einzelne Dinge benennen. – Und es gibt da noch ein Problem: nach langen Jahren in Restaurants kennen ich viele überragende Gerichte, also das, was ich das virtuelle Menü nenne. Niemand ist so gut, dass er ein Menü mit ausschließlich perfekten Gerichten hat. Vor diesem Hintergrund müsste man alle Küchen relativ sehen, und das führt dann zu Forderungen wie einer Art „Währungsreform“ der Noten. Im Moment sind m.E. sehr viele Restaurants zu hoch bewertet.
Nobelhart & Schmutzig wäre nicht einmal in meinen Top 500 vertreten! Völlig überbewertet, genauso wie dieses Ranking The World’s 50 Best Restaurants.
Hallo Herr Dollase- interessantes meinungsbild; leider bleibt das procedere der entscheidungsfindung der jury, die zur publizierten rangliste führt, komplett unerwähnt. das „michelin-küche-köche“-bashing ist natürlich quatsch, weil auch in der nestle-liste genug chefs vertreten sind, die ebenfalls bei michelin top bewertet werden. und der sinn Ihres bonus/malus-system erschliesst sich leider auch in diesem zusammenhang nicht; weil er einfach kelne weiteereichenden vorzüge im vergleich mit bereits etablierten bewerungsmasstäben besitzt.
Doch. Das Bonus-Malus-System macht es möglich, die handwerklichen Qualitäten zur Grundlage zu machen (m.E. eine unverzichtbare Setzung, bei der man allerdings immer daran denken sollte, wie sich Handwerk heute definiert…) und dann ganz verschiedenen Küchenstilen gerecht zu werden. In meinem System ist es also denkbar, dass eine perfekte Regionalküche genau so hoch bewertet wird, wie eines der üblichen „Spitzenrestaurants“
Gruß JD
Hallo Herr Dollase, da auch Ihr bonus-malus-system mit weichen kriterien arbeitet, bleibt es letztenendes wieder ermessenssache des kritikers, bestimmte aspekte einer küche/koch höher zu werten als andere. in dieser „ermessenssache“ schwingt wieder reichlich subjektivität mit. das ist sicher kein problem für profis wie Sie , unbedarftere kritiker mit weniger durchblick dürften auch mit dem bonus-malus-system zu keiner vernünftigen wertung kommen, weil ihnen dazu die analytische kompetenz schlicht fehlt .
Doch. Das Bonus-Malus-System macht es möglich, die handwerklichen Qualitäten zur Grundlage zu machen (m.E. eine unverzichtbare Setzung, bei der man allerdings immer daran denken sollte, wie sich Handwerk heute definiert…) und dann ganz verschiedenen Küchenstilen gerecht zu werden. In meinem System ist es also denkbar, dass eine perfekte Regionalküche genau so hoch bewertet wird, wie eines der üblichen „Spitzenrestaurants“
Gruß JD
In einem Satz: Genau so sieht es aus: – Kein deutsches Drei-Sterne-Restaurant in den Top 100 – In Deutschland regiert die Michelin-Küche !!!!!!