Harald Wohlfahrt: 35x Harald Wohlfahrt. Seine Signature Dishes. Tre Torri Verlag, Wiesbaden, 2022. 264 S., geb., Großformat, 79.90 Euro
Ich möchte diese Rezension nutzen, um die Arbeit von Harald Wohlfahrt historisch und stilistisch ein wenig einzuordnen.
Zunächst und um Mißverständnisse zu vermeiden: diese Sammlung von Wohlfahrt-Rezepten in einer „Limited Edition“ entspricht weitestgehend dem Buch, das in der Süddeutsche Zeitung Edition als „Kochlegende Harald Wohlfahrt“ im Jahr 2018 erschienen ist. Weil die Auflagen bei solchen Editionen meist einmalige Auflagen sind, ist es bisweilen sinnvoll, eine neuerliche Ausgabe anzugehen. Das Thema bei Wohlfahrt ist ja recht klar: es geht um einen Koch, der lange Jahre die kaum bestrittene Nummer 1 unter den deutschen Köchen war und vor allem auch eine Unmenge an Schülern gehabt hat. In dem wegen seiner vielen Fakten und Zahlen interessanten Buch von „Maximiliane und Uwe Wilkesmann: Nicht nur eine Frage des guten Geschmacks! Die Organisation der Spitzengastronomie“ (Springer Verlag, Wiesbaden 2020) gibt es eine Aufstellung über die „Anzahl der Sterneköchinnen und Sterneköche, die mit dem jeweiligen Sternekoch gearbeitet haben“. Ich zitiere die TOP 6. Bei Vincent Klink waren es 80, bei Hans Haas 112, bei Dieter Müller 151, bei Eckart Witzigmann 155, bei Heinz Winkler 191 und bei Harald Wohlfahrt sage und schreibe 253. Das sagt eine Menge.
Und dennoch habe ich dieses Buch mit Signature Dishes mit einer gewissen Distanz wahrgenommen und eingeordnet. Es ist heute einfach unübersehbar, dass die Küche von Harald Wohlfahrt einen hohen zeitspezifischen Faktor hat. Sie ist erkennbar anders als Vieles, was heute gemacht wird, und man darf annehmen, dass ein Restaurant, das heute mit dieser Küche auf den Markt käme, nicht unbedingt wie eine Bombe einschlagen würde. Die Küche steht also in einem wichtigen Aspekt für die Geschmacksästhetik einer bestimmten Epoche, und dieser Aspekt ist vor allem eine Mischung aus den verwendeten Produkten und dem aromatischen Bereich. Wohlfahrt hat diese Küche zu einem echten Höhepunkt geführt, an dem sich alle messen lassen müssen, die in dieser Richtung arbeiten wollen. Aber – sie steht in diesen beiden Punkten eben nicht für die gesamte Küche an sich und als solche. Wohlgemerkt: in diesen beiden Punkten.
Zur Erläuterung fällt mir dazu etwas ein, das Drei Sterne-Koch Marco Müller vom „Rutz“ in Berlin einmal gesagt hat. Müller, der sich gerade in den beiden genannten Punkten gravierend von Wohlfahrt unterscheidet, hat einmal in einem Interview gesagt, das Schwierigste wäre für ihn gewesen, all das zu vergessen, was er einmal gelernt habe. Präziser: die neuartigen Geschmackswelten und die Kombinationen ungewöhnlicher Produkte bei Marco Müller waren ihm nur mit einer gewissen Emanzipation von den gelernten Geschmackbildern möglich. Lässt man diesen Gedankengang gelten, kommt man den die Zeiten überdauernden Aspekten der Arbeit von Harald Wohlfahrt näher. Wohlfahrt war vor allem erst einmal eine handwerkliche Instanz. Da, wo das Handwerk nicht nur als Grundlage, sondern weitgehend als Erfüllung der Kochkunst gesehen wird, ist Wohlfahrt eine echte Größe. Er war es, der einer ganzen (oder auch zwei) Generation von Köchen das Handwerkszeug für allerhöchste Höhen in ihrem Kochleben mitgegeben hat.
An dieser Stelle muss ich nochmals auf einen Koch verweisen, und zwar auf Christian Bau, der noch lange Zeit nach Beginn seiner Selbstständigkeit als eine Art Wohlfahrt-Kopie galt. Ich habe damals in vielen Diskussionen mit Bau erlebt, wie er regelrecht mit sich gerungen hat, um Eigenes zu finden oder auch um überhaupt zu akzeptieren, dass er Eigenes finden muss, um wirklich der ganz große Koch zu werden, der er heute ist. Wohlfahrt hat seinen eigenen Weg gefunden, die Handwerklichkeit seiner Küche zu nutzen. Es ging bei ihm in eine eher klassisch-aufgelockerte Abteilung, die immer wieder neue Aspekte aufnahm und integrierte – je nachdem. Inwieweit Köche heute seine Art des Handwerks nutzen können, ist schwierig zu beurteilen. Wenn das Handwerk direkt zu einem Geschmacksbild führt, das in gewisser Weise das Bild einer Epoche ist, wird es heute weniger genutzt werden. Sind bestimmte handwerkliche Aspekte seiner Arbeit von einer bestimmten Epoche unabhängig, kommt man zu der die Zeiten überdauernden Qualität des Meisters, nämlich seine vor allem (aber nicht nur..) in kleinen Gerichten und Vorspeisen auftauchende sensorische Struktur.
Ich habe bei ihm bei den ersten Besuchen gesessen und fasziniert seine immer wieder ein wenig wechselnden Dreier- oder Vierer-Amuse und seine Variationen zu Produkten gegessen. Dabei galt nur ein Teil der Aufmerksamkeit der Variation als solcher. Was ich viel interessanter fand, war die Struktur der Akkorde, die Arbeit mit verschiedenen Texturen, Temperaturen usw. usf. Das, was ich später als „sensorische Struktur“ oder als „Strukturalistische Küche“ bezeichnet habe, habe ich zu einem wesentlichen Teil zuerst rund um Gerichte von Harald Wohlfahrt erlebt. Er selbst hatte das eher intuitiv gemacht, was seine Leistung aber keineswegs schmälert: mit dieser Art von Küche hat er neue Welten der Wahrnehmung aufgeschlossen und – wenn man es vor allem handwerklich sieht – dem traditionellen Handwerk, das sich vor allem mit Garungen, Kerntemperaturen etc. beschäftigt, eine neue, ganz wesentliche Dimension hinzugefügt. Und – er hat diese Präzision an Objekten exekutiert, die immer exzellent geschmeckt haben (also anders als etwa Ferran Adià, den der Geschmack manchmal nicht besonders zu interessieren schien).
So gesehen ist ein Buch mit einer Übersicht wie dieser jederzeit ein Gewinn. Es ist keine Werkschau wie bei Eckart Witzigmann zuletzt, aber es zeigt eine Menge von Dingen zu den oben analysierten Themen. Dass heutzutage versucht wird, mit Hilfe von Autoren noch etwas mehr zur Arbeit eines Kochs zu schreiben (um die manchmal etwas forcierten Lobeshymnen einmal vorsichtig und eher neutral zu fassen) ist verständlich. Auch ein Interview mit Wohlfahrt zu Beginn des Buches könnte man detailliert diskutieren, weil er eben eine Sicht auf die Dinge hat, die seine Position – verständlicherweise – kaum jemals relativiert.
Die Auswahl der Gerichte ist sicher weitgehend typisch, entspricht aber durchaus nicht in allen Teilen dem, was ich als beste Arbeiten erlebt habe. Diese Art der „Unschärfe“ ist aber ebenfalls verständlich, weil es sich bei solchen Kochbüchern eben nicht um – sagen wir: – wissenschaftliche Werke handelt, bei denen mit einem guten Abstand beobachtet und gewürdigt wird. Mit diesem Manko werden wir noch lange leben müssen, weil die kulinarischen Bücher dieses Niveau meist noch nicht einmal ansatzweise haben.
Es gibt also zum Beispiel die „Variation von Felsenaustern“, die „Variation von Gänseleber“, das „Mosaik von Jakobsmuscheln und schwarzem Trüffel“, den „Bretonischen Hummer mi Ananas-Mango-Chutney“, die „Wolfsbarschschnitte auf Poweraden à la Barigoule“ oder das „Limousin-Lamm mit Auberginen und Couscous“.
Fazit
Wohlfahrt hat oft gesagt, die Kochkunst könne sich nicht wirklich weiterentwickeln, weil es keine neuen Produkte gäbe. Nur wenige Jahre später erscheint seine Arbeit in einem differenzierteren Licht, in gewisser Weise vollendet, aber eben nur in gewisser Weise. So etwas steht natürlich nicht in diesem Buch, das für Freunde seiner Küche natürlich hocherfreulich ist, aber auch noch einen Tick hocherfreulicher sein könnte. 2 grüne BB sind selbstverständlich.
P. Schmitt , Sie schreiben da in meinen Augen etwas ganz genau R/Wichtiges. Heute ein bürgerliches Mittagessen bei Herrn Wehmann im „Scherrer“ genossen habend, dachte ich genau das: Es muss der “ Rückgriff“ erlebbar bleiben, da er eine Referenz ist und bleiben wird und letzlich damit ja Maßstab darstellen kann. Und ein Stück „Tafelkultur“ mit weißen Tischtüchern, korrektem und dennoch unförmlichen Service, der dennoch nicht ohne Witz war (ist), aber auf Duzerei verzichtet, ist auch Teil des Ganzen, den es wohl bald nicht mehr geben wird…(Allerdings wären bessere Gläser in den großen Traditionsstuben schon auch manchmal schön).Die Erinnerung an die großen Erlebnisse in den „Museen“ wird bleiben und es tun einem die begeisterten Esser leid, die keine Gelegenheit mehr dazu haben werden..Zumal man da soviel gelernt hat, ich denke an Herrn Dubs und viele Andere.
Hinrich Sudeck
Neben interessanten Neuentwicklungen und modischen Trends –wie gut sie auch sein mögen– sollten –wie auf anderen Gebieten auch– die Kenntnisse und Leistungen von früheren „Epochen“ bewahrt werden. Auch die Kochkunst braucht ihre „Museen“ –Lokale, in denen man erfahren kann, wie früher (auf hohem Niveau) gekocht wurde, auch ohne daß dies „weiterentwickelt“ wurde. Der Vergleich von Rezepten allein genügt nicht — man muß die Gerichte auch schmecken können, um sie untereinander oder mit modernen Zubereitungen vergleichen zu können. Für heutige Lebensumstände mögen Gerichte nach Escoffier zu üppig, die klassischen Saucen zu intensiv sein, oder manches als zu ungesund gelten, sodaß sie nicht „für alle Tage“ geeignet sind. Aber gelegentlich ein „unverfälschtes Menü aus vergangener Zeit“ zu erleben ist/wäre genauso wichtig wie das Hören klassischer Musik (auf Originalinstrumenten ) oder der Besuch von Ausstellungen alter Meister.
Ich mag die modernen Restaurants sehr, aber ich würde auch gerne nochmals den (unveränderten) saumon souffle von Paul Haeberlin oder eine Sauce von Harald Wohlfahrt verkosten, oder gar ein Diner a la Escoffier erleben …
Was mich als Esser vor allem an Harald Wohlfahrts Küche faszinierte, war die „Halbwertzeit“ der Gerichte. Ich kann mich noch heute klar an den Geschmack, die Kochtechnik, Anrichteweise usw. von vielen Gerichten erinnern, die vor 15 bis 20 Jahren dort gegessen habe und könnte das Gericht analysieren.
Bei vielen heutigen Restaurants ist es mir schon passiert, dass ich mich am nächsten Tag bereits nicht mehr erinnern konnte, was ich gegessen hatte.
Ich habe nur durch den regelmäßigen Besuch der Schwarzwaldstube zur Zeit Harald Wohlfahrts so viel kochen gelernt, wie es mir wohl niemand sonst hätte beibringen können.
Wirklich hervorragend erhellend, Ihre Einordnung von Wohlfarts Leistung im Kontext des Übergangs vom ausgefeiltem Handwerk zur sich davon lösenden Kreation. Ich gehöre wohl zu der Generation, die Wert auf ausgewogene Geschmacksbilder legt und sich eher schwer tut mit ungewöhnlichen Provokationen, auch wenn diese gedanklich durchaus reizvoll und der Fortentwicklung der Hochküche dienlich sind. Man muss auch seine eigene zeitgebundene Wahrnehmung begreifen lernen.