Neulich, in einer ZDF-Sendung mit Sebastian Lege, kam es zu einem Supergau, der eigentlich dazu führen müsste, die kulinarische TV-Testerei sofort einzustellen. Was war passiert? Es handelte sich um einen eher einfachen Versuchsaufbau, mit dem festgestellt werden sollte, inwieweit sich die Testpersonen von der Verpackung eines Produktes beeinflussen lassen. Zu diesem Zweck wurden die gleichen Chips in unterschiedliche Packungen abgefüllt, die Unterschiedliches signalisierten, eher normal, eher bessere Qualität und natürlich auch Bio-Qualität. Die Details spielen keine Rolle.
Das Ergebnis war so, wie ich es vermutet habe, dabei allerdings so gravierend klar, dass es nicht folgenlos bleiben sollte. Die Probanden zeigten sich als völlige geschmackliche Analphabeten, die buchstäblich keinerlei geschmackliche Orientierung haben. Obwohl sie – inklusive einiger „Profis“ aus dem kulinarischen Gewerbe – keinerlei Orientierung hatten, äußerten sie sich doch weitgehend im Brustton der Überzeugung und so, als ob es ganz klar schmeckbare Unterschiede zwischen den Packungen gäbe. Sieger war – natürlich – die Packung, die gute Bio-Qualität verspricht.
Der große Blindflug: Der Normalbürger kann nicht schmecken, weil er nur isst, aber nicht schmeckt
Der ganz normale Prozess der täglich praktizierten geschmacklichen Wahrnehmung hat nur mittelbar mit dem tatsächlichen Geschmack eines Produktes / eines Essens und dem Prozess des Schmeckens zu tun. Es gilt der Satz „Essen Sie noch oder schmecken Sie schon?“, mit anderen Worten: „Benutzen Sie Ihre Geschmacksorgane nur, um herauszufinden, ob Sie etwas mögen oder nicht, und nicht dazu, wirklich hinzuschmecken und festzustellen, welche geschmacklichen Nuancen Sie wahrnehmen?“. Ein ganz normaler Esser gleicht jede geschmackliche Information darauf hin ab, ob sie zu seinem Beuteschema, also zu seinen Lieblingsgerichten gehört. Jede größere Abweichung führt zur Ablehnung. Wird ein solches System konsequent angewendet, wird jeder Kontakt zu Ungewohntem oder Neuem schwierig bis unmöglich. Wer so isst, nähert sich dem Essbaren nicht mit Neugier oder dem Vergnügen daran, unbekanntes kulinarisches Terrain zu erkunden. Gleichzeitig wird er natürlich von seinem kulinarischen Schema abhängig, was wiederum vor allem die Nahrungsmittelindustrie und die Systemgastronomie interessiert. Ihr Geschäftsmodell ist die Bedienung von immergleichen kulinarischen Gewohnheiten. Je besser sie den Kunden reflektieren, desto sicherer ist es, dass er immer die gleichen Produkte kauft.
Nach einer Jugend mit Fast Food oder auch einem langen Leben mit gutbürgerlicher Küche sind die Sinnesorgane fast aller Konsumenten verkümmert. Jede Nachfrage nach geschmacklichen Wahrnehmungen läuft ins Leere, Differenzierungen sind nicht möglich und eine Veränderung der Gewohnheiten schon gar nicht. In enger Zusammenarbeit mit der Industrie sorgen solche Esser für eine Verödung der kulinarischen Kultur.
Man sollte Konsumentenforschung nicht mit Geschmacksforschung verwechseln
Die oben genannten Mechanismen scheinen vielen Verantwortlichen in Zeitschriften, Tageszeitungen und bei TV-Sendern nicht bewusst zu sein. Ihre Testprogramme, mit denen sie in immer kürzeren Zyklen das Land überziehen, sind geradezu absurder Unsinn. Im Grunde verwechseln sie Konsumentenforschung mit Geschmacksforschung. Während die Geschmacksforschung versucht, mit möglichst weit objektivierten Verfahren festzustellen, was und wie der Mensch schmeckt und schmecken kann (etwa wenn man den Anteil hypersensibler Schmecker in der Gesellschaft von den hyposensiblen unterscheiden will), interessiert sich die Konsumentenforschung für das, was an kulinarischem Verhalten vorhanden ist – und das immer in Bezug auf bestimmte Produkte. Sie untersucht, ob neue Aromenkombinationen ankommen oder nicht, wie viel Würze Suppen haben sollen, oder ob ein neues Fertiggericht ankommt. Während die Geschmacksforschung sozusagen neutrale Ziele hat, geht es der Konsumentenforschung um das, was man aus dem Wald von dem heraushört, was man vorher hineingerufen hat.
Die Redaktionen von Tageszeitungen, Zeitschriften und TV-Sendern richten große Schäden an
Vor diesem Hintergrund sind die unzähligen Produkttests nicht nur eine Farce, sondern ein manipulativer Eingriff, der weitgehend die Interessen der Nahrungsmittelindustrie bedient. Ein Vergleichstest zwischen Discounter-Produkten mit dem Ziel, das beste Produkt herauszufinden, nutzt vor allem dem oder den Gewinnern. Die Ergebnisse schaffen eine Schein-Objektivität, vor allem weil sie mit dem Gewinner so etwas wie ein gutes Produkt küren. Daß vielleicht alle angebotenen Produkte eine schiere kulinarische Katastrophe sind, kommt in diesem Versuchsaufbau nicht vor und kann – siehe oben – im Prinzip auch kaum vorkommen. Auf diese Weise erzeugen die Medien eine Landschaft von guten „Gewinner“ – Produkten, die in ihrer Qualität oft meilenweit von den Qualitäten entfernt sind, die Produzenten und Professionals der entsprechenden Produktgruppen unterscheiden. Die von den Medien so gewonnen „Qualitäten“ führen die historisch gewachsenen, guten Lebensmittelqualitäten ad absurdum. Die Tests bekämpfen unter unterhöhlen eine gewachsene Kultur und ihre Qualitätsbegriffe. Sie sind mit für das immer weitere Zurückdrängen guter kulinarischer Qualitäten verantwortlich.
Es kann nur eine Forderung geben: Einstellung der absurden kulinarischen Produkttests und Rückkehr zu vergleichenden und präzise reflektierten Tests, die wirklich eine Aussagekraft haben