Neue Restaurantkonzepte: „Haus Stemberg“ in Velbert

Haus StembergEs ist natürlich etwas merkwürdig, ein Restaurant, das sich seit 150 Jahren im Familienbesitz befindet, als ein neues Restaurantkonzept zu bezeichnen. Hierzu eine kleine Erklärung. Es geht in dieser Reihe nicht um neue Restaurants, sondern um neue Konzepte. Es geht auch nicht darum, den Erfinder des neuen Konzepts vorzustellen, sondern ausschließlich darum, einen Gastronomen vorzustellen, der ein neues Restaurantkonzept umgesetzt hat und damit erfolgreich ist. Natürlich kann der Gastronom auch gleichzeitig der Erfinder sein, aber das spielt hier eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist es zu durchleuchten, ob solch ein Konzept Sinn macht und ob man Teile davon oder das ganze Konzept zur Nachahmung empfehlen kann.

In der gängigen Praxis findet man in der gehobenen Gastronomie oft Konzepte, bei denen zwei Lokale von einer Küche beschickt werden oder zumindest von einem Gastronomen aus zwei separaten Küchen bekocht werden. Eines der beiden ist meist das feinere, das andere hat ein „normaleres“ Programm. Oft tragen die beiden Lokale dann die Namen „Restaurant“ und „Bistro“. Diese Kombination ist sinnvoll und nachvollziehbar. Für Ruhm und Ehre sorgen die Restaurants und für Profit und Umsatz die Bistros. Zudem kann man in den Bistros nicht nur einfachere und preiswertere Produkte verarbeiten, man hat auch eine sinnvolle Verwertung der nicht ganz so edlen Teile von dem, was im Restaurant eingesetzt wird: Das Mittelstück des Rinderfilets geht für die Tournedos ins Restaurant, die dünneren Filetspitzen für das „Boeuf Stroganoff“ ins Bistro.

Stemberg_Fleisch

 
Das Konzept von „Haus Stemberg“ geht einen anderen Weg. Es ist ein Restaurant mit zwei Küchen. Mit den beiden Küchen ist allerdings nicht gemeint, dass man die Vorspeise aus einer anderen Küche schickt als den Hauptgang. Beide Küchen befinden sich in einem Raum, es werden nur zwei verschiedene Küchenrichtungen angeboten. Deshalb proklamiert das Haus Stemberg dieses Konzept selber als „zwei Küchen von einem Herd“, eine absolut zutreffende Beschreibung.

Walter und Sascha StembergDas „Haus Stemberg“ hat mehrere Besonderheiten, die eine etwaige Nachahmung des Konzeptes erschweren. Die erste Besonderheit ist die Inhaberstruktur. Seniorchef Walter Stemberg ist seit Kindesbeinen im „Haus Stemberg“ und legte schon immer viel Wert auf qualitativ hochwertige Speisen, jedoch ohne seine Kernkundschaft aus den Augen zu verlieren. Das direkte Einzugsgebiet von Velbert ist durchaus übersichtlich, und es war ihm immer klar, dass sein Publikum die Möglichkeit braucht, mehrfach in der Woche bei ihm zu speisen, und dass nur ein Eingehen auf diese Angewohnheit dem Restaurant die notwendige Gästefrequenz verschafft. Hohe Preise sind da eher kontraproduktiv. Die daraus resultierende Landhausküche war hochwertig, sättigend und bezahlbar, und das so überzeugend, dass es sich bald über das Einzugsgebiet hinaus herumgesprochen hatte. Gästemangel war also nie das Problem von „Haus Stemberg“. Die Art und Weise, in der Walter Stemberg schon vor längerer Zeit kochte, war damals ein wenig futuristisch, weil er sozusagen unbeabsichtigt so gekocht hat, wie es heute der Megatrend ist, also klassische regionale Gerichte mit hervorragenden Produkten. Seine Qualität war auch der Grundstein für eine noch größere Popularität. Er wurde Fernsehkoch, Kochbuchautor und Autor von Kochglossen in der „Welt am Sonntag“. Das Alles war sehr breitenwirksam und auflagenstark. Die Kochbücher erreichten durch den Verkauf über einen Discounter sogar sechsstellige Auflagen, die selbst die heutigen Fernsehkochstars oft nicht erreichen. Dennoch blieb Walter Stemberg bei seinen Leisten. Er konnte gut kochen, er konnte gut erklären, aber er wusste auch genau, wovon er redete. Sachen, mit denen er sich nicht auskannte, überließ er lieber anderen. So war die Sterneküche für ihn oft eine Inspiration, aber nie etwas, das er unbedingt wollte.

Und nun kommen wir zur aktuellen Stemberg-Generation. Sascha Stemberg ist der einzige Nachkomme. Kochverrückt wie sein Vater stand sein Werdegang als Koch nie infrage. Seine Vita klingt allerdings nicht unbedingt nach Landhausküche:

1999, „Pomp, Duck and Circumstances“, Hans-Peter-Wodarz und Confiserie Maushagen, Düsseldorf
1999 – 2002, Restaurant „Victorian“, Günther Scherrer, Düsseldorf
2002, Restaurant „Hummerstübchen“, Peter Nöthel, Düsseldorf
2003, „Hotel Paradis“, Mauritius
seit 2003, Restaurant „Haus Stemberg Anno 1864“, Velbert
seit 2004 Chef de cuisine

KaminzimmerZehn Jahre in Küchen mit einem oder zwei Michelinsternen hinterlassen tiefe Spuren. Das Bodenständige ist zwar sozusagen genetisch in ihm verankert und durch seine Ausbildung in einem Gasthof im nahegelegenen Heiligenhaus stabilisiert, aber das Verständnis hochkomplexer Gartechniken, der Zugang zu exotischen Gewürzen und komplexen Aromastrukturen lernt man eben nur in der Sterneküche. Sascha ist in dieser Beziehung wie ein Schwamm. Er liebt es, dieses Wissen aufzusaugen und zu speichern. Sein wahres Talent ist es jedoch, diese Welten zu mischen, ohne ihnen ihren eigenen Charakter zu stehlen. Die Quintessenz hieraus ist das Konzept – zwei Küchen in einem Restaurant: Die eine Küche ist die Küche seiner Vorfahren, die sensibel mit einer zeitgenössischen Kochtechnik optimiert wird, ohne ihr die Seele zu nehmen. Gleichzeitig weiß Sascha, was möglich ist und das gibt es in der zweiten Küche, für die er mit Fug und Recht vom Guide Michelin einen Stern verliehen bekommen hat. Über diese Auszeichnung war niemand mehr verwundert als er selbst, weil eigentlich Landhausküchen (vermutlich wegen des eher geringen Anteils an Kreativität) von Michelin meist ignoriert werden.

In der Konstellation von „Haus Stemberg“ ist die Auszeichnung eine klare Folge der Geschehnisse und der Tatsache, dass Vater und Sohn sich mit demselben Respekt begegnen. Sascha Stemberg ist nicht der Typus, der glaubt, seinem Vater die Welt erklären zu müssen, nur, weil seine Wanderjahre qualitativ „hochwertiger“ waren. Gleichzeitig ruht sich Walter Stemberg nicht auf seinem Erfolg aus und besteht nicht auf der Fortsetzung seiner Linie. Aus dieser Konstellation ist ein Konzept geboren worden, mit dem Vater und Sohn gut leben können und bei dem es nur einen Gewinner gibt: den Gast.

Schon ein Blick in die Speisenkarte lässt ahnen, worum es geht. Wer an Zünftigem interessiert ist, findet dort ein geerdetes Angebot, das ihn sättigt, ihm schmeckt, aber nicht überfordert. Der Feinschmecker findet Delikatessen auf höchstem Niveau, und der Wanderer zwischen den Welten (wie ich einer bin) findet hier sein Zuhause. Es ist hier nicht nötig – und ich meine auch nicht möglich – sich vorher für eine der beiden Küchen zu entscheiden. Nach dem Studium der Karte beginnt die Atlantik Hummer-Blutwurst-Pulpo-Schweinebauch-Reise auf eine Art und Weise, wie ich es noch nie anderswo erleben durfte. Nur wenige Kochkünstler in Deutschland schaffen diesen stilistischen Spagat mit solcher Bravour. Denen, die es schaffen, wie Hans Haas (den ich mit Sascha Stemberg gerne in einem Atemzug nenne, um aufzuzeigen, wo ich ihn positioniere) zolle ich meinen höchsten Respekt.

Speisenkarte_Stemberg

 

GasthausEin Teil von „Haus Stemberg“ erinnert ein wenig an ein bieraffines Gasthaus, obwohl Walter Stemberg eigentlich kein Bier trinkt. Er trinkt Wein, und zwar sehr gerne und schon sehr lange. So ist es auch zu verstehen, dass die mehrere Hundert Positionen vom Gutswein aufstrebender Jungwinzer bis zu den Spitzenjahrgängen der Topwinzer aus dem Bordeaux enthaltende Weinkarte alles zu bieten hat, außer vielleicht hohe Preise. Eine sehr ordentliche Flasche Rosé Champagner – egal ob Markenware wie Lanson oder Taitinger oder fachkundig gewählter Winzerchampagner wie die Grand Cuvée von Laurenti – werden für unter 70 Euro pro Flasche formvollendet serviert. Gutsweine kosten meist um die 30 Euro, Erste und Große Lagen und Gewächse um 50 Euro pro Flasche. Zusätzlich ist man hier auch im offenen Bereich sehr gut sortiert.

Kommen wir zum Service. Dazu fällt mir ein Slogan ein, den ich hier ein wenig umformulieren möchte: „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine wunderbare Frau“, zumindest im Haus Stemberg. Coren, Sascha Stembergs Ehefrau, hält ihm den Rücken frei, wenn es um Angelegenheiten des Service geht. Genauso wie es Petra, die Gattin von Walter Stemberg, in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. Da Petra und Walter Stemberg sich immer mehr aus dem Tagesgeschäft zurückziehen, um der jungen Generation Platz zur Entfaltung zu geben, liegt das Zepter heute ganz klar in der Hand von Sascha Stemberg. Da das jugendliche Alter von Coren und Sascha natürlich auch bedeutet, dass man genau jetzt für Nachwuchs sorgen sollte, hat dieser ruhige Abgang der älteren Generation natürlich auch den Charme, das Coren ihr bald erwartetes zweites Baby in der Sicherheit austragen kann, dass in den Wochen um und nach der Geburt auf jeden Fall jemand da sein wird, der ihre Aufgaben gerne übernimmt. Die Damen Stemberg sind ausgesprochen liebenswert und haben zu jeder Zeit dafür gesorgt, dass die Speisen ihrer Gatten formvollendet serviert wurden. Für den Gast ist die Konstellation von reizender Mutter und ebenso reizender Schwiegertochter ein Glücksfall.

Zusammenfassend ist das „zwei Küchen von einem Herd“ Konzept ein gutes und erfolgreiches Konzept. So erfolgreich, dass man die schon seit Jahrzehnten eingeführte Fünftagewoche beibehalten konnte und es sich sogar leisten konnte, die Ruhetage auf Donnerstag und Freitag zu legen, was ich für einmalig halte.

Die Voraussetzung, ein solches Konzept erfolgreich umzusetzen, hat aber nicht jeder. Zuerst müssen die räumlichen Bedingungen stimmen. Weniger als 60 Sitzplätze wären hier sinnlos, was allerdings auch für viele andere Konzepte zutrifft. Wenn das Restaurant – wie hier – auch noch Eigentum der Familie ist, erleichtert das die Sache natürlich zusätzlich. Um Landhausküche wirklich attraktiv zu gestalten, muss man über sehr gute Produktkenntnisse und Erfahrungen verfügen. Es gibt sozusagen nichts Himmlischeres als einen gut zubereiteten Schweinebauch aus artgerechter Haltung, und es gibt nichts Schrecklicheres als einen schlecht zubereiteten Schweinebauch aus Massentierhaltung. Um den Dreiklang „guter Service, gute Landhausküche und gute Sterneküche“ komplett zu beherrschen, führt natürlich auch kein Weg an einer fundierten Ausbildung in der Sterneküche vorbei. Scherrer und Nöthel waren in der Stemberg-Konstellation wohl die perfekten Lehrer für Sascha Stemberg, da beide zwar das große Einmaleins der Sterneküche beherrschen, aber in beiden Sterneküchen das Hauptaugenmerk auf das Produkt und nicht auf Schäumchen, Punkte und Gelees gelegt wurde, die oft in verspielteren Varianten der Sterneküche zu finden sind.

Hilfreich sind auf jeden Fall der traditionelle Hintergrund und das Backup durch die Familie, wobei in vielen Familienbetrieben ein Übergang in eine neue Generation sehr problematisch sein kann, wenn der Ältere das neue Konzept nicht genießt, sondern bestenfalls erträgt, was ich im „Haus Stemberg“ nie empfunden habe. Vielmehr habe ich hier das Gefühl, dass Walter Stemberg sehr stolz auf seinen Sohn ist und mit Fug und Recht mit breiten Schultern und stolz geschwellter Brust durch das Restaurant geht.

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