Stefan Marquard: Küche Rockt. Gerichte und Geschichten. Matthaes-Verlag, Stuttgart 2018. Gebunden. 288 Seiten, 69,90 Euro
Vorbemerkung: Ich habe mich immer gefragt, warum denn eine bestimmte Art von Köchen unbedingt und ausgerechnet in ihrem Metier „rocken“ will. Vielleicht liegt es daran, dass ich als ehemaliger Rockmusiker eine Menge von Höhen und vor allem auch Tiefen rund um meinen damaligen Beruf erlebt habe und eben auch eine Reihe von Toten oder sonstwie schwer geschädigte Freunde zurückgeblieben sind. Na klar, es ist ein gutes Gefühl, auf der Bühne einer ausverkauften Westfalenhalle oder Rockfestivals zu stehen und ordentlich Krach zu machen, bejubelt zu werden, Platten zu verkaufen und GEMA-Lizenzen zu kassieren. Aber den Rock’n’Roll-Livestyle kann man nicht nachmachen oder irgendwie erzeugen oder suggerieren. Er ergibt sich, und er ist bei weitem nicht immer lustig.
Kochen ist von Anfang bis Ende vor allem viel pingelige Arbeit am Detail, und diese Arbeit bringt nur dann wirklich gute Resultate, wenn sie mit viel klarem Verstand und Konzentration ausgeführt wird. Wenn Kochen denn überhaupt einmal in irgendeiner Richtung weit von den Standards des vor allem handwerklich begründeten Berufs „Koch“ abweichen sollte, dann wird das in Richtung moderner Kunst gehen – nicht in Richtung Rock’n’Roll. Und so sehen für mich auch die Rezepte der Koch-Rock’n’Roller immer sehr wenig nach Rock’n’Roll aus. Ein paar ungewöhnliche Zutaten machen noch keine Revolution. Da müssten dann schon ganz andere Sachen kommen.
Kreativität ist relativ
In diesem durchaus interessanten Buch geht es um verschiedene Phasen in der Arbeit von Stefan Marquard und um Rezepte einer Art Marquard-Schule von ehemaligen und aktuellen Mitarbeitern und Weggefährten. Die Kreativität der Rezepte ist dabei eine eingebundene Kreativität, die sich nach wie vor weitgehend innerhalb der Regeln der traditionell fundierten Kochkunst bewegt. Die Rezepte sind also nicht wirklich neuartig (wie das teilweise in der spanischen und skandinavischen Avantgarde der Fall war und ist), sondern erweitern das bestehende Spektrum. Insofern sind sie nicht revolutionär, sondern – vielleicht – evolutionär. Wenn dieser Unterschied klar ist, entwickelt sich die Arbeit von Stefan Marquard sehr viel deutlicher.
Die italienisch inspirierten Rezepturen aus der Zeit in der „Taverna La Vigna“ in Wertheim wie z.B. die „Fonduta-Ravioli mit karamellisiertem Radicchio“ oder der „Tomaten-Kalbskopf-Kompott mit Basilikum und Bröselhummer“ oder die „Ente alla Cesare“ wirken mit Abstand natürlich nicht mehr so ungewöhnlich, wie zu ihrer Entstehungszeit. Auch die Arbeit in den „3 Stuben“ („Wie Küche endlich rockt“) war vielleicht für Marquard und seine Crew eine große Befreiuung, auf dem Teller allerdings wiederum eher relativ kreativ. Andererseits ist diese Einstufung dann in sich ebenfalls relativ, weil sich die „Summerroll von Lamm und Wiese mit lauwarmen Augenbohnen in Asia-Vinaigrette“ oder der „Seeteufel im Entenhals mit karamellisierten Schwarzwurzeln und Rote-Linsen-Vinaigrette“ natürlich auch heute noch vom Gros deutscher Spitzenrestaurants ein gutes Stück unterscheiden würden. Im „Palais Lenbach“ („Herausforderung in XXL“) ging es dann eher darum, einen gewissen kreativen Anspruch auch angesichts von Unmengen an Gästen zu realisieren. Es gab „Schickigerichte, Salatgedöns plus Punkrock-Rezepte“, wobei sich z.B. beim „Im heißen Rinderfett gegarten Surf & Turf mit lauwarmem Spargelsalat“ vor allem schon eine Menge differenzierter Sensorik zeigt. Schließlich heißt es dann „Unter eigener Flagge“, und es gibt Rezepte von der „Jolly Roger Cooking Gang“ wie etwa den „Armageddon-Zander mit Graupenrisotto und zweierlei Karotte“ der seinen Namen der „Armageddon-Sauce“ mit schwarzer Sepia-Sauce verdankt, oder den „Salat von gebratenem Suppenfleisch mit Bananen-Blutwurst-Pesto“.
Fazit
Das Essen sieht also bisweilen etwas anders aus als „normal“, liegt aber international gesehen eher im kreativen Mittelfeld. Große Aufreger gibt es nicht, aber man kann das ein oder andere Gericht vielleicht auf dem platten Land immer noch als großen Aufreger verkaufen. Dafür sehen die Köche definitiv alternativ aus. Das punkig-rockige Image des Meisters scheint eines der möglichen Ventile zu sein, die viele Köche hin und wieder brauchen. Auch vom seligen Paul Bocuse sind da eine ganze Reihe von Ventilen überliefert und vermutlich würden seine alten Weggefährten aus Deutschland in der Einschätzung übereinstimmen, dass Bocuse definitiv auch „gerockt“ hat. Mit etwas Distanz erfüllt diese Art von Küchen-Rock allerdings bei weitem noch nicht das, was man sich da so alles vorstellen könnte. Es ist eben immer das Gleiche: So lange alle nur „lecker essen“ wollen, sind die Möglichkeiten von Punk in der Küche eher begrenzt.
Das Buch muss man natürlich vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklungen sehen. Insofern ist es nicht unbedingt eine kreative Fundgrunde. Aber – es ist durchaus interessant zu lesen und dokumentiert in gewisser Weise einen Akt der Befreiung von der Dominanz der weißen Kochmützen klassischer Prägung.
Das Buch bekommt 1 grünes B
Mal was OffTopic:
Was in dieser Welt mittlerweile alles „rockt“ ist nicht mehr normal, selbst Helene Fischer und Konsorten „rocken“.
Ich persönlich kann das Wort nicht mehr hören.
Aber wenn jemand schon in der Küche rockt, dann Herr Dollase empfehle ich das Buch von Brenda Stumpf
„Bratkartoffeln für Tina Turner“ – Meine wilden Jahren als Backstage-Köchin.
Da tobte und rockte es richtig in der Küche.